Vor 29 Jahren trat Pianist Fred Hersch das letzte Mal in München auf. Am 4. Juni 2016 war er im Jazzclub Unterfahrt zu Gast und das Konzert seines Trios wurde für BR-KLASSIK aufgezeichnet. Ulrich Habersetzer sprach mit dem Pianisten.
Bildquelle: Ssirus Pakzad
Er war Lehrer von Brad Mehldau, durfte als erster Pianist überhaupt eine Woche lang Solokonzerte im legendären Jazzclub Village Vanguard in New York geben. Er ist HIV-positiv und engagiert sich stark für AIDS-Kranke. Er ist einer der wichtigsten Musiker für die homosexuelle Jazzszene.
Woher weiß man das? Aus dem Internet, von Herschs Homepage, von Musikern und anderen Journalisten. Aber getroffen haben ihn wenige, zumindest in Deutschland. Er gilt als schwierig, pedantisch, unnahbar, es gibt Gerüchte, er würde über Kollegen lästern.
Stimmt alles nicht! Zumindest nicht bei seinem Gastspiel am 4. Juni 2016 im Jazzclub Unterfahrt in München. Fred Hersch ist auf die Minute pünktlich beim Soundcheck, hat klare Vorstellungen, die er auch kommuniziert, ist freundlich und hat sogar noch eine halbe Stunde Zeit fürs Interview.
BR-KLASSIK: Sie haben ein besonderes Verhältnis zu Jazzclubs. Woher kommt das?
Fred Hersch: Als ich mit 17 oder 18 anfing Jazz zu spielen in Cincinnati, Ohio, gab es keine Jazzpädagogik. Man lernte Jazz, in dem man mit älteren Musikern spielte und die Jazzclubs waren eine andere Welt. Es gab schillernde Personen dort, natürlich tranken die Leute und nahmen Drogen, aber der beste Jazz wird oft in Clubs gespielt. Mein Lieblingsclub ist der Village Vanguard in Manhattan. Als ich in New York anfing in den Bands von Saxophonist Joe Henderson oder Trompeter Art Farmer zu spielen, hatten wir Wochenengagements. Wir spielen ein Woche in diesem Club und eine Woche in jenem, manchmal sogar zwei Wochen im selben Club. Dadurch entwickelten sich die Bands schneller und die Musik bekam mehr Tiefe. In meiner Band heute ist es anders. Wir spielen auf Tour jeden Tag woanders, mal in einer Konzerthalle, mal in einem Club. Aber wir wollen, dass es im Konzertsaal nach Club klingt und andersherum.
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Pianist Fred Hersch
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Versunken in der Musik
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Bassist John Hébert checkt den Kontrabass
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Schlagzeuger Eric McPherson hochkonzentriert
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Seit den 70er Jahren in der Szene...
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John Hébert spielt seit sieben Jahren mit Fred Hersch
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Genauso lang ist auch Schlagzeuger Eric McPherson in der Band
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Noten sortieren...
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Warm trommeln...
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Den Ablauf überlegen...
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Stücke anspielen...
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die Klangeigenschaften des Flügels studieren.
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Soundcheck ist hochintensive Arbeit
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Alles muss passen fürs Konzert
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BR-KLASSIK: In den letzten Jahren sind Sie vor allem in den USA aufgetreten und nicht in Europa oder Deutschland, woran liegt das?
Fred Hersch: Erst vor kurzem habe ich angefangen wirklich mehr in Deutschland aufzutreten. In den 80er Jahren kamen manche meiner Kollegen quasi jede Woche nach Deutschland, bei mir war das nie so. Ich habe nie herausfinden können, warum das so war. Vielleicht war meine Musik zu harmonisch oder nicht abgefahren genug, oder zu abgefahren, ich weiß es nicht. Aber seit kurzem trete ich mehr in Deutschland auf. In München war ich seit 1987 nicht mehr, das spielte ich hier mit Saxophonistin Jane Ira Bloom, Bassist Mark Helias und Schlagzeuger Billy Hart.
BR-KLASSIK: Als Pianist sind Sie es gewohnt jeden Abend auf unterschiedlichen Instrumenten zu spielen. Können Sie beschreiben,wie es ist sich an ein unbekanntes Klavier setzten?
Fred Hersch: Ich hatte mehr als 30 Jahre in New York bei einer klassischen Klavierlehrerin Unterricht, einer sehr weisen Frau, sie sagte etwas sehr wichtiges zu mir: "Das Erste, um das du dich kümmern musst, ist Klang". Wenn man zum Beispiel Duke Ellington oder Bill Evans hört, die hatten immer, egal zu welcher Zeit, einen eigenen Sound. Das Klavier ist ein Perkussionsinstrument, deshalb ist es wie bei einem Schlagzeuger, der Finger ist das Ende der Kette. Oft wird im Klavierunterricht gelehrt, dass die Fingerbewegung das Wichtigste ist. Für mich beginnt der Klang irgendwo in meinem Körper, geht durch den Körper hindurch und der Finger ist nur das Bindeglied zur Taste. Das Erste, was ich mache, wenn ich mich an ein unbekanntes Klavier setze, ist, herauszufinden, ob ich meinen eigenen Klang auf dem Instrument erzeugen kann. Das Zweite ist, den eigenen Klang mit Rhythmus zu verbinden. Klang und Rhythmus ist Musik. Alles, Hiphop, Johann Sebastian Bach oder Jazz besteht aus Klang und Rhythmus. Das Dritte ist das Stück, das Du genau in diesem Moment spielst. Ich plane nie meine Sets. Ich mag die Überraschung. Wenn ich immer schon weiß, was als nächstes kommt, überrascht es mich nicht mehr.
BR-KLASSIK: Sie geben Kompositionsunterricht und sind sehr erfolgreich als Komponist. Wie entsteht bei Ihnen ein Stück?
Fred Hersch: Viele Leute wissen das nicht, aber um ein Stück zu komponieren, verwende ich oft eine Eieruhr. Ich stelle sie auf 45 Minuten und dann beginne ich mit einem Ton aus der chromatischen Tonleiter, d zum Beispiel. Das kann dann D-Dur oder d-Moll oder einfach nur der Ton d als ersten Ton bedeuten. Egal, 45 Minuten später muss das Stück fertig sein. Wenn du zu viel über Kompositionen nachdenkst, werden sie überladen. Ich benutze nur einen Bleistift und einen Radiergummi. Die großartigsten Jazzstücke haben alle ihre eigene Welt und sie sind meistens kurz. Wayne Shorter hat viele 16-taktige Stücke geschrieben. Mein Ziel ist, dass jedes meiner Stücke einen eigenen Kern hat. Wenn man zu viel hineinkomponiert, gibt es nicht so viel, was man als Interpret hinzufügen kann.
Weltklasse-Pianisten Fred Hersch bei seinem ersten Gastspiel im Münchner Jazzclub Unterfahrt zusammen mit Bassist John Hébert und Schlagzeuger Eric McPherson in einer Live-Aufnahme für BR-KLASSIK vom 4. Juni 2016
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer