Alles da: die hauchzart-schwerelose Stimme, der Sinn für feinen Groove - und Songs mit starken Melodien. Dabei klingt sie jazziger denn je: Sängerin und Pianistin Norah Jones, Grammy-Königin von 2003, besinnt sich in ihrem mit Beteiligung von Stars wie Saxophonist Wayne Shorter entstandenen neuen Album "Day Breaks" auf die Kraft der Blue Notes. Und nutzt sie.
Bildquelle: Universal Music
Sie spielt wieder mehr Klavier. Und die Sounds unter ihrer Gesangsstimme sind luftiger als zuletzt. Schon beim ersten Song, "Burn", hält man den Atem an, weil hier ein Blasinstrument leise Linien spielt, die mit ganz wenigen Tönen magisch den Horizont zu weiten scheinen. Das ist das Sopransaxophon der Jazz-Legende Wayne Shorter. Er - sowie Bassist John Pattitucci, Schlagzeuger Brian Blade und Hammond-Organist Lonnie Smith, lauter Leuchttürme ihres Genres - wirken auf der CD "Day Breaks" mit. Die swingt. Und groovt. Und, das merkt man alsbald beim Hören der sechzehn Stücke, lotet andere Dimensionen aus als nur die der schnellen Wirkung. Es ist eher andersherum: eine hohe Kunst der langsamen Wirkung. Der Vertiefung. Das ist spannend - und hat Stil. Und wird Fans aus ganz unterschiedlichen Lagern überzeugen.
Bildquelle: Blue Note Die Singer-Songwriterin Norah Jones, Tochter des indischen Sitar-Weltstars Ravi Shankar, und ihr aktuelles Album sind ein Top-Thema des eben begonnenen Jazz-Herbstes. Und das glücklicherweise nicht nur, weil diese Musikerin seit ihrem weltweit rund 25 Millionen Mal verkauften Debüt-Album "Come Away With Me" von 2002 und ihren ein Jahr später gewonnenen fünf Grammys immer ein spannendes Thema ist. Sondern: weil diese Großmeisterin sanfter Schönheiten hier wieder in schlichten Klang-Gewändern mit der Kraft ihrer ganzen Individualität aufgeht. Ein ganz anderer Ansatz nach der CD "Little Broken Hearts" von 2012, auf der der eigene Sound dieser Musikerin unter hippen Elektronikpop-Zutaten schier zu verschwinden drohte - ein Individuum, überlagert vom Produkt-Design. Nun also: ganz anders.
Ihr ist ein Kunststück gelungen: "Day Breaks" ist ein Album mit vielen Einflüssen aus der bunten Wunderwelt des Jazz - und dabei trotzdem auch eine wunderschöne Popmusik-CD, in deren warmen Klängen man sich aalen kann. Schön, auch das - neben der Gesangsstimme - Hauptinstrument der Bandleaderin wieder ausgiebig zu hören. Satte gospelartige Piano-Emphase (wie in dem Song "Tragedy"), ein klanglich ungemein raffiniertes Klaviersolo in lockend-zurückgenommenem Timing (wie in "Sleeping Wild") oder bluesig-soulige Tasten-Coolness (wie in "Carry On"): Das sind Zutaten, bei denen Fans der Blue-note-Kunst mit der Zunge schnalzen - und andere Hörer können sich genauso daran freuen, weil es mit so lockerem Charme daherkommt.
Es gefiel mir sehr, auf diesem Album Klavier zu spielen.
Norah Jones sagt: "Ich kehre hier zurück zu frühen Einflüssen. Nach dem ersten Album driftete ich ein bisschen weg vom Klavier. Ich spielte es noch, aber war mehr davon angezogen, auf der Gitarre zu komponieren. Es gefiel mir sehr, auf diesem Album Klavier zu spielen."
Die Idee zu Aufnahmen dieses Charakters wurde offenbar bei der 75-Jahr-Feier ihres Labels Blue Note geboren, wo sie mit Jazz-Ikonen wie Wayne Shorter und Größen wie John Pattitucci und Brian Blade ein Konzert gab - und Lust auf weitere Klang-Erkundungen mit Partnern wie diesen bekam. Und die wieder stärkere Beschäftigung mit dem Klavier hat ganz offenbar auch damit zu tun, dass Norah Jones in ihrer Küche ein Piano stehen hat und dort viel Zeit verbrachte, weil sie vor ein paar Jahren Mutter geworden ist. Lange Abende saß sie an diesem Piano und komponierte; während dieser Zeit soll sie auch viele soulige Jazzstücke von Interpreten wie Les McCann gehört haben. Auch diesen Einfluss hört man deutlich.
Neben Eigenkompositionen gibt es auf "Day Breaks" auch einige geliehene Stücke - etwa "Don’t Be Denied" des Rock-Poeten Neil Young. Ein anderes, nämlich "Peace", ein Song des großen Jazzpianisten und Komponisten Horace Silver, ist einer der Höhepunkte des Albums. Über ganz ruhigem, pulsierendem Rhythmus singt sie mit beiläufig sanftem Hauch die auf nobel zurückhaltende Art mahnenden Worte: "When you find peace of mind, leave your worries behind, don’t say that it can’t be done … Peace is for everyone." Eine CD auch mit Haltung - aber ohne jede Aufdringlichkeit. Auch bei diesem Stück ist wieder das kosmisch-zarte Sopransaxophon Wayne Shorters zu hören - das später in der Duke-Ellington-Komposition "Fleurette Américaine", einem Stück ohne Text, abermals in überirdische Ausdrucks-Dimensionen vordringt.
Jazz, so scheint es, kommt immer dann besonders zum Zuge, wenn andere Dinge ausgereizt sind. Bei Norah Jones war die Aura einer der zum Sensibilitätswunder stilisierten Pop-Poetin nicht mehr wirklich zukunftsfähig. In Zeiten, in denen Popmusiker wie Kendrick Lamar oder, kurz vor seinem Tod, David Bowie völlig neue Impulse durch die vermutlich lebendigste und auf jeden Fall spontanste Musik der Welt für ihre Songs gewannen, lässt sich auch Norah Jones durch den Jazz auf neuen Flügeln tragen. Sie tragen weit. Und vermutlich auch lang. Denn sie haben eine immer wieder ungeahnte Spannweite. "Day Breaks": die fesselnd frische Brise einer Sanften. Musik, die den Hörer mitnimmt.
Kommentare (0)