In Corona-Zeiten haben Jazz-Alben einen neuen Stellenwert erhalten: Nicht in Konzerten erreichen Musikerinnen und Musiker ihr Publikum, sondern mit Aufnahmen. Wir stellen in der vierten Sendung dieser Reihe vier besondere CDs vor.
Bildquelle: ACT Music
Jazztime - 08.06.21
Hören wir Gutes Vol. 4 - gekürzte Version
"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 4" hier zum Nachhören – mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Ulrich Habersetzer und Roland Spiegel gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über die hier folgenden vier Alben wurde in der Sendung gesprochen.
Schon mit ihren ersten, a capella gesungenen Tönen nimmt Birgit Minichmayr die Hörenden gefangen. Viele Theaterfans und die Kritik bewundern sie als perfekte Schauspielerin. Und das ist eine schöne Volte bei einem Album, das nach einem Shakespeare Sonett "As an unperfect actor" heißt. Doch auch, wenn ihre herrlich aufgeraute Stimme im Zentrum der Musik eine ungeheure Sogkraft entwickelt, ist sie nicht der einzige Star des Albums. Denn alle glänzen, schimmern und leuchten in der beflügelten Ensemblearbeit an ihren Instrumenten und in den Rollen, die ihnen in den Kompositionen und Arrangements des Münchner Pianisten Bernd Lhotzy zufallen. Ihn kennt man bisher in der Jazzwelt vor allen Dingen als Teil der Band "Echoes of Swing". Als Meister des eleganten Harlem Stride Pianos und Schöpfer wunderbar humorvoller Klassik-Bearbeitungen. Der Saxophonist und Klarinettist Mulo Francel und zwei seiner Mitmusiker von der Band Quadro Nuevo gestalten gemeinsam mit dem jungen Jazzgitarristen Philip Schiepek unwahrscheinlich einfühlsam die instrumentale Umhüllung der Gesangsmelodien. Bernd Lhotzky lässt sie ihre Töne und Läufe genau dort hinsetzen und hin dehnen, wo sie der Musik einen Atem geben, der sofort die Verbindung aufnimmt zum Legato von Birgit Minichmayrs gehaltvoller Stimme, die singend zu uns spricht. Alles unterstützt die besondere Intensität ihrer Interpretation der jahrhundertealten, rätselhaft schönen Liebeslyrik, die sich an Tango, Milonga und kammermusikalisch rockende Rhythmen anschmiegt. Ein Gedicht ist diese rundum gelungene Vertonung von neun Shakespeare Sonetten.
Johanna Klein Quartet - Cosmos | Bildquelle: Berthold Records
Schon die ersten Töne entwickeln einen unwiderstehlichen Sog, so klar, durchscheinend und so selbstverständlich ist der Bandsound des "Johanna Klein Quartets".
"Cosmos" hat die in Rüsselsheim aufgewachsene und in Köln lebende Saxophonistin und Komponistin ihr aktuelles Album genannt. Es geht um das Zusammenwirken von Ordnung und Chaos. Der Kosmos, das Universum, ist Inspirationsquelle des Albums, einzelne Kompositionen sind etwa nach den Monden des Mars benannt. Spacig ist die Musik aber nicht, die das "Johanna Klein Quartet" macht. Es sind vielmehr ausbalancierte musikalische Erzählungen: Mal ist das elegische Lyrik, mal ein klingender Krimi in Kurzgeschichten-Format. Das Miteinander von Jan Philipp am Schlagzeug, Leo Engels an der Gitarre, Nicolai Amrehn am Kontrabass und Bandleaderin Johanna Klein am Altsaxophon ist ein durchgehendes Gespräch, rockige Einflüsse blitzen fast in jedem Stück auf. Immer wieder verschmilzt der Saxophonklang mit dem Gitarrensound, immer wieder muss man genau hinhören und ist von der subtilen Interaktion fasziniert. "Cosmos" vom "Johanna Klein Quartet" gehört zu den Jazz-Entdeckungen der jüngsten Zeit und wenn diese Band, die es erst seit 2018 gibt, so intensiv weitermusiziert, ist noch einiges zu erwarten.
Marie-Theres Härtel / Florian Trübsbach: Great Again | Bildquelle: Tradmotion Das Cover zeigt einen Traktor in bunter Wolkenkratzerkulisse und weist damit witzig den Weg zu den Klängen. "Great Again" heißt diese Duo-CD von Bratscherin und Akkordeonistin Marie-Theres Härtel und Saxophonist Florian Trübsbach. Ein Aufenthalt auf einer einsamen Alm bei Regenwetter brachte einst den Impuls für diese Aufnahmen. Das Duo saß auf der Hütte fest, hatte aber gottseidank einige Instrumente dabei. Florian Trübsbach lernte sogar Zither. Im Lockdown der Corona-Monate griffen die beiden Musiker die Ideen aus der Hütte wieder auf. Und es entstand ein Album, in dem auf hinreißend lustvolle Art Jazz und Einflüsse aus der alpenländischen Musiker ineinandergreifen oder auf spannende und völlig selbstverständliche Art nebeneinander stehen. Marie-Theres Härtel, bekannt aus der Szene der Neuen Volksmusik, aber auch aus Jazz-Aufnahmen mit der Performerin Erika Stucky und dem Trompeter Matthias Schriefl, spielt neben Bratsche, Geige und Akkordeon hier auch Schwegel (eine einfache Flöte) und singt; und Florian Trübsbach, Professor für Saxophon an der Hochschule für Musik und Theater München, greift sich neben dem Saxophon auch die Klarinette, geht ans Klavier, an die Zither - und singt ebenfalls. Ergebnis: Intime, rhythmisch mitreißende Duette mit Blas-Instrument und zackig gespieltem Streich-Instrument, archaische Flöten- und Atemsounds, die beim Hören schwindlig machen, und poetische Interpretationen von Klassikern wie Cole Porters "Love For Sale" oder Horace Silvers "Peace". Erkenntnis: Hütteneinsamkeit kann, wie es scheint, zu ungemein farbenreichen Klängen führen, bei denen sich die Lust der Spieler zu einer Lust der Hörer wandelt. Und Etiketten werden dabei völlig egal: Das ist Jazz, das ist alpenländischer Sound - und das ist letztlich einfach Musik. Und zwar ungemein schöne!
Bildquelle: Challenge Records Auch das neue, zweite Album des luxemburgischen Schlagzeugers Michel Meis ist von den ersten Takten an packend. Sein Quartett mit dem französischen Geiger Théo Ceccaldi als Gastsolist punktet mit groovender Energie durch alle Tempi in Verbindung mit starken Melodien, die in besonderen Klangfarben leuchten, wenn die Posaunistin Alisa Klein sie im Satz mit Ceccaldi spielt. In elf eigenen Kompositionen entfaltet die Band Musik, die trotz ihrer klaren Architektur Geheimnis und Seele hat. Alles ist im Fluss. Auch wenn mit starken Kontrasten gearbeitet wird, und Partien in voller Bandstärke mit verschachtelten rhythmischen Strukturen schlagartig romantisch-elegisch aufgelöst werden, bleibt der große Bogen bestehen. In den eingebettet die Soli aller Beteiligten, auch von Pianist Cédric Hanriot und Basssist Stephan Goldbach, zu besonderen Glanzlichtern werden.