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Beate Sampson im Gespräch mit Kim Barth Wie die Corona-Krise die Jazzszene trifft

Am 27. März hatte die BR-KLASSIK Jazzredaktion einen Konzertmitschnitt in der Kofferfabrik in Fürth geplant. Der aus Nürnberg stammende, musikalische Weltbürger Kim Barth - Saxophonist, Flötist, Bandleader, Arrangeur und Komponist - wollte an dem Abend mit seiner "Cuban Jazz Unit" ein Doppel-Konzert spielen als Abschluss einer einwöchigen Tour durch Deutschland. Aber alles kam anders. Und wir wissen warum. Am 18. April haben Kim Barth und Beate Sampson lange geskypt. Hier ein Protokoll ihres Gesprächs.

Bildquelle: Sina Riese

Corona und die Folgen für die Jazzszene

Beate Sampson im Gespräch mit Kim Barth

Beate Sampson: Zu diesem Zeitpunkt, als dieser shut down, dieser lock down stattgefunden hat, was war da gerade alles angesagt in deinem Leben als Musiker?

Kim Barth: Der sechzehnte März war eigentlich für mich eher das Ende von einer heißen Phase, weil Wochen vorher jeden Tag was anderes auf dem Tisch lag. Der tatsächliche shut dow hatte sich für mich schon vorher angekündigt, weil den gab´s ja vorher schon in Barcelona, und die letzten Jahre habe ich ja zwei Drittel meiner Zeit in Barcelona gelebt. Und auch die Musiker, mit denen ich im März eigentlich gespielt hätte, die waren zur Hälfte aus Barcelona. Das heißt diese ganze shut down Situation, die hat mich schon eine Woche vorher eigentlich betroffen. Und als sie dann hier kam, war es eigentlich das Ende der gesamten Unsicherheit für mich. Wir hätten ja eine Tour gehabt, wo auch der BR mitgeschnitten hätte (in der Kofferfabrik in Fürth), Ende März mit der Cuban Jazz Unit. In den ersten zwei Märzwochen, als noch nicht klar war, dass der shut down kommt, haben wir natürlich damit gekämpft, ob es diese Tour überhaupt geben wird. Uns da hat sich quasi jeden Tag die Situation so schnell verändert, dass ich eigentlich nur noch am Rotieren war. Also da gab's die Situation, dass der Trompeter wusste, er kann nicht mehr. Dann hatte ich einen anderen Trompeter, der eingestiegen wäre aus Israel. Dann musste er aber, weil er zurückkam gerade aus Holland, in Israel in Quarantäne gehen. Und es kamen diese ganzen Bestimmungen plötzlich, dann gleichzeitig wurde angefangen, Flüge zu verschieben. Also, wir hatten Flüge über Israel, über Istanbul, über Paris. Aber dann kamen Flugverschiebungen, dass ich plötzlich gesehen hab: Moment mal, die Flüge sind um einen Tag verschoben. Das hilft mir natürlich nichts, wenn ich am Abend ein Konzert in der Stadt habe. Ich habe die Tour komplett selber organisiert, inklusive der gesamten Logistik und die ist brutal quasi jeden Tag zusammengebrochen. Da waren Konzerte dabei, die auf großen Firmengeländen gewesen wären. Zum Beispiel auf dem Audi Gelände, das heißt, die haben schon früher zugemacht als die Jazzclubs, die mit involviert waren. Also das war ein einziges Durcheinander und Krisenmanagement eigentlich, Ende Februar, Anfang März. Und dann kam noch dazu das am 6. März. Wir hatten ein Spezialprogramm zu Ehren des amerikanischen Pianisten McCoy Tyner, der ist 80 Jahre geworden und das war eigentlich eine Follow Up Tournee für sein Geburtstags- Special, und er ist dann am 6. März auch noch gestorben, Und wir waren im Kontakt mit ihm, mit seinem Management. Es war also auch, ich sag mal, gewünscht und beobachtet und abgesegnet von ihm. Er hat sich gefreut, dass wir seine Musik spielen und zelebrieren und so weiter. Da ist ziemlich viel zusammengebrochen in diesen Anfangswochen vom März und am 16. März, als dann klar war: die Klubs auch hier in Deutschland dürfen nicht, die Airlines dürfen nicht, dann war für mich eigentlich auch klar, ich kann jetzt mein Krisenmanagement einfach mal schließen. Ich kann jetzt einfach mal den Rechner und das Telefon ausmachen, und sagen, das war's.

Beate Sampson: Wir sprechen von einer Tour mit wie vielen Auftritten und wir sprechen von einer Band mit wie vielen Musikern aus wie vielen Ländern?

Kim Barth: Also, das wäre eine Woche gewesen, inklusive den Aufnahmen eben auch mit dem BR. Da hätten wir auch zum ersten Mal ein Doppelkonzert gespielt an einem Abend. Da habe ich mich eigentlich sehr darauf gefreut. Es war etwas risikoreich und ungewöhnlich, weil es in einer alternativen Location stattgefunden hätte - der Kofferfabrik in Fürth, eher ein kleiner Ort und keine der großen Venues. Wir wollten da was implizieren, was eigentlich so etwas Jazzclub-Typisches ist, auch so ein American Feeling, dass wir sagen, wir machen ein Doppel Show Set. Die Tour wäre über eine Woche gegangen. Hauptsächlich mit kubanischen Musikern, aber auch mit brasilianischen Musikern. Carlos Sarduy hätte ursprünglich Trompete gespielt. Mein Kollege aus Barcelona, der ist auch Kubaner. Da gab's dann Schwierigkeiten, schon unabhängig von Corona. Da wäre dann Gregory Rivkin eingestiegen, aus Israel, Tel Aviv, ein fantastischer Trompeter, den ich aus New York noch kenne. Und ja, also in dem Sinne also Kubaner, Israelis, Brasilianer und ich aus Dänemark und Deutschland. Das wär's gewesen. Und es war ein Vorlauf für die Organisation von eineinhalb Jahren. Das heißt, die eigentliche Arbeit für so eine Tour ist ja nicht die Tour, sondern es ist für mich eigentlich dieses Jahr vorher, das alles zusammen zu kriegen.

Beate Sampson: Du hast erwähnt, dass ihr im Kontakt wart mit McCoy Tyner. Es hat also schon mal eine Tour gegeben, bei der ihr seine Musik gespielt habt, oder wäre das jetzt wirklich die Premiere gewesen mit diesem Programm?

Kim Barth: Vor eineinhalb Jahren ist er 80 geworden. Das war für mich so ein spontanes Projekt eigentlich, als ich gesehen habe, dass er 80 Jahre wird. Und für mich ist McCoy Tyner einer der ganz großen musikalischen Einflüsse und auch immer meine erste Wahl. Wenn ich irgendwohin fahre, und mich frage, was höre ich jetzt, ist McCoy immer noch auf der Hitliste ganz oben. Wir haben ihm zu seinen Ehren, zum Geburtstag, ein einzelstehendes Konzert gemacht, vor eineinhalb Jahren im Kulturforum (in Fürth). Und es war ein großes Risiko. Ich habe da lauter Musiker zusammengebracht, die so noch nie zusammengespielt haben. Es waren zwei kubanische Musiker und auch Gregory war damals auch mit dabei. Es gab keinen Vorlauf, es gab kaum Proben, nur mit der Rhythm Section. Einmal bin ich nach Zürich gefahren und habe das zusammengestellt, habe die Arrangements einfach so verteilt, und es war ein fantastisches Konzert, hat unheimlich Freude bereitet und wurde unheimlich gut angenommen vom Publikum auch. Und daraufhin haben wir dann gesagt okay, das ist was Besonderes. Das ist etwas, was auch auf ehrliche Weise den Nerv von McCoys Musik trifft.

McCoys Musik funktioniert fantastisch in diesem Cuban Style. Ich habe eine kubanische Rhythm Section. Beim ersten Konzert war Julio Barreto dabei. Den kennen vielleicht manche früher noch vom Gonzalo Rubalcaba Trio. Und einige von meinen Lieblingsmusikern, mit denen ich hier in Europa eben spiele, unter anderem der brasilianische Bassist Dudu Penz, mit dem ich auch schon seit 20 Jahren zusammenspiele. Das eigentliche Geburtstagskonzert war vor eineinhalb Jahren. Wir hatten letztes Jahr einmal eine Tournee, eine Woche, da war El Niño mit dabei, auch ein ehemaliger Irakere Trompeter. Es wäre jetzt auch ein bisschen eine Mischung gewesen. Ich habe einiges Neues vorbereitet, nicht ausschließlich McCoy Sachen, sondern auch Musik, die McCoy mitgeprägt hat als Sideman. Er hat ja wahnsinnig viel aufgenommen, auch für andere. Bestes Beispiel: Coltrane, aber natürlich auch mit Freddie Hubbard und so weiter. Wir wollten dann ein bisschen weiter rausgehen, ein größeres Spektrum zeigen. Und es hat wahnsinnig Spaß gemacht, in diese Musik auch noch weiter, also noch tiefer einzusteigen in seine Welt. Das ist für mich als Musiker eine totale Challenge, wenn ich so ein Projekt habe. Dann habe ich auch einen richtig guten Grund, wahnsinnig viel Zeit damit zu verbringen, das auszuarbeiten und da einzutauchen.

Beate Sampson: Was ist das, das dich im Besonderen an der Musik, an der Spielweise, an der kompositorischen Kraft von McCoy Tyner fasziniert, und dich dazu bewogen hat, so ein Programm auf die Beine zu stellen?

Kim Barth: McCoys Musik, McCoys Art zu spielen ist unheimlich energetisch. Es ist rhythmisch sehr stark. Es ist sehr kreativ. Es ist Musik, die ist im historischen Kontext revolutionär. Es gab niemanden, der vor ihm so klang. Er hat sowohl rhythmisch als harmonisch viele Dinge gemacht. Erfunden muss ich jetzt mal sagen. Heute spielen die Jazz Pianisten so, weil McCoy und Oscar Petersen und so weiter, weil die den Weg gelegt haben. Es ist aber nicht nur historisch, sondern ist es auch bis jetzt so. McCoy wird oft gesehen als der Pianist von John Coltrane. Wenn man aber hört, was McCoy in den 90ern aufgenommen hat oder 2005, wo ja auch schon über 60 oder 70 Jahre alt war, dann hatte das immer noch eine unfassbare Kraft und unfassbare Kreativität. Die Musik ist wahnsinnig ehrlich. McCoy ist vielleicht auch niemals so berühmt geworden wie manch andere Jazz Musiker, weil er eigentlich sehr ehrlich einfach bei dem geblieben ist, was ihm so wichtig ist. Und vielleicht war das nicht das, was alle interessiert oder etwas, das nicht genau dem Markt entspricht. Aber wenn man McCoy hört, selbst über die Jahre hinweg, 60er, 70er, 80er, 90er bis in die 2000er Jahre hinein, muss man sagen: er hat noch eine unfassbare Entwicklung durchgemacht, obwohl er schon, als er nur 25 Jahre alt war oder 23, bei Coltrane eigentlich die Musikgeschichte neu definiert hat. Und dann noch einmal so viel zuzulegen! Und er hat es nicht gemacht wie große Pianistenkollegen von ihm, etwa Chick Corea und Herbie Hancock : jetzt machen wir hier Rock Jazz, elektronisch, mit Keyboards und sowas. McCoy hat nie den Flügel verlassen. Es gibt keine einzige Aufnahme von McCoy an einem Keyboard oder dem Fender Rhodes. Das heißt nicht, dass er diese Sounds nicht mochte. Vielleicht hat er sie mal anderweitig benutzt oder sowas. Aber er selbst ist sich unheimlich treu geblieben. Ich denke, diese Ehrlichkeit und auch diese Bescheidenheit, das ist etwas, was andererseits wieder als Energie heraus strahlt. Es ist nicht so, dass er Zen Buddhismus Musik gemacht hat, sondern im Gegenteil. Es ist unfassbar energetisch, was er gemacht hat und auch sophisticated harmonisch. Also, es macht wahnsinnig Spaß, McCoys Transkriptionen zu lesen und anzuschauen. Warum macht er das so? Manchmal gibt es keine Erklärung. Er macht es, einfach weil es gut ist. Ich unterrichte auch Harmonielehre, aber wie gesagt, hey, ich kann das manchmal nicht erklären, warum das so gut klingt.

Beate Sampson: Das Geheimnis in der Musik ist ja das, was einen immer besonders anzieht, finde ich. In diesem Fall das Geheimnis in der harmonischen Auffassung von McCoy Tyner. Hast du ihn denn persönlich gekannt?

Kim Barth: Nein, ich habe ihn live gesehen, als ich Kind war, und zwar in Nürnberg in der Meistersingerhalle. Er hatte ein Konzert gegeben bei Jazz Ost West mit Joe Henderson und Freddie Hubbard. Ich hatte noch gar keine Ahnung. Ich war vielleicht 12, 13 oder 14 Jahr alt. Und ich dachte nur mich überfährt ein Zug, so ist meine Erinnerung. Und dieses Konzert gibt es immer noch. Ich habe ihn ein paarmal bei Konzerten gesehen, aber ich hatte keinen persönlichen Kontakt zu ihm. Und jetzt, als wir Kontakt hatten, hatte er im hohen Alter sehr abgebaut, und das war auch ein Grund, warum er nicht mehr reisen konnte. Das heißt, der Kontakt war eher über seinen Manager und mit seiner Frau, die ich mal kurz gesprochen habe - "Hello" und "How are you" und  so weiter. Aber das eigentliche Organisieren und Nahelegen an ihn, das war dann eher über seinen Manager letztendlich. Also er war dann mal kurz am Telefon, "Oh yeah, great" und so hat er seine Freude gezeigt. Aber er war einfach nicht mehr auf der Höhe, mental und körperlich sehr angeschlagen. Man sieht es auch an seinem Körper. Er war ein Bär von einem Mann. Und dann 2019 eigentlich ein Strich in der Landschaft, wenn man so sagen darf.

Beate Sampson: Gehen wir doch mal zu deinen Bands. Deine Zusammenarbeit mit südamerikanischen Musiker*innen, das hat bei dir ja schon eine längere Geschichte. Wie hat diese Geschichte begonnen, wie bist du mit den Leuten zusammengekommen? Es sind ja jetzt bestimmt schon 15 Jahre, dass du mit den Bands auftrittst. Wie schaffst du es, das so am Leben und so frisch zu erhalten?

Kim Barth: Also, das ist natürlich ein langer Weg, und es sind mehr als 15 Jahre. Und die Frage ist, wo so ein Weg anfängt. Ein Schlüsselerlebnis für mich war sicherlich der erste Studienaustausch in die USA, nach New York. Ich habe Jazzsaxophon studiert, und ich bin im dritten oder vierten Jahr nach New York gegangen. Das war ungefähr in 96, 97. Und davor hatte ich eigentlich nichts mit lateinamerikanischer Musik zu tun. Ich war - wie sagt man - Aficionado, also ein völliger Jazzfanatiker, muss ich jetzt mal sagen. Für mich gab es eigentlich nur Coltrane, Monk und Rollins, die fünfziger, sechziger Jahre und so weiter. Das war "the thing". Mich hat aber lateinamerikanische Musik nicht weiter interessiert. Ich habe auch gar keinen Zugang dazu gehabt, welche Rolle das spielt. Für mich war dann die große Veränderung der Wahrnehmung in New York, weil im New York von 1997 gab's - natürlich wie immer in New York - einen wahnsinnigen Melting Pot von allen möglichen musikalischen Stilen. Da gab´s die alte Zinc Bar noch, da hat Porthino gespielt damals, da haben die ganzen Brasilianer, zum Beispiel Cidinho Texeira gespielt, mit dem wir später auch die Bossa Nova Legends Tour gemacht haben. Oder es gab das Nuyorican Poets Café, wo sie Afro Cuban Jazz gespielt haben und in New York habe ich das erstmalig wahrgenommen, dass da Jazz gespielt wurde - Afro Cuban Jazz, Afro Brazilian Jazz. Dass es Jazz ist und nicht nur brasilianische oder kubanische Musik. Damals gab es ja kein Internet und wir waren angewiesen auf CDs, auch Videos waren ja schwer zu kriegen, und es war wie eine Schocktherapie, als ich gesehen habe, was die da abliefern. Also wie die Leute Jazz Standards spielen, wenn sie im Brazilian Style oder im Cuban Style spielen. Da hatte ich wirklich das Gefühl, mir wird der Kopf gewaschen. Und ich bin aus diesem ersten Studienjahr komplett gedreht nach Deutschland zurückgekommen. Eigentlich. Ich bin hin, um Saxophon zu spielen, und Saxophon hat mich da drüben eigentlich gar nicht interessiert. Ich habe eigentlich nur Rhythm Section und Arrangement studiert jeden Abend und habe versucht, irgendetwas über Afro Cuban und Afro Brazilian Musik dazuzulernen. Das war der Beginn, und von da bin ich dann nach Kuba, da war ich einen Monat in Kuba 1999. Das hat mir auch noch mal ordentlich den Kopf gewaschen. Das war ein unfassbar einflussreicher Aufenthalt. Und von da an war der Virus in mir quasi. Ich bin dann nach Spanien gegangen. Ich wollte die Spanisch lernen. Später nach Brasilien, habe Portugiesisch gelernt. Das war dann ungefähr im Jahr 2000, und 2001 - während 9/11 - war ich in Rio de Janeiro, da haben wir unsere erste Aufnahme in Brasilien gemacht mit den Bossa Nova Legends auch. Und dann kam eine lange Zeit, in der ich ausschließlich Brazilian Music gemacht habe. Das war zwischen 2004 und 2015, verschiedene Projekte mit der brasilianischen Sängerin Viviane de Farias und mit den Bossa Nova Legends, mit Leny Andrade und Pery Ribeiro, dem ersten Sänger des Songs "Girl from Ipanema". Da war viel los. Dann ging´s eine Zeitlang ganz nach Brasilien und jetzt habe ich seit ein paar Jahren wieder viel mit Kubanern zu tun gehabt. Und ich hatte Lust, wieder komplett in den Cuban Style zu gehen. Auch dadurch, dass ich in Barcelona war - sehr viele hervorragende kubanische Musiker leben in Spanien, in Barcelona, auch in Madrid - dort haben wir wahnsinnig viel gespielt. Und es war mir einfach ein Bedürfnis, die Leute zusammenzubringen. Auch hier in Deutschland sind ja viele Kubaner gestrandet. Kubaner sind viel krisenerprobter als wir Deutsche, und sind über die ganze Welt verstreut. Da gibt's tolle Musiker, fantastische Leute, die in den besten Bands in Kuba gespielt haben. Aber die leben eben in Zürich, Milano, Berlin, Paris und so weiter. Also bevor die Grenzen noch nicht geschlossen waren, war das alles relativ nahe hier in Europa.

Beate Sampson: Das klingt alles so leicht bei dir - spanisch gelernt, portugiesisch gelernt, dann nach Brasilien, nach Kuba, mit legendären Musiker*innen spielen. Aber zwei Sprachen zu lernen - gerade auch Portugiesisch finde ich nicht ohne -, und dann auch den Kontakt aufzunehmen, sich nahe zu kommen und Bands zu gründen, und die Leute für sich zu gewinnen. Wie geht das?

Kim Barth: Vorsicht, wir reden hier von 20 Jahren. Wir reden nicht von ein oder zwei Jahren. Das heißt, das eine oder das andere ist immer letztendlich ein Schritt, der auf dem vorherigen Schnitt aufbaut. Es ist nicht möglich, aus dem Nullstart heraus so ein Ding zu stemmen. Man macht etwas, man lernt, macht Erfahrungen, man bekommt vielleicht auch einen Push von den anderen Musikern. Man lernt neue Dinge, man traut sich auch andere Dinge zu, und wenn man sich neue Dinge zutraut, dann landet man auch wieder an einer anderen Position. Das heißt, auch wenn vielleicht das ein oder andere finanziell nicht erfolgreich war, wenn ich jetzt zurückschaue, war mir, während ich in der jeweiligen Situation war, nicht klar, in welcher großen Entwicklung ich jetzt gerade drin bin, sondern es war eigentlich alles Motivations-  und Interesse getrieben. Wie du jetzt sagst mit dem Sprachenlernen. Ich galt als sprachenunbegabt als Kind. Mein Bruder spricht relativ viele Sprachen, er spricht auch Spanisch. Ich habe Sprachen gehasst. Ich habe Schule gehasst. Ich habe Latein gehasst. Ich habe mich mit einer Fünf durchgeschlängelt, und ich galt als gnadenlos unbegabt. Jetzt spreche ich fünf Sprachen. Warum? Weil es mich interessiert hat. Das ist eigentlich simpel. Und das ist vielleicht auch das Prinzip von Jazzmusik. Das ist eine Musik, die sich sehr autodidaktisch entwickelt hat, die aufbaut auf diesem Prinzip. Was auch hinter den kubanischen. afrobrasilianischen oder afrikanischen Kulturen liegt, nämlich dieses Weitergeben des Hörens, Kopierens, wissen wollen, tiefer einsteigen wollen, in eine Welt eintauchen. Musik ist auch nur eine Sprache meiner Meinung nach. Und das war eigentlich das Schönste, was ich erlebt habe in dieser frühen Phase, auf diesen Reisen. Dass ich auch, wenn ich die Sprache noch nicht so richtig konnte, ich dadurch, dass ich schon einigermaßen spielen konnte, als ich das erste Mal in Kuba war, mit offenen Armen aufgenommen wurde, obwohl ich noch gar kein Spanisch sprechen konnte. Also, die musikalische Sprache war schon so stark, dass ich einfach intime Freundschaften haben konnte, die ich so, wenn ich jetzt einfach wohin reise als Tourist, eigentlich nicht haben kann, weil die Nähe gar nicht entsteht zwischen den Menschen. Und das hat mich eigentlich auch motiviert zu sagen: hey, ich will Spanisch lernen. Und es ist nicht so schwer. Ganz ehrlich: wir sind ja hier im europäischen Sprachraum, da ist alles ja relativ ähnlich im Vergleich zu dem, der jetzt Chinesisch oder Russisch oder so was lernen muss. Und das Schöne ist, wenn man zwei Sprachen spricht, ist die dritte leichter und die vierte noch leichter, und die fünfte sogar noch leichter. Und schon gleich gar, wenn man sich in diesem europäischen Raum bewegt. Ich habe das auch genutzt an der Uni im letzten Jahr im deutschen Jazzstudium - da hat man ja weniger Stunden, und da habe ich mich an fünf Tage die Woche in den Spanisch Crashkurs um acht Uhr morgens reingesetzt, weil die Jazz Musiker alle erst um zehn aufgestanden sind, da hatte man immer noch ein bisschen Zeit vorher. Also, ich habe schon gepaukt dafür.

Beate Sampson:  Du bist ja selbst Jazzmusiker, und bist trotzdem um acht Uhr morgens im Kurs gesessen…

Kim Barth: Ja, ha,ha, eine Zeit lang, aber nicht immer. Aber es ist auf jeden Fall so, die Sachen, die bauen lange aufeinander auf.

Beate Sampson: Du warst in New York mit einem Stipendium, nehme ich mal an.

Kim Barth: Ich hatte Auslands BAföG, und ich hatte Hilfe vom Bayerischen Musikfonds.

Beate Sampson: Und wie lange warst du in New York?

Kim Barth: Ein Jahr.

Beate Sampson: Und studiert hast du in Nürnberg?

Kim Barth: In Mannheim an der Hochschule. Und die war damals frisch gegründet, die Jazzabteilung dort war quasi im ersten Jahrgang. Es war so ein bisschen Startup Feeling. Es war eine gute Zeit. Es gab noch keine festgefahrenen Strukturen. Der erste Jahrgang war die erste Band, das war alles sehr fresh und hat Spaß gemacht. Aber nach New York wollte ich dann woanders hin einfach.

Beate Sampson: Wer waren denn in Mannheim deine Lehrer?

Kim Barth: Für Saxophon Jürgen Seefelder. Und Leute, die mich auch beeinflusst haben von den anderen Lehrern, waren der Hubert Nuss – sehr interessante Piano Nebenfachstunden bei ihm. Es waren viele Leute da, die man in den Combos getroffen hat. Thomas Stabenow, viele Leute aus der Münchner Szene, Adrian Mears, das Australian Composers Ensemble hat er gemacht, da hatte er mich als junger Student eingeladen, und ich habe mich riesig gefreut damals. Das waren alles Überschneidungen in dieser Zeit, auch mit dem mit dem Bayrischen Landesjugendorchester, und dann natürlich auch mit dem Bundesjazzorchester. Es war eine kleinere Szene im Vergleich zu heute.

Ich bin in Nürnberg zur Schule gegangen. Am Labenwolff Gymnasium, am musischen Gymnasium. Ich war der erste Schüler, der klassisches Saxophon im Musikabitur machen durfte. Das musste sogar genehmigt werden vom Kultusministerium, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. War aber ein Präzedenzfall, dass man Saxophon klassisch in der Abschlussprüfung spielen darf. Ich habe dann quasi moderne Klassik gemacht, relativ avantgardistisches Zeug auch, aber eigentlich wollte ich natürlich Jazz machen, damals schon.

Beate: Ist das so selbstverständlich, dass ein Teenager sagt: Ich will Jazz machen. Wo kam das her? Wer hat das angetriggert? Wer oder was?

Kim Barth: Interessante Frage. Ich glaube eigentlich, die Musik selbst, wenn ich ganz ehrlich bin. Ich hatte natürlich im Umfeld Zugang zur Musik. Es war ja vor allem in der Zeit wichtig: Wo kriegt man überhaupt Aufnahmen her? Aber letztendlich war es die Musik selbst. Also irgendwie mit 14,15, habe ich Coltrane und Thelonious Monk gehört. Und ich kann mich erinnern, dass ich von einem Tag auf den anderen, als ich das zum ersten Mal gehört habe, alles andere weggelegt habe. Alles andere war irrelevant danach. Ich war da relativ fanatisch. Meine Eltern haben sich teilweise Sorgen gemacht, wenn ich einfach acht oder zehn Stunden das Horn nicht aus dem Mund genommen habe.

Beate Sampson: Und wann kam die Flöte ins Spiel?

Kim Barth: Sehr spät, erst nach dem Studium, eigentlich erst mit Lateinamerika. Gerade auch in Spanien musste ich sehr viele lateinamerikanische Projekte spielen. Da habe ich auch Hochzeiten und sowas gespielt. Aber das war immer mit Salsa Bands oder das kommerziellste waren vielleicht so spanische Sevillanas. Und da habe ich gemerkt, bestimmte Sachen gehen am Saxophon, aber in einem bestimmten Stil ist die Flöte viel emanzipierter im Jazz. Im Jazz ist Saxophon viel emanzipierter als die Flöte. Da wird man manchmal ein bisschen belächelt, wenn man ankommt mit seiner Querflöte. Und in der lateinamerikanischen Musik ist es ja andersherum. Da ist das Saxophon manchmal vielleicht sogar ein bisschen fehl am Platz. Gerade die kubanische Musik. In der Charanga Musik ist die Flöte das hauptsächliche solistische Instrumente neben dem Sänger, alles andere sind Begleitinstrumente eigentlich. Wenn man sich das Orquesta Aragón ansieht mit Richard Egües. Da ist er der Solist. Es gibt eigentlich nur Gesang, Band und Solist, und das ist die Querflöte. Ähnlich ist es im Choro in Brasilien, in der Instrumentalmusik. Flöte und Klarinette sind unheimlich emanzipiert, auch das Saxophon. Aber ich sag mal, das Saxophon ist für meinen Geschmack, zumindest im traditionellen Choro nicht so emanzipiert wie im Jazz. Wenn ich dann Pixinghuina anschaue, das ist ein fantastischer Saxophonist und Komponist, aber was dann noch am Saxophon passiert ist im Jazz in den Folgejahren, das ist einmalig für den Jazz, sag ich jetzt mal, in den 50er, 60er, 80er  Jahren et cetera bis zu Michael Brecker.

Beate Sampson: In Zeiten von Vereinzelung und physical distancing, wie gehst du als Musiker mit dieser Situation um?

Kim Barth: Das sind zwei Aspekte. Das eine ist die Musik selbst. In der Musik ändert sich nix. Die Musik hat die Kraft, die Wichtigkeit im Dasein, um zu den Menschen zu sprechen. Diesen Stellenwert hat sie bei mir als Musiker, egal in welchem Zusammenhang ich außenherum gesellschaftlich stehe. In wirtschaftlicher Hinsicht als Musiker, sprich freiberuflicher Solo-Selbständiger und Musiker in Deutschland oder in Europa zu sein, hat es natürlich vehemente Effekte, das muss man so sehen. Das beste Beispiel ist die Tour, die jetzt abgesagt wurde Ende März. Solche Tourneen, die organisiere ich selbst, die haben einen Vorlauf in der Organisation von circa ein bis zwei Jahren. Sprich, was da ausgefallen ist, wurde 2019 in 2018 organisiert. Es ist jetzt weg, aber es ist absehbar, dass die letzten, die jetzt öffnen werden, die letzten, die zur Normalität zurückkommen werden, das werden die großen Events sein und auch die kleinen, engen Jazz Clubs. Sprich, selbst wenn die ganze Wirtschaft schon wieder hochgefahren ist - es ist ja sehr schwierig vorherzusehen im Moment, wie sich eventuell eine zweite Corona Welle zum Beispiel auswirken würde, wie man sie jetzt teilweise in Japan erlebt - werden keine Veranstalter im Moment bereit sein für 2020 irgendwas zu planen. Das bedeutet aber, wenn jetzt die Sachen für uns komplett weggefallen sind 2020, und ich jetzt mit Veranstaltern rede, dann sind die Veranstalter so in Bedrängnis in ihrer wirtschaftlichen Situation an sich, dass sie gar keine Zeit damit verschwenden wollen, jetzt für 2021 und 2022 zu planen. Den Vorlauf hätten wir jetzt mit zwei Jahren, eineinhalb Jahren vielleicht. Sprich: die ersten relevanten, richtig gut und groß organisierten Konzerte finden eigentlich erst Anfang 2022 statt. Und wenn man sich das mal anschaut, dann sieht man, dass es hier nicht um eine Quarantäne von ein, zwei, drei Monaten oder Kurzarbeit geht, sondern bei freiberuflichen Musikern, die auch Solo-Selbständige sind und ihre Karriere, ihre Konzerte und Tourneen quasi selbst initiieren, da entsteht ein Loch von zwei Jahren. Ein Jahr mindestens, eventuell zwei, die werden auf jeden Fall eine Bremsspur hinterlassen. Das ist ein wirtschaftlicher Brutaleffekt, jetzt abhängig von jedem einzelnen Musiker, wie sehr er ausschließlich abhängig ist von Tour und Konzerten. Da gibt es welche, die haben eine größere Gewichtung, und gibt manche, die unterrichten vielleicht nebenbei. Ich unterrichte auch nebenbei im Lehrauftrag an der Hochschule. Aber das reicht natürlich nicht.

Und das zweite ist dann: Als Musiker betreffen uns systemische Fragen in Bayern, in Deutschland, inwieweit mit dieser Krise umgegangen wird, wie mit Wirtschaftshilfen umgegangen und das ist im Moment ein großes Thema bei den Solo-Selbstständigen und Freiberuflern in Bayern, weil es werden zwar vollmundig Hilfen für Solo-Selbstständige und Freiberufliche angekündigt. Die sind auch sehr schnell geflossen in den Ländern, in Berlin, in Baden-Württemberg. Unkompliziert, weil das Geld kam sofort raus. In Bayern ist es nicht passiert. In Bayern ist das Ganze gekoppelt an Betriebskosten, sprich Miete, Pacht, Leasing. Und das hat dazu geführt, dass alle, die in der Infrastruktur sind, sprich Veranstalter, Agenturen, Leute die Betriebskosten haben, relativ schnell ran an diese Hilfen kommen. Aber die eigentlichen Künstler, Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, die den Content liefern, also die, die diesen gesamten Apparat eigentlich mit Inhalten am Leben erhalten, die dafür sorgen, dass diese ganze Maschinerie von Veranstaltern, Theatern, Agenturen und so weiter, überhaupt etwas hat, was sie umsetzen können, die fallen dort durch´s Netz. Denn sie haben meistens keine Betriebskosten. Sie arbeiten meistens aus ihren Lebenshaltungskosten heraus, aus dem eigenen Wohnzimmer, aus dem eigenen Schlafzimmer raus. Normalerweise kann man es sich als Künstler nicht leisten, ein großes Office oder sowas anzumieten. Und das heißt, die fallen da komplett durch die Maschen der wirtschaftlichen Unterstützung in dieser Corona Krise. Das halte ich für ein ganz negatives Signal, und das ist etwas, was mich beschäftigt, als Musiker und als jemand, der den Content liefert, jemand, der in Konzertsälen und auf Festivals spielt, jemand, der den Agenturen oder den Veranstaltern ermöglicht, Inhalte anzubieten. Dass diese Wertschätzung von den Inhalten nicht da ist, dass hier nur ausschließlich auf die Kreditfähigkeit, auf die systemrelevanten Miet-, Pacht-  et cetera Zahlungen geschaut wird, nur Hauptsache, dass keine Kredite ausfallen und solche Scherze, das ist sehr schwierig. Da zerbreche ich mir sehr den Kopf. Wo stehe ich hier eigentlich als Musiker in dieser Gesellschaft? Will ich hier stehen, will ich das, was ich tu eigentlich noch weiterhin teilen unter diesen Bedingungen?

Es gibt eine andere Situation zum Beispiel in den Hochschulen. Der Anteil am Unterricht an Musikhochschulen in Bayern wird zu 40 Prozent von Lehrbeauftragten geleistet. Davon sind sicherlich über die Hälfte Freiberufler und Solo-Selbständige. Der Freistaat Bayern sichert sich ab. Es gibt ein Gesetz, dass man nicht scheinselbständig sein darf. Und der Freistaat Bayern sichert sich gegen sein eigenes Gesetz ab, indem  er die Lehrbeauftragten am Anfang eines Semesters unterschreiben lässt, dass die Lehrbeauftragten ihr Haupteinkommen woanders haben und nicht im Lehrauftrag. Es ist sehr interessant und sehr lustig. Lustig ist das nicht. Es ist traurig, das muss man so sagen. Denn da ist natürlich die Rechtsabteilung des Freistaats Bayern, die sind Profis. Und die Lehrbeauftragten, da balancieren einige schon immer so hin und her zwischen Lehrauftrag und ihren übrigen Einnahmen. Wenn die übrigen Einnahmen jetzt weggebrochen sind, dann ist es ein Fact, dass wahrscheinlich bei der Hälfte – das sind immerhin 20 Prozent der Lehrbeauftragten in Bayern - diese Verpflichtungserklärung nicht korrekt ist, beziehungsweise eine Lüge, eine Falschaussage. Und das ist eine Katastrophe eigentlich. Denn der Freistaat Bayern zwingt die Lehrbeauftragten eigentlich, diese Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, und die Leute tun es auch. Aber wenn sie es nicht tun würden, dann würden sie den Lehrauftrag nicht bekommen. Und dann hätten sie gar kein Geld mehr. Und das ist auch die letzte Empfehlung in dieser Corona Hilfe vom Freistaat Bayern: Lebenshaltungskosten werden nicht gedeckt, und wer da ein Problem hat, soll gefälligst zur ARGE gehen. Und das ist natürlich für einen Menschen, der sich sonst sehr selbständig um seinen Lebensunterhalt und seine ganzen Ausgaben kümmert, das ist ein harter Schritt, egal, ob er jetzt Künstler oder Musiker ist oder Arbeiter oder Selbständiger in einem anderen Beruf. Das ist ein harter Schritt und er wird sehr stark forciert in der Corona Soforthilfe des Freistaates Bayern, beziehungsweise der Bundesrepublik für Freiberufler und Solo-Selbstständige. Und da muss ich sagen, bin ich empört.

Beate Sampson: Ja, jetzt haben wir sehr lange geredet

Kim Barth: und weit ausgeholt

Beate: und das ist auch gut so, und ich bin auch sehr froh darüber und möchte mich herzlich bei dir bedanken.

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