Er spielte Klavier "wie ein brüllender Löwe" und er hat das moderne Jazzpianospiel in seinen Grundfesten verändert. Am 6. März 2020 ist Jazzlegende McCoy Tyner im Alter von 81 Jahre gestorben.
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Ein Donnergrollen ganz am Anfang. Schlagzeug, Kontrabass und vor allem das Klavier beginnen mit eine ungeheuren Wucht. Der Akzent auf den ersten Schlag ist wie ein Statement. Wir verändern alles, was bisher galt. Aber schon während der ersten acht Takte dieser Einleitung erfolgt ein Decrescendo, alles wird leiser, pendelt sich ein, die nächsten acht Takte führen dann über in den wiegenden Walzertakt, bis das Sopransaxophon mit dem Thema beginnt. Ein Jazzwalzer aus dem Musical "Sound of music". Lieblingsdinge werden besungen: cremefarbene Ponys, Apfelstrudel oder Schnitzel mit Nudeln.
Aber in dieser Instrumentalversion des Stücks spielt all das keine Rolle. Es geht um etwas anderes. Um die Suche nach einem neuen Ausdruck. Fast 14 Minuten lang erforschen die vier Musiker den Klangraum, mit glühender Intensität und berstendem Ausdruckswillen. Einer dieser Musiker ist Saxophonist John Coltrane, ein anderer Pianist McCoy Tyner. Spätestens mit dieser Aufnahme von "My Favorite Things" zählte der damals 21-jährige Pianist zu den wegweisenden Musikern des Jazz im Aufbruch am Beginn der 60er Jahre.
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My Favorite Things - John Coltrane [FULL VERSION] HQ
Der Mann, der diese mächtigen Klavierakkorde spielte, McCoy Tyner, ist am 6. März im Alter von 81 Jahren in New Jersey gestorben. Auf seiner Facebook-Seite wurde das bekannt gegeben und viele Musikerinnen und Musiker erinnern an ihn, darunter Saxophonist Wayne Shorter, Sängerin China Moses, Pianist Fred Hersch, Schlagzeuger Johnathan Blake und andere.
Alfred McCoy Tyner wurde am 11. Dezember 1938 in Philadelphia geboren und wuchs in derselben Gegend wie John Coltrane auf. Aber zunächst waren die beiden in der Nachbarschaft lebenden Pianisten Bud und Richie Powell größere Einflüsse. Die beiden Brüder, aber auch die Musik von Thelonious Monk, beeindruckten den jungen McCoy. Im Alter von 15 Jahren trat er schon mit unterschiedlichen Jazzgruppen auf. Seine Familie unterstütze ihn in seiner Berufswahl als Musiker. Schon Ende der 50er Jahre hatte McCoy Kontakt zu dem zwölf Jahre älteren Saxophonisten Coltrane. Als dieser seine harmonisch äußerst komplexen Kompositionen "Giant Steps" und "Countdown" schrieb, zeigte er sie McCoy und sagte, "Ich weiß, dass Du das spielen kannst, aber du bist zu jung." Noch. Diese Treffen zwischen Coltrane und Tyner beschreibt der Autor Ashley Kahn in seinem Buch über die legendäre Platte "A Love Supreme" mit viel Atmosphäre.
1960 holte der Saxophonstar den jungen Pianisten dann in seine Band, und von 1962 an bestand das sogenannte "klassische Quartett" neben Bandleader Coltrane aus McCoy Tyner am Klavier, Jimmy Garrison am Kontrabass und Elvin Jones am Schlagzeug. Diese Band nahm Alben auf, die Jazzgeschichte schrieben und sie dauerhaft verändern sollten: "Live at Birdland", "Crescent", das Jahrhundertalbum "A Love Supreme". Aber auch Coltranes Zusammenspiel mit Sänger Johnny Hartman wurde vom Trio Tyner, Garrison, Jones begleitet. Hier hört man besonders gut, wie viel traditionellen Background McCoy Tyner besitzt. Er begleitet äußerst geschmackvoll, aber auch sehr flexibel swingend. Weit weniger modern klingt der Pianist hier als in den reinen Quartett-Aufnahmen dieser Zeit.
Nach fünf Jahren in Coltranes Band verließ der Pianist die Gruppe. Coltranes Stil wurde immer freier, Tyner wollte aber weiter in harmonisch strukturierten Bahnen Musik machen.
Seine erste Platte unter eigenem Namen nach seiner Zeit bei Coltrane wurde selbst ein Meisterwerk und zeigt Tyners Stärke als Komponist und Bandleader: "The Real McCoy". Der Titel ist ein Wortspiel, im Deutschen gibt es die Übersetzung "der wahre Jakob" für diese Phrase, was soviel bedeutet wie "das Echte", etwas passender ist aber "genau der Richtige" und das trifft bei McCoy Tyner besonders zu. Dieses Album ist zwar von Coltranes Musik inspiriert, grenzt sich aber auch zu dieser ab und geht - nicht zuletzt durch einen anderen, sehr starken Saxophonisten, Joe Henderson - andere Wege. "Passion Dance" und "Search for Peace" sind energetische Meisterwerke, mal expressiv, mal intim. Über allem schwebt Tyners erhabenes Klavierspiel.
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McCoy Tyner - Search For Peace
Pianist McCoy Tyner beim Jazzfestival in Montreux am 14. Juli 1986. | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Etliche Alben veröffentlichte der Pianist und unzählige Tournee weltweit absolvierte er. Sein Gastspiel 1987 bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen gehört zu einem der Highlights im BR-Archiv. Hier war Tyner sogar mit einem äußerst traditionellen Repertoire zu erleben. Swing-Stücke wie etwa "Lil' Darlin'" von Komponist und Arrangeur Neal Hefti hatte er da mit seinem Trio im Repertoire. Und auch in dieser Aufnahme ist eines zu spüren: Die Klavierbässe sind besonders präsent und wuchtig - McCoy Tyner ist Linkshänder.
Sein Stil griff die Tradition des Stride Piano auf, in der die linke Hand oft stark akzentuierte Quinten lieferte, und führte diese in eine moderne, modale Spielweise über.
"Er spielt Klavier wie ein brüllender Löwe", sagte der US-Kritiker Bill Cole, und dieses Brüllen hat Tyner an unzählige Pianisten weitergegeben. Die Explosivität, die er in die linke Hand gelegt hat, ist aus dem heutigen Pianospiel im Jazz nicht mehr wegzudenken. "Du musst eins werden mit deinem Instrument", das betonte McCoy Tyner immer wieder. Er hat das geschafft.
Jazztime - News & Roots am Dienstag, 10. März 2020
Zum Tod des Pianisten McCoy Tyner
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer
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