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Das renommierte Festival "grenzenlos" in Murnau vor dem Aus? Misstöne im blauen Land

Musik-Weltstars von Sängerin und Gitarristin Badi Assad bis hin zu dem kubanischen Klavier-Virtuosen Gonzalo Rubalcaba traten in den letzten 19 Jahren beim Festival "grenzenlos" in Murnau auf. Nun hat die Marktgemeinde dem Festival den Zuschuss für die 20. Ausgabe im Jahr 2019 entzogen

Tenor John Potter und sein Ensemble beim Festival "grenzenlos" in Murnau am 21. Oktober 2018 | Bildquelle: Rolf Thärichen/Weltmusikfestival "grenzenlos"

Bildquelle: Rolf Thärichen/Weltmusikfestival "grenzenlos"

Murnau, ein wunderschöner Ort im Vorland der Alpen. Traumhafte kunsthistorische Kulisse mit einem Licht, das der ganzen Umgebung den Beinamen "das blaue Land" einbrachte, ein Ort, der nicht zuletzt mit seinem Schlossmuseum und diversen hochkarätigen Konzerten in jüngerer Zeit auch für ein besonderes Kulturleben steht. Von dort kam Ende letzter Woche eine subtile Pressemeldung. Oberflächlich las sie sich wie eine besonders gute Nachricht: "Markt Murnau fördert weiterhin hochwertige Kulturveranstaltungen: Gemeinderat beschließt 43 000 € hierfür in den Haushalt 2019 einzustellen." Hinter dieser Überschrift verbarg sich aber keineswegs ein neu bereitgestellter, für einen Ort von 12 000 Einwohnern beträchtlich wirkender Betrag. Sondern: Dieser Betrag wird einem sehr renommierten Musikfestival in Murnau entzogen, dem Festival "grenzenlos" - und soll damit frei werden für andere Zwecke. Hintergrund sind Differenzen zwischen der Marktgemeinde und dem veranstaltenden Kulturverein.

Weltstars des Jazz und der Klassik

Jim Hall | Bildquelle: Tom Beetz Jazzlegende Jim Hall trat 2007 beim Festival "grenzenlos" in Murnau auf. | Bildquelle: Tom Beetz Das Musikfestival "grenzenlos" existiert seit dem Jahr 2000 und hat Musiker von Weltgeltung nach Murnau gebracht - und zwar sowohl klassische Musiker wie etwa das brasilianische Gitarrenduo Sergio und Odair Assad oder deren Kollegen Manuel Barrueco als auch Jazzmusiker wie den kubanischen Pianisten Gonzalo Rubalcaba, den italienischen Trompeter Enrico Rava, den französischen Bassisten Renaud Garcia-Fons, den Jazzgitarren-Star Jim Hall. Durch Interpreten wie die italienische Sängerin Lucilla Galeazzi flossen auch Lieder der italienischen Arbeiterbewegung und italienische Volksmusik unterschiedlicher Art mit ein. Durch den Songpoeten Gianmaria Testa, der 2008 in Murnau gastierte, bezog die Musik auf bewegende Art auch Stellung zu ertrinkenden Flüchtenden im Meer. Dieses Jahr waren die Konzerte des Festivals dem Rokoko-Komponisten Placidus von Camerloher gewidmet, der vor 300 Jahren in Murnau geboren wurde. Sieger eines Kompositionswettbewerbs stellten ihre Hommagen an Camerloher vor - flankiert von grenzüberschreitenden Konzerten etwa mit Bassist Barry Guy, Barock-Geigerin Maya Homburger, Komponist und Nyckelharpa-Spieler Marco Ambrosini, Akkrodeonist Jean-Louis Matinier und Cembalistin Eva-Maria Rusche - wo schon die Herkunft und Instrumenten-Auswahl zeigt, welch unterschiedlichen Welten die Musiker angehören. "In real time" hieß das Motto: Musik aus unterschiedlichen Epochen trifft in heutiger "Echtzeit" zusammen.

Einladung zur Gemeinsamkeit

Mit fein ausgewählten Themen wie "Heimat" oder "Vielsaitig", die stets nicht nur einen Bezug zu Musik, sondern auf subtile Art auch zur gesellschaftlichen Kultur hatten, brachte das Festival "grenzenlos" in den letzten 19 Jahren stets hochklassige musikalische Begegnungen zuwege. Viele davon sind auch in Hörfunk-Aufnahmen von BR-KLASSIK dokumentiert. Die Botschaft des Festivals war stets als eine Einladung zu weltoffener Gemeinsamkeit zu verstehen. Musiker aus unterschiedlichen Teilen der Welt und unterschiedlichen Musikbereichen kamen zusammen - und verständigten sich in verblüffend feinen Tonlagen.

Gemeinderätin als Vereinsmitglied abgelehnt

Eine solche Verständigung ist zwischen den politischen Vertretern und denen des Kulturvereins in dem überschaubar großen Ort Murnau offenbar unmöglich geworden. Der Marktgemeinderat hat in einer Sitzung am 25. Oktober, wie es in der Pressemitteilung hieß, mit großer Mehrheit beschlossen, die 43 000 Euro, die bisher dem Kulturverein für 2019, das Jahr des Jubiläums-Festivals, zugedacht waren, von dieser Zweckbindung zu lösen. Denn: Der Kulturverein e. V. habe sich nach mehrmaligen Gesprächen "endgültig" geweigert, ein Mitglied des Gemeinderats in seine Reihen aufzunehmen. Da in Murnau seit 2016 die Richtlinien für öffentliche Förderung vorsehen, dass ein Verein, um Förderung zu erhalten, grundsätzlich für alle Bürger offen sein solle - also auch für Mitglieder des Gemeinderats -, verstoße der Verein mit seiner Weigerung gegen die Richtlinien. Und damit sei eine Förderung nicht mehr möglich.

Gefürchtete Einflussnahme

Der Festival-Programmgestalter Thomas Köthe, Musikschulleiter in Murnau und zweiter Vorsitzender des Kulturvereins, betont: "Der Kulturverein ist offen für alle kulturinteressierten Menschen." Nur eine Person komme für den Kulturverein als Vereinsmitglied nicht in Frage: die Gemeinderätin Elisabeth Tworek (als Parteifreie auf einem Sitz der SPD). Köthe auf Anfrage des BR: "Frau Tworek ist als Kulturreferentin auf der Seite der Geldgeber oder Bewilliger - in entscheidender Funktion. Und diese Funktion ist nicht mit einer Mitgliedschaft in unserem Verein, der Zuschuss-Empfänger ist, vereinbar, wegen möglicher Einflussnahme."

Das Festival - "eine Riesen-Bereicherung"

Gemeinderätin Elisabeth Tworek, ehemalige Chefin des Münchner Literaturarchivs "Monacensia" und heutige Leiterin der Abteilung Kultur und Bildung des Bezirks Oberbayern, sagt: "Ich würde gern dem Kulturverein Murnau angehören, darin mitarbeiten und meine Fachkompetenz einfließen lassen. Für mich ist Demokratie Teilhabe. Ich fühle mich ausgegrenzt." Schon 2016 habe sie dem Verein beitreten wollen, wurde aber abgelehnt. Sie hebt eigens hervor: "Ich schätze das Festival 'grenzenlos' über alles. Es ist eine Riesen-Bereicherung. Ich habe mich immer dafür stark gemacht, dass ihm möglichst viel Geld zufließt. Es gibt von mir keine öffentliche Äußerung, die die Qualität des Festivals infrage stellt." Auf die Frage, ob man "grenzenlos" retten könne, sagt Elisabeth Tworek: "Daran bin ich auch sehr interessiert. Das kann aber nur der Gemeinderat beschließen. Vorher müsste ein Antrag gestellt werden. Ich selbst habe nur eine einzige Stimme." Für 2019 sei es jetzt aber zu spät, sie wünsche sich, "dass es 2020 weitergeht - aber nach den Spielregeln der Marktgemeinde Murnau."

Schaden fürs Profil

Laut der Pressemitteilung von letzter Woche hat der Kulturverein Murnau "die Brücken, die von Seiten der Gemeinde gebaut wurden, (…) nicht angenommen", so Bürgermeister Rolf Beuting. Als außenstehender Betrachter kann man das Ganze nur schwer nachvollziehen: ein Festival-Veranstalter, der sich nicht hineinreden lassen will - und eine Gemeinde, die diesen mit der subtilen Förderungs-Regelung auf ziemlich listige Art ausgehebelt hat. Und als Opfer, anscheinend von beiden Seiten in Kauf genommen: das Aus einer Vorzeige-Veranstaltung! Das kann’s ja nun nicht sein. Vielleicht braucht man ja gar keine Brücken, sondern es würden auch ein paar Holzdielen wie auf den Wanderwegen im Murnauer Moos genügen. Durch ein Festival wie "grenzenlos" hat der Ort Murnau in den letzten 19 Jahren eine starke Resonanz in der Musikwelt erfahren. Der Ort, in dem Gabriele Münter und Wassili Kandinsky Kunstgeschichte schrieben und aus dem der Schriftsteller Ödön von Horváth 1933 flüchten musste, konnte sich durch das Weltmusikfestival "grenzenlos" als ein Platz für besonders weltoffene Klänge und feine Ohren profilieren. Ein Jammer, wenn ein - von außen betrachtet - ganz und gar lokaler Zwist solch ein Profil jetzt nachhaltig beschädigen würde.

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