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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 7 Hören wir Gutes und reden darüber!

In Corona-Zeiten haben Jazz-Alben einen neuen Stellenwert erhalten: Nicht in Konzerten erreichen Musikerinnen und Musiker ihr Publikum, sondern mit Aufnahmen. Wir stellen vier besondere CDs vor.

Cover Bill Carrothers/ Vincent Courtois: Firebirds | Bildquelle: La Buissonne

Bildquelle: La Buissonne

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 7" hier zum Nachhören – mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
Diese Ausgabe wurde mit dem Deutschen Radiopreis als beste Sendung 2022 ausgezeichnet.

In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Ulrich Habersetzer und Roland Spiegel zum siebten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende vier Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Bill Carrothers/Vincent Courtois: "Firebirds" (Label La Buissonne)

Die "Feuervögel" sind rötlich angeleuchtete Möwen und fliegen am mediterran blauen Himmel, an dessen Horizont wattige, mattweiße Wolken vielleicht einen Wetterwechsel andeuten. Mühelos durch die Lüfte in himmlischer Weite. Dieses Motiv allein macht schon neugierig auf das Album. Und die beiden Namen auf dem Cover dann gleich noch mehr: Bill Carrothers und Vincent Courtois. Beide haben sie in den letzten 30 Jahren hochkarätige Alben herausgebracht und an ihnen mitgewirkt. Der Toningenieur Gérard de Haro hat das Aufeinandertreffen des amerikanischen Pianisten und des französischen Cellisten initiiert. Auf seinen Lockruf hin kamen die zwei Musiker, die sich vorher noch nie getroffen hatten, zu ihm nach Südfrankreich ins Studio "La Buissonne" und spielten in einer stellaren Aufnahmesession, zu der für zwei Stücke auch der französische Baritonsaxophonist Éric Séva stieß, an einem Tag ein Album von immenser Intensität ein. Traumhaft, wie in den vornehmlich getragenen Tempi das Farbenspiel ihrer Klänge leuchtet und wie sie dem melancholischen Grundton ihrer Musik etwas tröstlich Anheimelndes geben, wenn sie ihn mit subtil eingesetzter harmonischer Opulenz umhüllen. Meisterhaft und hochsensibel ist auch ihre Agogik, wenn sie im luziden Miteinander durch ein Repertoire manövrieren, in dem sie klassisch modern, impressionistisch, romantisch und immer beseelt Klassiker wie "Isfahan" oder "Circle Game" neu ausdeuten, Stücke von Vincent Courtois interpretieren oder zwei spektakulär schöne Stücke ad hoc komponieren.

Ayumi Tanaka Trio: "Subaqueous Silence" (ECM)

Cover Ayumi Tanaka Trio - Subaqueous Silence | Bildquelle: ECM Records Ayumi Tanaka Trio - Subaqueous Silence | Bildquelle: ECM Records Ein Einzelton vom Klavier. Dann Stille. Noch ein einzelner Ton. Wieder Stille. Unverhofft nun: zwei Töne vom Klavier, gleichzeitig. Dann wieder Stille. Zwischen zwei Klängen ist das schon mal eine Pause von über fünf Sekunden. Diese Musik ist kompromisslos langsam. Nicht quälend, aber konsequent. Töne und Nicht-Töne, die eine Art magnetischer Kraft entwickeln. Sie werden nicht unbedingt mehr - aber intensiver, vereinzelt auch lauter. Nur scheinbar passiert da ganz wenig. Aber zwischen den gespielten Noten - und auch in ihnen, weil sie so gut gewählt sind - öffnen sich ungeahnt kraftvolle Räume. Die 1986 in Japan geborene und seit 2011 in Oslo lebende Pianistin Ayumi Tanaka spielt hier im Trio mit Kontrabassist Christian Meaas Svendsen und Schlagzeuger Per Oddvar Johansen. "Subaqueous Silence" (Unterwasser-Stille) heißt das Album. Und in der Tat kann man sich beim Hören fühlen wie jemand, der in eine seltsam andere Tiefe eintaucht. Unter der Oberfläche begegnet er dann Musik von besonders langsamer Eindringlichkeit. Die Stücke sind dabei keineswegs immer gleich - und faszinierend auf unerwartete Art. Da kann es sein, dass der Bass mit gestrichenen Tönen in ganz schrille Höhen geht, möglicherweise noch begleitet vom Sirren eines mit dem Bogen gestrichenen Becken des Schlagzeugers, und doch stellt sich beim Hören ein eigenwilliger Genuss ein. Da begleitet das Schlagzeug eine lyrische, von viel Innehalten unterbrochene Linie von Klavier und Bass mit ganz feinen, lang klingenden und mal auch wischend-zischenden Becken-Akzenten – und es entsteht ein sanfter Sog, der die Zuhörer beharrlich immer weiter in diese eigene Klangwelt hineinzieht. Hört uns, wir sind anders, sagen diese Stücke. Sie sagen das natürlich mit großen Pausen. Eigentlich so: "Hört … … uns … … … wir … … … sind … … anders." Und das stimmt. Ein ganz eigens Hör-Erlebnis! Da, wo Töne nicht gehäuft erscheinen und wohlgesetzte Lücken lassen, kann sehr viel Ausdruckskraft verborgen sein.

Alexandra Lehmler & Matthias Debus: "Tandem" (Neuklang)

Cover Alexandra Lehmler & Matthias Debus - Tandem | Bildquelle: Neuklang Alexandra Lehmler & Matthias Debus: Tandem | Bildquelle: Neuklang Warm und rund klingt der Kontrabass. Der Puls dieser Töne gibt Halt und Sicherheit. Dann tastet sich ein Sopransaxophon in diesen Puls hinein: zart und zerbrechlich. Mal knickt der Klang weg, nur noch ein Rauschen ist zu hören. Der Bass aber hilft. Die Saxophontöne scheinen sich am Kontrabass aufzurichten. Gemeinsam schwingen sie sich hoch, in die Lüfte. Die Musik beginnt zu fliegen. "Flieg, kleiner Vogel" heißt das Stück. Saxophonistin Alexandra Lehmler und Bassist Matthias Debus spielen und kommunizieren hochmusikalisch und sehr lebendig auf ihrem neuen Duoalbum "Tandem". Auf der Bühne und im Leben sind die beiden ein Paar, sie haben ihren gemeinsamen Rhythmus gefunden.
Aber nicht nur vorsichtige Dialoge gibt es auf dem Album. Alexandra Lehmler spielt neben dem Sopransaxophon auch Alt- und Baritonsaxophon, mit dem sie knackig grooven kann. Dazu gibt es mehrstimmig übereinander gelagert die Sounds von Klarinette, Bassklarinette und Querflöte, und es wird sogar gesungen. Drei kurze, wohl spontan entstandene Improvisationen mit dem passenden Titel "Schräge Vögel 1-3" gibt es auch. Ein abwechslungsreiches, vielfarbiges und lebensfrohes Hörvergnügen ist "Tandem" von Alexandra Lehmler und Matthias Debus.

Frank Kimbrough/Masa Kamaguchi/Kirk Knuffke: "Ancestors" (Sunnyside)

Frank Kimbrough/Masa Kamaguchi/Kirk Knuffke - Ancestors | Bildquelle: Sunnyside Frank Kimbrough - Ancestors | Bildquelle: Sunnyside Der amerikanische Pianist Frank Kimbrough gehört zur Riege der Jazzmusiker, deren Bekanntheitsgrad nicht korreliert mit der Qualität ihrer Musik und ihres Spielvermögens. Er war ein Meister der introspektiven Intensität - feinfühliger Gestalter von eigenen Kompositionen und Jazzklassikern und 27 Jahre lang eng verbunden mit dem Werk und der Bigband der Komponistin Maria Schneider. Am 30.Dezember 2020 ist er mit 64 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben und fehlt allen sehr, die mit ihm zusammengearbeitet haben oder von ihm unterrichtet wurden. Im September 2021 sind posthum Aufnahmen erschienen, die er schon 2017 gemacht hat. Aus dem ruhigen Fluss der elf Kompositionen spricht der besonnene, tief empfindende Charakter des Pianisten, der seine musikalische Vorstellungswelt gerne mit anderen teilte und ausgestaltete. Aus skizzenhaften, auf einem Notenblatt Platz findenden, starken Ideen bestehen seine Kompositionen, die er nie zu komplex anlegte und auch ungern probte. Lieber war es ihm, wenn er im Zusammenspiel mit Musikern auf einer Wellenlänge die in ihnen schlummernden, ungeahnt zarten und berührenden, poetischen Räume aus dem Moment heraus agierend öffnen konnte. Ganz wunderbar ist ihm das auf dem nun erschienenen Album "Ancestors" im Zusammenspiel mit dem New Yorker Kornettisten Kirk Knuffke und dem japanischen Bassisten Masa Kamaguchi gelungen. Zwei großartige, ausdrucksstarke Musiker und Klanggestalter, die mit Frank Kimbrough eine gemeinsame, musikalische Erzählung erschaffen und gestaltet haben, die Ton für Ton in ihren Bann zieht. 

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