Der 77-jährige Jazzstar Herbie Hancock begeisterte in der ausverkaufen Philharmonie am Gasteig mit seinen Rockjazz-Grooves und mit einer überraschend konkreten Werkschau seiner ganz großen Hits.
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(Foto: Pianist Herbie Hancock bei Jazz Baltica 2012)
Er geht in die Luft, ganz zum Schluss, zum letzten Akkord. 77 Jahre ist dieser Mann alt, hält einen weißen Umhänge-Synthesizer in den Händen und er hüpft hoch wie ein Rockgitarrist um die zwanzig. Zum Finale seines letzten Konzertes einer ausgiebigen Welttournee hält es Herbie Hancock nicht mehr am Boden. Seit Sommer war er auf Tournee mit seiner Band und jetzt ist Schluss, zumindest bis März 2018. Als "dream audience" hatte Hancock vorher schon in einer Ansage das Münchner Publikum in höchste Höhen gehoben: ein Publikum, "das sich öffnet und einfach zuhört", lobte er da explizit; denn in den ersten zwanzig Minuten konnte man noch nicht genau wissen, wohin die musikalische Reise an diesem Abend gehen würde. Nun, am Ende, gab es großen Beifall, stehende Ovationen und glückliche Gesichter auf der Bühne und davor.
Was ist das immer noch Bezaubernde, das so Einzigartige an diesem Mann und seiner Musik?
Herbie Hancock bei einem Konzert im November 2017 in London | Bildquelle: picture-alliance/dpa Herbie Hancock scheint in den Jungbrunnen gefallen zu sein. Keine Spur von Altersmüdigkeit oder Altersmilde und auch kein zielloses Dahingrooven. Der Pianist will es auf der Bühne wissen, und sein Spiel strahlt das im Münchner Konzert auch aus. In seinem "Hancock-L" aus Fazioli-Flügel und Korg Kronos-Synthesizer herrscht bei den Themen ein ständiges Drehen von Klavier zu Keyboard und zurück. Die Soli spielt er dann aber überraschend oft am Flügel und hier spürt man, warum dieser Musiker so einen unangefochtenen Ruf als Säulenheiliger des Jazz hat. Hancocks Soli scheinen eine Extraportion Sauerstoff zu enthalten. Was an dem besonders hell-durchscheinenden Klang des Flügels liegen mag, vor allem aber an der Klarheit und Griffigkeit der Phrasen. Hancocks Timing drängt nach vorne. Er platziert seine Akzente nicht nur genau auf die Zählzeit, er scheint sie sogar etwas davor zu setzen. Das erzeugt etwas Treibendes und Unbedingtes. Hancock spielt nach vorne in der Zeit. Dabei geht es nicht unbedingt um das, was er spielt, sondern wie er es spielt. Immer bedingungslos und immer konkret fassbar. Hancocks Linien sind zielführend und klar, und das macht seine Weltklasse aus. Kein Schnickschnack, sondern ein lustvolles, pfeilgerades Eintauchen in Töne und Stimmungen.
Seine drei Partner könnten vom Alter her seine Söhne sein und bringen einen riesigen Erfahrungsschatz aus der afroamerikanischen Musik mit. Am meisten im klassischen Jazz verwurzelt ist der 51-jährige Bassist James Genus, hier nur am E-Bass zu hören. Der hervorragend gelaunte Bandleader betont in einer Bühnenansage, Genus sei ein sehr junger Veteran des Jazz und schon auf unzähligen Einspielungen zu hören. Schlagzeuger Trevor Lawrence jr. dagegen kommt aus dem Hiphop-Bereich und arbeitete mit Rapstars wie Snoop Dogg, Eminem oder 50Cent. Diese Sozialisation ist bei jedem seiner Schläge mit den Schlagzeugsticks spürbar. Er spricht seinen Hiphop-Slang in diesem Rockjazz-Gespräch ungeniert weiter, und das sorgt für extreme Frische, aber auch für manchmal zu heftigen Schalldruck, besonders in der akustisch diffizilen Philharmonie. Der vierte Mann mit Altsaxophon, hinter Synthesizer, Vocoder und Keyboard stehend, ist Terrace Martin - wahrlich ein großer Name in der aktuellen Hiphop- und R'n'B-Szene. Er hat das Grammy-Abräumer-Album "To Pimp a Butterfly" von Kendrick Lamar mitproduziert und wird auch der Produzent des kommenden Albums von Herbie Hancock sein. Dieser junge Mann Ende dreißig sitzt oft ruhig am rechten Bühnenrand auf einem Regiestuhl hinter seinen Tastaturen und betrachtet seinen Schützling, die Jazzlegende, hinter dem Flügel und scheint zu grübeln, wie er diese Musik später im Studio dann noch fetter, hipper und grooviger produzieren kann. Spielt er Saxophon, erinnert sein schneidend-angefunkter Ton an Kenny Garrett, und seine zahlreichen Töne steigern sich virtuos, manchmal aber nichtssagend in die Höhe. Schraubt er an seinen Elektrogeräten, kommen krude, subversive und knisternde Sounds heraus, die vielleicht etwas zu wenig Atemluft in der Dichte von Hancocks Musik haben.
Herbie Hancock bei einem Konzert im November 2017 in London | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Das Münchner Publikum verwöhnen die vier dann mit Altem und Neuem aus Hancocks Feder. Seine großen Hits wie "Cameleon" oder "Cantaloupe Island" packt er dann genauso aus wie das weiße AX-Synth-Umhänge-Keyboard, mit dem er schon vor Jahrzehnten Trompeter Miles Davis herausgefordert hat.
Natürlich gibt es auch Passagen mit Eso-Luftgeräuschen, Future-Harfenklängen, blechstimmigen Roboter-Vocoder-Sounds und einem scheinbar beliebigen Experimentieren an den Funktionstasten des Korg-Keyboards, aber diese Parts bleiben dankenswerter Weise kurz und überschaubar.
Einmal nur setzt Hancock am Piano zu einer Balladen-Einleitung an, die aber nach dreißig Sekunden schon ruckartig in den Groove von "Cantaloupe Island" übergeführt wird.
Herbie Hancock, der ewig Junge, konnte sich in München für sein sympathisches Auftreten, seine Groove-Kraftwerk-Band und die Momente, in denen er ganz viel musikalischen Sauerstoff aus seinen Fingern in die Tasten fließen lässt, zu Recht feiern lassen. Da darf man dann auch mal in die Luft gehen, auch mit 77 Jahren.
Kommentare (4)
Freitag, 01.Dezember, 23:25 Uhr
Erich Henkel
Hancock in München
In Reihe 1 war der Flügel nicht zu hören, die drums waren zu laut und die Saallautsprecher hingen quasi über uns. Die Bühnen-Lautsprecher waren machtlos gegen das Schlagzeug im Dauer-Power-Einsatz. Das Konzert war nur für head-banger interessant.
Zumindest auf den teuersten Plätzen reine Geld- und Zeitverschwendung. Hancocks VSOP und sein Album RIVER ge hören zu meinen ewigen Lieblingsplatten, ich hatte mich gefreut, den Meister live zu erleben und dann.....
Freitag, 01.Dezember, 17:13 Uhr
Ulrich Habersetzer
Herbie Hancock in der Philharmonie am Gasteig
Lieber Stefan K., lieber Stefan Danhof,
vielen Dank für Ihre Kommentare. Ich kann Ihre Standpunkte absolut verstehen und nachvollziehen.
Im Jahr 2000 durfte ich Herbie Hancock auch in der Philharmonie am Gasteig erleben, damals in Sextett-Besetzung und, soweit ich mich erinnere, nur am Flügel. Dieses Konzert ist mir als akustischer Brei und ziemlich heftiger Schlagzeug- und Percussion-Lärm in Erinnerung.
Diesmal saß ich näher an der Bühne und war deshalb so erstaunt und beglückt vom klaren und griffigen Pianospiel Hancocks, das an meinem Platz sehr gut hörbar war. Mir hat auch seine offene, junggeblieben Art großen Respekt abgenötigt.
Es ist natürlich sehr schade, dass Sie schon aus akustischen Gründen nicht einen ähnlichen Konzertgenuss haben konnten wie ich.
Die elektronischen Klangerzeuger gehören ja schon seit den späten 60er Jahren zu Herbie Hancocks persönlichem Sound und sind auch so etwas wie seinen Markenzeichen. Mir ganz persönlich gefällt er aber auch am Flügel am besten.
Donnerstag, 30.November, 22:28 Uhr
Stefan Danhof
Hancock in München
Lieber Ulrich Habersetzer,
was uns die Sound-Mischer von Herbie Hancocks genialer Band am Mittwoch in der Philharmonie präsentiert haben war eine Unverschämtheit! Man fragt sich in Zeiten der Digitalisierung, wo auch die Mikrofonierung eines Flügels kein Problem mehr darstellt, was für ein Klangidieal uns die Jungs denn eigentlich nahe bringen möchten. Hancock spielt einen Fazioli Konzertflügel- eigentlich das Beste was es gibt - und es klang wie ein Blecheimer. Das nur als kleines Beispiel. Schade, Hancock ist doch einer der vielleicht kreativsten Musiker im Umgang mit Technik und dann scheitert es an der PA, sehr schade. Trotzdem war ich froh dabei gewesen zu sein, aber in Zukunft werde ich doch eher wieder zu den Records greifen, klingt einfach besser solange solche Mischer am Werk sind.
Donnerstag, 30.November, 17:20 Uhr
Stefan K.
Ohrenvoll
Lieber Ulrich Habersetzer,
als dem Jazz gegenüber offener Hörer - dem aufgrund fortgeschrittenen Lebensalters einige bereits die Schwerhörigkeit nachsagen - haben sich mir während des Konzerts gar die Kaumuskeln verkrampft. Lag es an der schlechten Akustik des Gasteig, an den möglicherweise miserablen abgestimmten Instrumenten (Altsax klang schriller als Tenorsax) oder dem Riesenlautsprecher gegenüber der Galerie K? Einverstanden, wenn Musiker neue Wege gehen, aber ich habe bei diesem Konzert leider die Orientierung verloren, muss alles elektronisch hinterfüttert werden? Wozu ein Saxofon wenn es AX-Synth gibt und noch ein Synthesizer? Schalldruck ist noch ganz sanft ausgedrückt in Bezug zu dem, was sich da abgespielt hat..., zuweilen kam mir das Gespielte vor wie Brain Salad Surgery oder Tarkus aus Keith (selig) Emersons Zeiten. Wenn Schnaps nicht gut ist, serviert man ihn in geeisten Gläsern, und viele überspielen Lücken mit Lautstärke. So subjektiv war mein Eindruck.