Sein Saxophonklang: ein Klassiker. Für Fans des modernen Jazz sofort erkennbar. Einige wenige Töne, und sofort ist völlig klar: So klang nur das Tenor- respektive das Sopransaxophon von John Coltrane. Dieser Musiker wurde 1926 geboren und verstarb 1967 mit nur 40 Jahren. Als einer der allergrößten Instrumentalisten des Jazz wird er verehrt. Und nun kann man ihm ganz neu begegnen.
Bildquelle: imago/United Archives
Diese Aufnahmen kannte man bisher nicht. Sie waren verschollen: Stücke, die Coltranes berühmtes Quartett mit Pianist McCoy Tyner, Bassist Jimmy Garrison und Schlagzeuger Elvin Jones 1963 in Englewood Cliffs, New Jersey, aufnahm und die ein ganzes Album füllen. Am 29. Juni 2018 erscheint dieses Album: der spannendste gegenwärtige Gesprächsstoff in der Jazzwelt – und auch über die Jazzwelt hinaus sind die Aufnahmen von sehr großem Reiz. "Both Directions At Once: The Lost Album" (Impulse!-Records) heißt es.
John Coltrane | Bildquelle: Sepp Werkmeister
Einzelne Stücke wie "Impressions" und "Nature Boy" sind aus anderen Aufnahmen Coltranes bekannt – aber nicht aus dieser Studio-Session vom 6. März 1963. Hinter der Veröffentlichung des neuen Albums steckt eine verrückte Geschichte. Die Bänder dazu waren in den Beständen der Plattenfirma "Impulse!" offenbar bei einem Lager-Umzug verloren gegangen. John Coltrane aber hatte selbst, wie immer, eine Kopie der Aufnahmen. Und die tauchte vor kurzem auf: in der Familie seiner ersten Ehefrau Naima. Coltrane hatte die Bandschachteln eigenhändig beschriftet – und die Abfolge der Stücke war so gewählt, dass sie gut auf zwei LP-Seiten passten. Die jetzige Veröffentlichung wurde von Coltranes Sohn Ravi, dem bekannten Saxophonisten, mitherausgegeben.
In den sieben Stücken der regulären Ausgabe (darüber hinaus gibt es "Deluxe"-Editionen mit noch mehr Material) findet sich auch das Lied der Hanna Glawari aus Lehars Operette "Die lustige Witwe": "Vilia". Man kannte es damals im Jazz unter anderem durch Aufnahmen von Artie Shaw und Nelson Riddle. Das Stück passte zu einer der zwei wesentlichen Tendenzen John Coltranes zur damaligen Zeit. Zum einen nahm er populäre Melodien wie "My favorite things" und Balladen wie "You don’t know what love is" auf. Und zum anderen erging er sich in Klang-Erkundungen voller Intensität.
Studio-Album des John Coltrane Quartets von 1963 erscheint am 29. Juni 2018 unter dem Titel "Both Directions at Once: The Lost Album".
In Stücken wie "One up, one down" geht es zur Sache: John Coltranes Quartett zeigt hier, wie man Tonfolgen immer mehr verdichtet und Jazz zu einer so explosiven wie vorwärtstreibenden Trance-Musik macht. "Both directions at once": beide Richtungen auf einmal. Und so erlebt man hier den Avantgardisten Coltrane auf dem Weg zu dem Jahrhundertwerk "A love supreme" (das er anderthalb Jahre später aufnahm) – und den ungewöhnlichen Interpreten damals eher marktkonformer, bekannter Stücke (nur einen Tag später ging das Quartett mit dem Sänger Johnny Hartman ins selbe Studio). In beiden Richtungen war John Coltrane damals ganz auf der Höhe der Zeit. Besonders stark in diesen Aufnahmen: ein "Slow Blues" in F und ein Sopransaxophonstück, das nur die Bezeichnung "Untitled Original 11386" trägt. Track für Track kann man hier Entdeckungen machen. Ein schillerndes Meisterwerk als Verbindungsstein zu anderen Alben. Es fehlte bisher – und man wusste es nicht. Ein Glück, dass dieser musikalische Schatz gehoben wurde.
Sendung: Leporello am 29. Juni 2018 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Die Sendung Jazztime am 2. Juli 2018 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK widmet sich ebenfalls dem Album "Both Directions at Once: The Lost Album" (Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer)