Bebop, Swing, Afrocuban-Jazz, Rockjazz - all das spielte Trompeter Dizzy Gillespie auf unnachahmliche Art. Er war ein großer Musiker und eine wichtige Identifikationsfigur der afroamerikanischen Bevölkerung. Und nicht zuletzt war er ein Original des Jazz, über den es unzählige Anekdoten gibt - manche komisch, manche tragisch. Eine Auswahl der BR-KLASSIK-Jazzredaktion.
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Die Band swingt und Cab Calloway singt dazu. Das Publikum ist begeistert, tanzt, jubelt, swingt mit. Dann: ein irritierter Blick des Bandleaders. War das gerade ein Papierkügelchen? Nicht möglich! Jemand wirft Papierkügelchen auf Cab Calloway, den großen Sänger im weißen Anzug. Das war sicher dieser Jungspund, dieser Störenfried unter den Trompetern, dieser Dizzy Gillespie. Als Calloway den Trompeter nach dem Auftritt in der Garderobe dann zur Rede stellte, soll Dizzy ihn sogar mit einem Messer verletzt haben.
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Dizzy ist etwas unkonzentriert, aber die Vorzeichen für dieses Konzert sind auch ziemlich schlecht: Charlie Parker musste sich ein Altsaxophon leihen, da er seines in Toronto nicht dabei hatte. Und jetzt spielt er auf einem Plastiksaxophon. Pianist Bud Powell wurde gerade aus dem Krankenhaus entlassen und hat vor dem Konzert schon ordentlich tief ins Glas geschaut. Bassist Charles Mingus ist wütend, wie immer, und Max Roach genervt, weil kaum Zuschauer da sind. Dabei sollte es das Konzert des Jahres werden. Die herausragenden Jazzmusiker des Jahres 1953 treffen am 15. Mai in der Massey Hall in Toronto aufeinander. Nicht bedacht dabei wurde, dass am selben Abend der Weltmeisterschafts-Boxkampf zwischen Rocky Marciano und Jersey Joe Walcott stattfand. Und Dizzy will als Boxfan natürlich wissen, wie es steht.
Zum Glück wurde das Konzert aufgezeichnet, das Livealbum "Jazz at Massey Hall" zählt heute zu den legendären Aufnahmen des Jazz. Parker und Gillespie schweben in völliger Freiheit über den Stücken, Powell ist trotz Vollrausch in Höchstform. Roach und Mingus swingen gewaltig. Und: Rückblickend hat sich das Konzert definitiv mehr gelohnt als der Boxkampf. Schon in der ersten Runde, nach 2 Minuten und 25 Sekunden, schlug Marciano Walcott K.O.
Dizzy Gillespie veränderte und beeinflusste den Jazz fortwährend. Er war ein vor Kreativität sprühender Geist und ein leidenschaftlicher Unterstützer junger Musiker. Kompositionen von ihm wie "Con Alma" und "A Night in Tunisia" gehören immer noch zu den vielfach interpretierten Klassikern des Jazz. Sein Trompetenspiel, in besten Zeiten ein hochpräzises Feuerwerk pointierter Töne, setzte Maßstäbe im modernen Jazz und wird heute noch bewundert.
Dizzy Gillespie hatte die Vision einer Welt ohne Grenzen. Musikalisch realisierte er sie in späten Jahren mit seinem United Nation Orchestra, mit dem er für die Einheit von Süd- und Nordamerika warb. Er war Musiker und Botschafter, und beides mit ungemein leichter Hand.
Am 6. Januar 1993 starb Dizzy Gillespie im Alter von 75 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.
6. Januar 1953, eine ausgelassene Party, alle feiern, tanzen und sind gut gelaunt. Lorraine Gillespie, Dizzys Frau, hat Geburtstag und das Tanz- und Komiker-Duo "Stumo and Stumoy" sind mitten in ihrer Show. Ein Stolpern, ein dumpfes Geräusch und die Trompete fällt um. Irgendjemand ist wohl dagegen gestoßen. Dizzy ist wütend, der Schalltrichter ist völlig verbogen. Im 45-Grad-Winkel steht er jetzt nach oben. Aber die Party soll weitergehen. Dizzy spielt auf dem ramponierten Instrument - und verliebt sich in den Sound. Am nächsten Tag wird die Trompete repariert, aber Dizzy kann diesen Klang nicht vergessen. Also lässt er sich von der Firma Martin extra ein Instrument mit nach oben gebogenem Schalltrichter fertigen - das ab dann, neben den weit aufgeblasenen Backen, sein Markenzeichen werden sollte.
Das Weiße Haus sollte "Blues House" heißen und Duke Ellington, Miles Davis oder Ray Charles würden Ministerposten bekommen. Das hätte Wirklichkeit werden können mit einem US-amerikanischen Präsidenten namens Dizzy Gillespie. 1964 stellte der Jazztrompeter sich als unabhängiger Kandidat zur Wahl. "Unsere Politik sollte eine groovigere Angelegenheit werden, wählt Dizzy, wählt Dizzy! Holt euch einen guten Präsidenten, der bereit ist zu swingen, wählt Dizzy, wählt Dizzy!" Das waren die Zeilen, die Sänger Jon Hendricks auf Gillespies Ohrwurm "Salt Peanuts" als offiziellen Wahlkampfsong dichtete. Zwar scheiterte Dizzys Kandidatur schon in den Vorwahlen, aber der Trompeter hatte durch seine nicht ganz ernstgemeinte Kampagne die ernsten Anliegen der afroamerikanischen Bevölkerung mehr in die Öffentlichkeit gerückt.
In Cheraw sollte es einen "Dizzy-Gillespie-Tag" geben, mit großem Empfang für den berühmten Sohn der Stadt. Dizzy war in seine Heimatstadt gereist und wollte sich vorher noch einen party-tauglichen Haarschnitt zulegen. Alle Friseure für Afroamerikaner waren aber schon ausgebucht, also ging Dizzy in einen Friseurladen eines weißen Besitzers, der auf Kundschaft wartete. Der Friseur schaute von einer Zeitschrift auf und fragte, was er wolle. Dizzy sagte: "Einen Haarschnitt", darauf der Friseur: "Entschuldigung, aber Farbigen schneiden wir die Haare nicht!" Kurz darauf fragte die Stadt Cheraw an, ob Gillespie etwas dagegen hätte, wenn die Stadt ein Schild am Ortseingang anbringe würde mit dem Hinweis, Dizzy Gillespie wäre hier geboren. Der Jazzstar hatte etwas dagegen: Vielleicht komme mal ein Freund von ihm nach Cheraw und dann könne er sich dort nicht mal die Haare schneiden lassen! Etwas später hat er das Schild dann doch noch genehmigt.
1985 trat Gillespie zusammen mit zwei Star-Trompetern der jüngeren Generation, Freddie Hubbard und Woody Shaw, beim Jazzfest Berlin auf. An einer Stelle des Konzerts sagte Freddie Hubbard übers Mikrophon zu Gillespie: "Don’t worry ‚bout a thang. You are still the kang!" (Im Video zu sehen ab Minute 2'10).
Am 19. März 1978 trat Dizzy Gillespie mit seinem Quartett bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen. Nach dem Konzert ging es, wie in Burghausen üblich, noch weiter in den Jazzkeller zur nächtlichen Jamsession. Natürlich war der Keller brechend voll bei so hohem Besuch. Es entstanden Engpässe in der Getränkeversorgung: zu viele schmutzige Gläser und zu viele durstige Kehlen. Aber kein Problem, der Startrompeter ging spontan hinter die Theke, griff sich ein Handtuch und begann abzutrocknen. Der Rummel wurde noch größer, aber Barmann Gillespie hatte alles im Griff. Ein legendäres Foto ist dabei entstanden, es hängt bis heute im Jazzkeller in Burghausen.
Jazz und mehr am 21. Oktober 2017
Dicke Backen
Zum 100. Geburtstag des Trompeters Dizzy Gillespie Mit Musik von Barock bis Bebop
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer
Zum Anhören:
Classic Sounds in Jazz am 18. Oktober 2017
"(Not only) in a dizzy atmosphere"
Mit Aufnahmen von Dizzy Gillespie, Johnny Hodges, Joe Lovano und anderen
Moderation und Auswahl: Beatrix Gillmann