"Country for old men" - der Titel der aktuellen CD verrät es schon. John Scofield, der Weltklasse-Musiker, der gerne auch mal die eigenen Genregrenzen verlässt, verleiht nun Country-Klassikern seine ganz persönliche Jazz-Note.
Bildquelle: © Nick Suttle
Jazzgitarrist John Scofield im Interview
Mit Liebe zum Country
BR-KLASSIK: Sie interpretieren auf "Country for old men" mit Ihrem Quartett Country-Songs. Was hält denn der Country für den Jazz bereit?
John Scofield: Eigentlich gab es da schon immer eine Art Crossover, wie bei jeder Musikrichtung. Ray Charles hat schon vor langer Zeit Country Songs gesungen. Leute wie Bob Wills haben bereits in den 1930er Jahren jazzigen Country gemacht. Warum ich glaube, dass diese Songs als Jazz funktionieren, hat aber einfach mit mir und meiner Vorliebe für diese Melodien zu tun. Wir haben sie eher traditionell verjazzt und so zum Swingen gebracht. Das gibt es beim Country ja eigentlich so nicht. Wir haben sie umgekrempelt und Jazz daraus gemacht. Es sind tolle Songs und ich spiele sie einfach gerne auf der Gitarre - mit einem leichten Country-Einschlag.
Gleich in zwei Konzerten können Sie John Scofield dieses Wochenende in Bayern erleben:
am Samstag, 22. Oktober, 20:00 Uhr im Kultur- und Tagungszentrum Murnau - im Rahmen des Weltmusikfestivals Murnau 2016
am Sonntag, 23. Oktober, 19:30 Uhr im Regensburger Velodrom - im Rahmen des LandesJazzfestivals Bayern
BR-KLASSIK: Die Beziehung zu einem Instrument ist ja auch immer ein bisschen so, wie eine Beziehung zu einem Menschen. Sie sind seit 40 Jahren Jazzgitarrist. Was ist Ihr Rezept gegen Routine? Wie schaffen Sie es, die Beziehung zu ihrer Gitarre lebendig zu halten?
John Scofield: Leicht ist das sicher nicht. Das Gute ist: In der Musik gibt es immer noch viel, was mich interessiert. Außerdem muss ich immer noch sehr viel Gitarre üben. Ich war nie ein Wunderkind oder so was. Und ich liebe Musik immer noch. Meine Frau wirft mir oft vor: "Du machst nichts als Musik", und irgendwie hat sie Recht. Aber wenn man älter wird, macht das Musizieren sogar noch mehr Spaß.
BR-KLASSIK: Sie haben jetzt einen sehr prägnanten Gitarren-Ton. Man erkennt sofort: Da spielt Scofield. Wie sind Sie da hin gekommen?
John Scofield: Das kam eigentlich fast von selbst. Ich habe allerdings ziemlich schnell verstanden, dass der Jazz einem die Freiheit lässt, seinen eigenen Stil zu entwickeln. Jazz ermutigt einen, nach sich selber zu klingen. Ich dachte: Das ist toll. Man braucht keine Angst zu haben, etwas Unnatürliches tun zu müssen. Wenn ich mir damals die großen Jazzer angeschaut habe, dann war da am Piano Bill Evans und auf der anderen Seite gab es einen Thelonious Monk. Sie spielen total unterschiedlich, aber beide sind grandios. So wurde mir klar, dass es ok ist, seinen eigenen Stil zu entwickeln. Wir alle haben unseren eigenen Stil, es ist wie mit der eigenen Stimme. Man kann gar nichts dagegen tun. Ich hatte am Anfang allerhöchstens die sehr vage Vorstellung, dass ich wie ein Saxophon klingen wollte. Weil ich einfach ein großer Fan von John Coltrane und den anderen großartigen Saxophonisten war.
1/7
Bildquelle: © Nick Suttle
2/7
Bildquelle: © Nick Suttle
3/7
Bildquelle: © Nick Suttle
4/7
Bildquelle: © Nick Suttle
5/7
Bildquelle: © Nick Suttle
6/7
Bildquelle: © Nick Suttle
7/7
Bildquelle: © Nick Suttle
Als ich in den frühen 70er Jahren anfing und nach meinem Sound suchte, spielten wir alle erst einmal Rock und Blues und sind dann zum Jazz gekommen. Die ältere Generation wie Wes Montgomery und Jim Hall hatte absolut keine Rock- und Blues-Einflüsse. Zu ihrer Anfangszeit in den 50er Jahren gab es nur diesen sehr frühen, etwas kindischen Rock 'n' Roll. Damit wollten sie natürlich nichts zu tun haben. Meine Generation war irgendwie zur rechten Zeit am rechten Ort, um mit einem eigenen Sound aufzutauchen. Heutzutage ist das viel schwerer. Die Gitarre ist heute schon so weit entwickelt. In der Hinsicht hatte ich echt Glück.
BR-KLASSIK: Es gibt in Ihrem Spiel "Signature-Licks", also kleine Phrasen, die wie Leitmotive in Ihren Soli immer wieder auftauchen. Sind das bewusst gewählte Markenzeichen?
John Scofield: Als Jazzmusiker muss man sich so eine Art musikalisches Vokabular erarbeiten, am Ende hat man dann ein paar Licks. Manchmal wünschte ich, ich würde sie nicht spielen. Das kann schon recht langweilig werden: Oh je, jetzt kommt das schon wieder. Aber andererseits haben alle irgendwelche Phrasen, die sie immer wieder verwenden. Genauso wie wir immer dieselben Worte benutzen. Also ja: Meine Licks sind bewusst gelernt, aber unbewusst eingesetzt.
BR-KLASSIK: Jazz ist eine sehr spontane Musik - wie groß ist der Einfluss der Umgebung auf Ihr Spiel? Beginnend bei den Musikern, aber auch, was das Publikum, die Bühne, die Größe des Saals, die Atmosphäre angeht?
Bildquelle: picture-alliance/dpa John Scofield: Natürlich hat das alles einen Einfluss. Es gibt noch so viele andere Kleinigkeiten, die uns gar nicht unbedingt bewusst sind. Die Raumtemperatur zum Beispiel. Oder jemand im Publikum hat dich ein bisschen komisch angeschaut, und du denkst, es gefällt dieser Person nicht. Oder jemand schaut dich ganz ermutigend an, und du sagst: "Ah, großartig, dem gefällt es". Wir versuchen, auf so etwas nicht zu achten. Von Jazzmusikern erwartet man, dass sie gegen solche Einflüsse immun sind. Aber unglücklicherweise sind wir auch nur Menschen und reagieren deshalb genauso wie alle anderen pausenlos auf alles um uns herum.
BR-KLASSIK: Gitarristen neigen ja gerne mal zur Sammelwut. Wie ist das bei Ihnen?
John Scofield: Oh Gott, ich habe so viele Gitarren. Ich bin 64 Jahre alt, und ich sammle sie schon eine ganze Weile. Ich bin aber kein Gitarrensammler in dem Sinne. Es ist eben mein Beruf, deshalb habe ich eine Menge. Ich besitze einige wirklich gute Gitarren, die ich aber nie spiele. Eigentlich schrecklich. Ich bin kein Studiogitarrist. Solche Gitarristen brauchen alle möglichen verschiedenen Gitarren: eine spezielle akustische Gitarre, eine mit Nylonsaiten und so weiter. Ich habe das alles, aber ich benutze in erster Linie diese zwei Gitarren, die mir der japanische Gitarrenhersteller Ibanez in den 80er Jahren gegeben hat. Inzwischen habe ich auch nicht mehr genug Platz für noch mehr Gitarren oder Verstärker.
Das Gespräch führte Alex Naumann für BR-KLASSIK.