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Zum 90. Geburtstag von Cannonball Adderley Die gute Seele des Jazz

Er hatte Groove, er hatte Soul und er hatte ein ganz besonderes Gespür für Timing: Altsaxophonist Cannonball Adderley. Der König des Souljazz würde am 15. September 2018 seinen 90. Geburtstag feiern.

Altsaxophonist Cannonball Adderley 1972 in Berlin | Bildquelle: Bayerisches Jazzinstitut/Ludwig Binder

Bildquelle: Bayerisches Jazzinstitut/Ludwig Binder

Lebendig und unmittelbar, so war seine Musik. Noch heute, mehr als 44 Jahre nach seinem Tod, spricht sie einen sofort an. Großartige, ja legendäre Aufnahmen hat Altsaxophonist Cannonball Adderley gemacht, die in die Jazzgeschichte eingegangen sind und viele von ihnen sind vor Publikum entstanden. Adderley wollte immer seine Töne teilen, nicht in abgeschotteter Studioatmosphäre, sondern in direktem Kontakt und Austausch mit einem Publikum.

Geboren am 15. September 1928 in Tampa, Florida, wuchs Julian Edwin "Cannonball" Adderley in Tallahassee auf. Seine Eltern, beide Lehrer, waren an der Florida A&M University angestellt. Musik spielte eine große Rolle in der Familie. Julian lernte Altsaxophon, sein jüngerer Bruder Nathaniel Trompete, wie der Vater. Die Brüder spielten schon in den 40er Jahren mit einem in Tallahassee lebenden Sänger und Pianisten, der Weltruhm erlangen sollte. Ray Charles war sein Name. Dessen Mischung aus Gospel, Blues und Jazz hinterließ tiefe Spuren im musikalischen Gedächtnis der Adderley-Brüder.

Kannibale, nicht Kanonenkugel

In der Highschool erhielt Julian den Spitznamen, der ihn zeitlebens begleiten sollte. Nicht etwa von der Kanonenkugel kommt "Cannonball", was man bei der rundlichen Figur des Saxophonisten vermuten könnte. Nein, eine etwas genuschelte Aussprache des Wortes "Cannibal", Kannibale, führte zu diesem Namen. Ein Mitschüler hatte Julian Adderley so genannt, wegen dessen übergroßen Appetits.

Bis 1955 erspielte sich der Saxophonist einigen Ruhm in seiner Heimat Florida. Er wendete sich von seinem Job als Musiklehrer ab und wollte professioneller Jazzmusiker werden. Der logische Schritt: 1955 zog er nach New York City, dorthin, wo die Szene brodelte und wo sich die Weltspitze der Jazzer tummelte.

Cannonball erobert New York

Im Frühling des Jahres 1955 trauerte die New Yorker Jazzgemeinde um den Bebop-Erfinder und Altsaxophon-Virtuosen Charlie Parker, er war im Alter von nur 34 Jahren verstorben. Die Suche nach dem neuen "Bird", so nannte man Parker, war eröffnet. New Yorker Saxophonisten spielten sich die Seele aus dem Leib, bis eines nachts im Cafe Bohemia ein junger Altsaxophonist aus Florida auftauchte und alle Anwärter auf die Altsaxophonisten-Krone vor den Kopf stieß.
"Er war das heftigste, was wir je gehört hatten", soll der Altsaxophonist Phil Wood gesagt haben.

Cannonball Adderley spielte aber mit einer ganz eigenen Intensität, mit höchster Präzision und - vielleicht sein bedeutendstes Merkmal - mit einem unglaublichen Gespür für Timing und Groove. Seine Musik war nicht mehr der Bebop. Er konnte zwar sehr viele Noten spielen, aber auch sehr wenig. Immer waren sie aber in einem unglaublichen Fluss, geschmeidiger und dabei bluesiger ging es kaum. Dazu sein unverkennbarer Sound: Kraftvoll, erdig, bluesgetränkt und elegant. Mit ganz viel Soul, das trifft bei ihm die Sache im Kern.

Mit den Saxophonisten John Coltrane und Cannonball Adderley sowie Pianist Bill Evans im Studio | Bildquelle: Rue des Archives/AGIP/Süddeutsche Zeitung Phot John Coltrane, Cannonball Adderley, Miles Davis und Bill Evans | Bildquelle: Rue des Archives/AGIP/Süddeutsche Zeitung Phot Cannonball Adderley machte sich in New York einen Namen und Trompetenstar Miles Davis wurde auf ihn aufmerksam. Zur selben Zeit als Adderley Mitglied in Davis' Band wurde, fand auch eine Aufnahmesession für das Label Blue Note unter Adderleys Namen statt, bei der Miles Davis als Sideman mitwirkte. "Something Else" ist in fast allen "50 Jazzplatten, die Sie haben müssen"-Sammlungen vertreten. Ein erster großer Markstein in Adderleys Karriere und ein erstes Statement seines eigenen Stils, der hier schon klar zu hören ist. Wie gut dieses satte Altsaxophon zu Davis' schlankem Trompetensound passte, spürt man auch auf diesem Album. Wenige Tage zuvor hatte es schon einen Studiotermin mit Miles Davis' neuem Sextett gegeben, in dem neben Adderley auch Tenorsaxophonist John Coltrane spielte. Diese Jahrhundertband nahm ein Jahr später, 1959, die Platte "Kind of Blue" auf, die zum meistverkauften Jazzalbum aller Zeiten werden sollte. Eine großartige Mischung an persönlichen Sounds und Spielweisen findet sich auf diesem Album.

Spätestens jetzt war Adderley ganz oben angekommen und etablierte sich wenig später selbst als Bandleader mit seinem Quintett, in dem auch sein Bruder Nat, nun am Kornett, spielte.
Im Oktober 1959 entstand eine großartige Live-Aufnahme beim Jazzworkshop in San Francisco. Hier wird die packende Energie dieser Band besonders deutlich und auch eine weitere Fähigkeit Adderleys trat hier deutlich zutage, nämlich seinen Mitmusikern Platz zu lassen.

Welthit im richtigen Tempo

In den 60er Jahren erweiterte der Bandleader dieses Quintett um das Tenorsaxophon zum Sextett und entdeckte den jungen Saxophonisten Charles Lloyd. Länger noch als Lloyd war der Multiinstrumentalist Yusef Lateef in der Band, der mit Tenorsaxophon, Querflöte und vor allem Oboe ganz neue Klangfarben in die Musik einbrachte.

Neben Bruder Nat war ein anderer Musiker besonders prägend für den Adderley-Sound und auch als Komponist steuerte dieser einige der markantesten Stücke zum Adderley-Repertoire bei: der Wiener Pianist Joe Zawinul. Er spielte von 1961 bis 1970 in Adderleys Band.

CD Cover The Cannonball Adderley Quintet | Bildquelle: Blue Note Bildquelle: Blue Note Bandleader und Pianist schätzten sich sehr und Zawinul durfte in diesem Quintett größtmögliche Freiräume als Solist genießen. Seine wohl berühmteste Komposition "Mercy, Mercy, Mercy" wurde mit dem Adderley Quintet zu einem Welthit und verkaufte sich über eine Millionen Mal. Im Original spielt Zawinul auf einem Wurlizer-Piano und der gurrende Sound dieses Instruments brachte den Jazz noch etwas näher in Richtung Soul und war sicher mitverantwortlich für den großen Erfolg des Stücks ist. Am 20. Oktober 1966 entstand diese Aufnahme, natürlich live vor Publikum.

"Mercy, Mercy, Mercy" ist sicher auch einer der meistgespielten Jazzstandards auf Jamsessions weltweit. Die Form des Stücks lädt dazu ein, über den A-Teil ausgedehnte Soli zu spielen und auf ein Zeichen hin in den B-Teil zu gehen und das Solo zu beenden. Wahrscheinlich gibt es Jamsession-Versionen die bis zu 40 Minuten gedauert haben. So haben Adderley und seine Band das Stück aber nie gespielt. Es gibt zwei weitere Live-Versionen von "Mercy, Mercy, Mercy" auf Tonträger ("Cannonball in Japan" 26. August 1966, und "Live in Italy, Bonus Tracks" 27. März 1969). In beiden ist Joe Zawinul der alleinige Solist, das Pianosolo geht immer über die ganze Form und keine der Versionen dauert länger als sechs Minuten.

Gespür für Dramaturgie, das war auch eine Eigenschaft von Cannonball Adderley. In den meisten späteren Versionen anderer Jazzmusiker wird "Mercy, Mercy, Mercy" zu einer druckvollen Groovenummer (Buckinghams: Time & Charges, Maceo Parker: Southern Exposure), die subtile Aura des Originals erzeugen sie jedoch selten.

Das Tempo ist bei Cannonball Adderley ein eigener Kosmos. Es wird berichtet, dass der Altsaxophonist in Konzerten teilweise eine Minute lang das Tempo vorgeschnipst hat, bis er ganz sicher war, die genau richtige Geschwindigkeit gefunden zu haben. Die Komposition "Sweet Emma" von Nat Adderley ist so ein Beispiel dafür. Fast alle Versionen von anderen Musikern sind schneller und nicht so bezaubernd. Spielt man "Sweet Emma" aber so langsam, wie die Adderley-Brüder es beispielsweise in einer Live-Aufnahme aus der Liederhalle in Stuttgart vom 20. März 1969 tut, gelingt es meistens nicht, die Spannung aufrecht zu erhalten. Sein Gefühl für das richtige Tempo verlangte nach einem unbedingten Groove, der auch bei langsamen Tempi einhakte.

Überragend mit Tönen und Worten

Cannonball Adderley war ein begnadeter Bühnenansager, mit seiner herrlich sonoren Baritonstimme, in äußerst gewähltem und elaboriertem Englisch, witzig, pointiert, knackig und auch hier in perfektem Timing kündigte er die Musik an. Seine Ansagen, die Dank der vielen Live-Aufnahmen, auch reichlich vorhanden sind, sind Lehrstücke für Menschen, die auf Bühnen sprechen und noch mehr für Jazzmusiker, die sinnvolle Ansagen zu ihren Stücken machen sollen.

Ludwig-Binder-Sammlung

Von 1965 bis zu seinem Tod 1980 arbeitete Ludwig Binder als freiberuflicher Fotograf. Einer seiner Schwerpunkte war Jazz. Von 1968 bis 1980 fotografierte er in Berlin die Stars der Szene. Sein Nachlass ist seit 1999 im Besitz des Bayerischen Jazzinstituts in Regensburg.

Den von Soul beeinflussten Jazz öffnete Adderley in den 70er Jahren weiter in Richtung Rock. Er verwendete auch immer öfter das Sopransaxophon und nahm E-Bass und E-Pianos in seine Besetzungen mit auf. Einige ziemlich abgehobene Einspielungen entstanden, wie etwa "Love, Sex and the Zodiac", aber auch das großartige retrospektive Album "Phenix". Das zwar viel weniger zeitlos ist als die früheren Live-Alben Adderleys, aber sein Schaffen und seine größten Hits in einem lateinamerikanisch gefärbten Groove-Kontext präsentiert. Das Album wurde im Frühjahr 1975 aufgenommen. Fast sein ganzes Leben war Adderley Diabetiker und straker Raucher. Am 8. August 1975 starb Julian "Cannonball" Adderley im Alter von 46 Jahren in Gary, Indiana, an den Folgen einer Hirnblutung.

Cannonball Adderley auf BR-KLASSIK

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