Er ist exzellenter Jazzer, Improvisator, Rockmusiker, unnachahmlicher Musikclown mit klassischer Ausbildung. Am 30. August feiert Helge Schneider seinen 65. Geburtstag. Und auch mit dem Eintritt ins Rentenalter drängt es ihn noch immer auf die Bühne. Das Porträt eines Getriebenen.
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Rund fünf Monate ist es her, da veröffentlichte Helge Schneider ein Video auf Facebook. Das tut er immer wieder. Klamaukiges, Musikalisches, Dadaistisches kann man da im Zweiminuten-Format von Schneider haben. Immer hochkant gefilmt, eigentlich ein No-Go in Sachen Handyvideos, aber bei Schneider gehört es zum Stil.
In diesem Video – ungefähr zu Beginn des Lockdowns – sitzt der Meister am Flügel, trägt einen rentnergrauen Hut und einen roten Schal. Er beugt sich nah an die Tasten und fragt in Richtung Kamera: "Ja, was macht man so den ganzen Tag jetzt?" Einiges zählt Schneider auf: Rasenmähen, Brotbacken lernen, Erste-Hilfe-Kurs per Internet – untermalt von Klavierakkorden – und dann kommt der entscheidende Satz: "Mensch, ich bin so froh, dass ich Klavier spielen kann!"
Für Helge Schneider war die Zeit ohne Konzerte nicht leicht. Im Mai veröffentlichte er eine ziemlich ernste Videobotschaft und verkündete, er brauche sein Publikum um aufzutreten und werde erst wieder auf die Bühne gehen können, wenn es keinerlei Corona-bedingte Einschränkungen mehr gebe. Vor Autos in Autokinos werde er sicher nicht spielen. Falls ein Normalzustand nicht möglich sei: "war's das". Ein harter Satz aus Helge Schneiders Mund am Ende seines Statements. Schneider muss Menschen sehen, sie spüren während seiner Konzerte, ohne das Gegenüber geht es nicht. In kleiner Besetzung ist Helge Schneider nun wieder unterwegs. Das war’s also noch nicht. Gut so, denn auch im Rentenalter von 65 hat er noch sehr viel zu geben.
Komiker und Musiker Helge Schneider | Bildquelle: © BR, Markus Konvalin In der Krisenzeit war Schneider nämlich nicht faul: Sein Corona-Crooner-Hit "Forever at home" zeigt Helge als knarzigen Scater, ganz im Geiste Louis Armstrongs, und als lässigen Entertainer mit Frank-Sinatra-Anleihen. Tangoselig setzt Helge sein "Herz bei Ebay rein" und nimmt die unzähligen Online-Plattformen zum Kaufen, Verkaufen, Kommunizieren und Connecten aufs Korn. Einen mexikanischen Trompeter und einen argentinischen Cellovirtuosen gibt Schneider im Video. Als Hintergrund fungieren im Wechsel ein blumenumsäumter See, ein Wohnwagen, ein Kickertisch oder die untere Etage eines Hochbetts. Herrlich schräg, herrlich Schneider …
Der größte Hit des 1955 in Mühlheim an der Ruhr geborenen Musikers ist immer noch "Katzeklo", komponiert im Jahr 1993. Er spielt es fast in jedem Konzert und er sagt daüber: "Das bedeutet für mich ja Bewegungsfreiheit ohne Ende. Ich kann machen, was ich will und deshalb bin ich auch ganz dankbar, dass ich zufälligerweise die Chance hatte, damit sogar an die Öffentlichkeit zu kommen."
Damit kann ich den Kram machen, den ich jetzt immer mache.
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Weitere Folgen von "Helge Schneider erklärt Jazz" gibt es hier
Los ging es bei Helge Schneider aber eher klassisch mit Klavierunterricht und da war "Für Elise" von Ludwig van Beethoven eine, wie Schneider sagt, "Maßnahme" als er fünf oder sechs Jahre alt war. Aber die Rockmusik, der Blues und der Jazz faszinierten das junge Musiktalent bald und auch im etwas beschaulichen Mühlheim gab es für den jugendlichen Helge die Möglichkeit, an diese Musik zu kommen: "Man ging in die Stadtbücherei, da konnte man sagen: 'Ich hätte gerne mal von dem Herrn Hendrix die Schallplatte Electric Lady Land ausgeliehen.' Dann sagte der Typ: 'Oh das weiß ich aber nicht, ob das Cover für Euch das richtige ist.' Wir waren ja erst 14 und da waren ganz viele nackte Frauen drauf."
Bekam man das Album dann doch, ging es in die schalldichte Kabine. Dort hörte Helge zusammen mit seinem Freund Uli diese Platten, Hendrix und den Blueser Johnny Winter, den Schneider sehr bewunderte, so lange und laut, bis der beflissene Bibliotheksangestellte darum bat, doch etwas leiser zu machen. Richtig schalldicht waren die Kabinen wohl doch nicht.
Die Schule brach er ab, die Lehre als Bauzeichner, das Jungstudium im Fach Klavier am Duisburger Konservatorium. Schneider arbeitete als Landschaftsgärtner, Polsterer, Dekorateur, Tierpfleger, Straßenfeger, hing viel im Eduscho-Kaffee in Mühlheim rum und lernte dort das "wahre Leben" kennen. Immer trieb es ihn hin zur Musik und zum Spiel mit Worten und Bildern. Bisher sechs eigene Filme hat er gemacht, 13 Bücher, Rund 20 Alben, Theaterstücke, Hörbücher, Zeichnungen, außerdem spielt er alle Musikinstrumente, die es gibt, also fast, und interessiert sich für fast alle Arten von Musik.
Helge Schneider und der Pianist Igor Levit | Bildquelle: BR/Martina Bogdahn Die schrägen Vögel sind dabei überall seine großen Inspirationsquellen. Beim Videodreh zur BR-KLASSIK Reihe "Helge Schneider erklärt Jazz" lag ein Büchlein über die Filme Karl Valentins in Schneiders Atelier. In einem Interview erzählte er, dass er den humorvollen Umgang mit der klassischen Musik von Victor Borge, einem dänischen Pianisten, gelernt hat. Borge war ein Virtuose, der seine Probleme mit der Ernsthaftigkeit des Klassikbetriebs hatte. In den USA wurde er Mitte des 20. Jahrhunderts zum Star. Schneiders Version der "Mondscheinsonate" von Beethoven ist stark von Borge beeinflusst.
Auch unter den Jazzern hat sich Helge die besonders kantigen als Einflüsse ausgewählt, etwa Piano-Anarcho Thelonious Monk oder Froschbacken-Trompeter Dizzy Gillespie oder Tenorsaxophon-Gott Coleman Hawkins. Mit klassischen Komponisten kennt sich Schneider auch aus: Beethoven ist für ihn der "unglaubliche Hulk", Bach so logisch wie Mathematik und Mozart ist für Schneider fast Popmusik. Sogar über das Flötenwerk von Georg Philipp Telemann kann man mit Helge Schneider plaudern. So einem wird nie langweilig, gut dass er noch lang nicht in Rente geht, der Musikclown, des Universalgenie: Helge Schneider.
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