Thelonious Monks Musik ist ein Kosmos für sich. Seine Musik ist einzigartig im Jazz. Mit diesen fünf CDs, ausgewählt von der BR-KLASSIK-Jazzredaktion kann man den Klaviermystiker kennenlernen.
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Was macht er da? Krude Glissandi, die ins nichts führen, Akzente an ungewöhnlichen Stellen, Akkordhaufen, die sich nicht genau identifizieren lassen, ständig Dissonanzen, als würde er immer zwei nebeneinander liegende Tasten treffen. Und Pausen! Immer wenn man meint, jetzt käme ein Lauf, macht der Pianist eine Pause. Unerhört, diese Art zu spielen!
Fünf Tage vor dieser Aufnahmesession hatte Thelonious Monk seinen 30. Geburtstag gefeiert - wahrlich kein Youngster mehr. Mit Saxophonstar Coleman Hawkins war er schon im Studio gewesen, im Minton's Playhouse, dem Jazzclub-Hotspot der späten 40er Jahre, hatte er für Aufsehen gesorgt. Aber als Bandleader war er noch unbekannt.Nun durfte er beim angesagten und sich stark im Aufbau befindlichen Label "Blue Note" aufnehmen. Die Labelchefs Alfred Lion und Francis Wolff wollten modernen Jazz - Musik, die in die Zukunft weist.
Drei Studiotermine bekam Monk im Jahr 1947 innerhalb von fünf Wochen, und äußerst unterschiedlich klingt die Musik dieser Sessions: In der ersten am 15. Oktober 1947 klingt sie noch stark nach Bebop in Sextett-Besetzung mit drei Bläsern. Im Trio am 24. Oktober steckt dann ganz viel Monk drin. Seine unsterblichen Klassiker, damals noch recht frisch auf dem Notenblatt, "Ruby my dear" oder "We'll you needn't", strahlen einen Hauch des Neuen, Sperrig-Modernen aus. Und die dritte Session am 21. November 1947 enthält dann schon Anklänge an die Lässigkeit des Hardbop, der aber erst rund zehn Jahre später aktuell werden sollte.
Vielleicht der beste Einstieg für alle, die Monk kennenlernen wollen.
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Hier hat man ihn ganz pur - und ganz radikal. Thelonious Monk, der Understatement-Pianist, der Zauberer intensiver Stimmungen voller querköpfiger Schönheiten. Sieben Stücke nur auf dem Klavier - und ein achtes mit Bassist und einem berühmten Gast - alle aufgenommen im Jahr 1957 in New York City.
Es beginnt mit dem Klassiker "April in Paris" von Vernon Duke. Und gleich mit den allerersten Akkorden bringt Thelonious Monk dieses schöne Stücke eben nicht zum luftigen Dahinschwelgen, sondern hackt die Anfangs-Akkorde so ungeschönt in die Tasten, dass ein April voller Eigensinn und unorthodoxer Launen entsteht - also ein sehr passender.
Auch in anderen Stücken ist die Magie des leidenschaftlichen Hochglanz-Verweigerers Monk unwiderstehlich: ob in der mit staksenden hohen Tönen beginnenden Eigenkomposition "Functional", dem kunstvoll trockengelegten, einst für Tommy Dorsey geschriebenen George-Bassman-Evergreen "I’m getting sentimental over you" oder der sich in eine bezwingende Nachtstimmung hineintastende lyrische Monk-Klassiker "‘Round midnight". Letzteren kann man in einer CD-Ausgabe mit Bonustracks sogar in einer 22-minütigen "iÍn progress"-Version verfolgen. Der Gast in Stück Nummer acht ist der Saxophonist John Coltrane, der mit Monk und Bassist Wilbur Ware die langsame, voller magnetischer Stimmung steckende Komposition "Monk’s mood" spielt - in der man allerdings auch zweieinhalb Minuten lang Monk solo hört: ganz pur, ganz radikal.
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Ob Monk noch kommt? Es ist der 25. Juni 1957. Alle haben sich versammelt im Reeves Sound Studio in New York. Art Blakey hat sein Schlagzeug aufgebaut, Wilbur Ware seinen Bass dabei, die vier Bläser sind da: Trompeter Ray Copeland, Altsaxophonist Gigi Gryce und die beiden prägenden Tenorsaxophonisten der Zeit aus unterschiedlichen Lagern: Altstar Coleman Hawkins und der junge Wilde John Coltrane. Aber Monk fehlt.
Sie spielen einen Blues zum Aufwärmen. Da kommt endlich Thelonious Monk, aber er ist in schlechter Verfassung. Die Noten der Widmung an Monks Ehefrau Nellie, "Crepuscule with Nellie", liegen bereit. Aber nichts klappt. Monk ist nicht zufrieden. Zwei Takes des Stücks entstehen, beide nicht zu veröffentlichen. Morgen soll es weitergehen. Und es wird eine legendäre Session!
Zu Beginn erklingt der Bläserchoral "Abide with me", von Monk arrangiert: "Bleibe bei mir". Danach gleich "We'll you needn't", frei übersetzt "Du musst nicht unbedingt", vielleicht als direkte Antwort auf den Choral. Eine Session voll innerer Spannung mit zwei sich belauernden Tenorsaxophonisten, in deren Spiel Respekt, aber auch Selbstbewusstsein durchscheinen. Art Blakey in gewohnter rhythmischer Stärke und Monk als sein ausgesprochen freigeistiger Gegenpart. Der Pianist lässt sich von Blakey tragen und stellt dabei immer stärker seinen absolut einzigartigen Personalstil heraus. Eine Aufnahme für die Ewigkeit, in der Feuer und Coolness gleichzeitig zu erleben sind.
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Mit die schönsten Aufnahmen von Thelonious Monk - und doch schlummerten sie 48 Jahre lang im Verborgenen. Erst 2005 wurden sie - nach einer Zufalls-Ausgrabung - veröffentlicht, unter Beteiligung von Thelonious Monks Sohn T. S. Monk. Einige Jazzforscher wussten vorher zwar, dass es diese Aufnahmen irgendwo geben müsse, aber niemand fand sie. Bis ein gewisser Larry Apfelbaum, verantwortlich für die Aufnahme-Bestände in der Library of Congress in Washington, beim Durchgehen nicht erfasster Bänder auf Schachteln mit der Aufschrift "Carnegie Hall Jazz 1957" stieß, von denen eine zusätzlich mit "T. Monk" beschriftet war. Beim Anhören des Bands in der betreffenden Schachtel, so Apfelbaum, "begann mein Herz zu hüpfen" - denn er erkannte außer dem markanten Klavierspiel Monks auch die Instrumentenstimme des großen Tenorsaxophonisten John Coltrane.
Diese beiden Giganten des modernen Jazz traten am 29. November 1957 in einem gemischten Programm mit dem Motto "Thanksgiving Jazz" in der New Yorker Carnegie Hall auf, neben anderen hochberühmten Künstlern wie Billie Holiday, Ray Charles, Chet Baker und Sonny Rollins. Und sie waren offenbar in immenser Form. Als die CD 2005 auf den Markt kam, wurde sie von vielen Fans und Journalisten als Sensation gefeiert. Stücke wie "Monk’s mood", "Nutty", "Epistrophy", "Crepuscule with Nellie" und "Evidence" spielen Monk, Coltrane und die beiden Begleiter Ahmed Abdul-Malik am Bass und Shadow Wilson am Schlagzeug in einer zupackenden Selbstverständlichkeit und einer organischen Kraftentfaltung, die sie knapp ein halbes Jahr zuvor (in Aufnahmen, die auf den Alben "Thelonious Monk with John Coltrane" und "Thelonious Himself" veröffentlicht wurden, siehe oben) noch nicht erreicht hatten.
John Coltrane bezeichnete Thelonious Monk als einen musikalischen Architekten höchsten Ranges. Seine Stücke zu spielen, sei aber "pretty difficult" gewesen. Ein Album, das zeigt, wie sehr sich außergewöhnliche Anstrengung manchmal lohnt. Als Zuhörer spürt man die Anstrengung freilich nicht, aber umso mehr die starke Substanz.
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Dies sind Aufnahmen von 1966 und 1967 mit einer sehr speziellen Geschichte. Das Quartett, das Thelonious Monk zu dieser Zeit hatte, war ein wunderbar eingespieltes Langzeit-Team: Monk am Klavier, Charlie Rouse am Tenorsaxophon, Larry Gales am Bass und Ben Riley am Schlagzeug. Im Columbia Records Studio in New York City entfalteten diese Musiker einen außergewöhnlich warmtönenden Fluss - und hielten dabei auch über unalltäglich lange Strecken die Spannung.
Doch der Platz auf Vinyl-Platten war deutlicher begrenzt als derjenige später auf CDs, und deshalb mussten diese Aufnahmen zum Teil gekürzt werden: das Titelstück "Straight, No Chaser" um knapp eine Minute, "We See", eine weitere Eigenkomposition von Monk, um etwa drei Minuten und der sogenannte "Japanese Folk Song", ein japanischer Hit aus den 1930er Jahren von Komponist Rentaro Taki, um fünf Minuten. 1996 wurden diese Aufnahmen auf CD wiederveröffentlicht - hier kann man die genannten Stücke in voller Länge genießen.
Es sind durchweg Aufnahmen, die den Hörer sofort einfangen mit einer berückenden atmosphärischen Stimmigkeit. Und neben den gewitzten, voller morsezeichen-artigen Tonfolgen steckenden Eigenkompositionen Monks sowie dem hinreißenden japanischen Stück kann man Monks Quartett hier auch als Interpreten von Klassikern wie Harold Arlens "Between the devil and the deep blue sea" sowie Duke Ellingtons "I didn’t know about you" hören. Und ein ganz kurzes, ganz getragenes Solo-Stück: "This is my story, this is my song" - mit einem Pianisten, der stets eigene Geschichten mit jedem Song erzählen konnte.