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Lena Horne zum 100. Geburtstag Zwischen Broadway und Bürgerrechtsbewegung

Sie war die erste Afroamerikanerin mit einem Langzeitvertrag bei einem Hollywoodstudio und war sechs Jahrzehnte als Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin erfolgreich. Ihr Geheimnis? "Ich war einzigartig, weil ich den Typus einer schwarzen Frau darstellte, den die Weißen akzeptieren konnten. Ich verkörperte ihre Fantasien." Am 30. Juni wäre Lena Horne 100 Jahre alt geworden.

Die Jazzsängerin Lena Horne | Bildquelle: Carl van Vechten

Bildquelle: Carl van Vechten

Sie war mit einem blendenden Aussehen gesegnet, das etwa den großen Jazzjournalisten Whitney Balliett noch zum Schwärmen brachte, als sie bereits 80 war. Ihn faszinierten ihre hohen Wangenknochen, ihre Augen, die mal ernst, mal vergnügt strahlten, die Augenbrauen, von denen sie die linke wie im Zweifel gerne leicht anhob, das perfekte Kinn und das "zweistöckige Lächeln, in seinem Glanz nur von Louis Armstrong erreicht".

Vielschichtige Künstlerpersönlichkeit

Da die hellhäutige Afroamerikanerin auch europäische und indianische Vorfahren hatte, entsprach sie dem in den USA herrschenden Schönheitsideal und das erleichterte ihr den Weg zum Starruhm. War sie auch zu hell, um - was sie ohnehin abgelehnt hätte - eine augenrollende Köchin oder eine Eingeborene auf dem Leopardenfell zu spielen, so war die Enkeltochter einer Sklavin doch, auch nach eigener Sicht, ­eine Schwarze. Unter dieser Voraussetzung musste das Leben dieser vielschichtigen Künstlerpersönlichkeit, die ebenso zum Broadway wie zur Bürgerrechtsbewegung gehörte, in einer Zeit der Rassentrennung zu einer unentwegten Folge von Balanceakten werden, zwischen Anpassung und Widerstand, zwischen Sex-Appeal und Sittsamkeit.

Mit Gesang nach Hollywood

Weil sie als Sängerin nicht improvisierte, genießt sie in vielen Jazzlexika kein Gastrecht. Und wenn ihr doch ein Eintrag zugestanden wird, wie von Brian Priestley im "Rough Guide Jazz", erscheint sie als merkwürdiges Phänomen. "Ihre Aufnahmen sind eher jazzig angehaucht, als dass sie reiner Jazz wären, doch die einzigartige Präsenz ihrer Stimme macht sie zu einer echten Jazzsängerin." Man zählt sie eher zu den singenden, bisweilen auch swingenden Hollywood- Entertainerinnen. Doch etwas Wesentliches unterscheidet sie von Kolleginnen wie Judy Garland oder Doris Day: Lena Horne wurde zwar in den Studios als erste Schwarze mit demselben Respekt behandelt und in ebenso aufwändige Roben gehüllt wie eine Rita Hayworth, doch Rollen, in denen sie mit weißen Kollegen interagierte, gar Hauptrollen, konnte sie nicht spielen. Es wurden ihr nur Gesangsszenen zugestanden, die zwar das Beste an den oft mittelprächtigen Streifen waren, die aber als für die Handlung nicht relevante Einschübe jederzeit aus den Filmen geschnitten werden konnten. Was geschah, wenn sie in Städten gezeigt wurden, wo keine Schwarzen in weißen Filmen zugelassen waren.

Den Weißen ging es nie darum, was für eine großartige Künstlerin ich bin, sondern allein um mein Aussehen
. Lena Horne

Ernst genommen und geliebt fühlte sich Hollywoods erster schwarzer Glamour-Star auch nicht immer von Schwarzen, von denen sie oft nur als Privilegierte wahrgenommen wurde oder lediglich als Sex-Symbol. So wie weiße GIs ein Foto von Betty Grable in ihren Spind hängten, war sie das schwarze Pin-Up-Girl schlechthin. Sie wusste um die Verantwortung ihrer Vorreiterrolle und stand unter einem enormen Druck, perfekt und vorbildlich sein zu müssen. Was sie tat, konnte ein schlechtes Licht auf ihre Bevölkerungsgruppe werfen. Als sie in einem Film eine schwarze Hure spielen sollte, lehnte sie ab, mit negativen Folgen für ihre Karriere. Lennie Hayton, den Musikdirektor von MGM, konnte sie 1947 nur heimlich in Paris heiraten, denn Mischehen waren in Kalifornien verboten. Als es bekannt wurde, zeigte man beiden nicht nur in Hollywood die kalte Schulter. Selbst Hornes Vater sprach wegen ihrer Heirat drei Jahre lang nicht mehr mit ihr. Hayton schrieb ihr prachtvolle Arrangements auf den Leib, ihre Ehe - der Quincy Jones mit dem Song "For Lena and Lennie" ein Denkmal setzte - symbolisierte für Viele den Fortschritt. Und doch zwang sie ihr Selbstverständnis als schwarze Frau und Bürgerrechtlerin in späten Jahren ihrer Ehe auf Abstand zu ihrem Gatten zu gehen, fühlte sie sich doch fast als Verräterin, die sich ans weiße Showbusiness verkauft hatte und vor allem ein weißes Publikum bediente.

Musik als Zuflucht und Rettung

Da ihre Eltern geschieden und ihre Mutter als Schauspielerin ständig unterwegs war, verbrachte die 1917 in Brooklyn geborene Lene Calhoun Horne einen Großteil ihrer Kindheit bei ihren Großeltern, die zur sogenannten schwarzen Bourgeoisie gehörten. Nach dem Tod ihrer Oma, einer der ersten schwarzen Frauenrechtlerinnen, brachte sie ihre Mutter aus finanzieller Not 1934 als Tänzerin im legendären Cotton Club unter. "Ich konnte weder tanzen noch singen, doch ich war jung und hübsch, genau, was die Gangster suchten, die den Cotton Club leiteten." Es war ein harter Schnitt im Leben des Mädchens, das eigentlich Lehrerin werden wollte. Unter dem Verlust eines stabilen Zuhauses, an dessen Stelle fortan wechselnde Orte und Bezugspersonen traten, hat sie viel gelitten. Mit dem Engagement im Cotton Club habe sie das Gefühl ihrer Ganzheit verloren, sei eine unsichtbare Mauer zwischen sie und die Menschen getreten, reflektierte sie im Alter. "Musik war zunächst meine Zuflucht, dann meine Rettung". In Philadelphia, wohin sie 18-jährig mit ihrem Vater zog, wurde sie Sängerin bei Noble Sissle, mit dem sie 1936 ihre ersten Aufnahmen machte. Unterbrochen wurde ihre Laufbahn durch eine voreilige erste Heirat mit einem angehenden Politiker und die Geburt zweier Kinder. Nach ihrer Scheidung war sie 1940 bei Charlie Barnet eine der ersten schwarzen Sängerinnen mit festem Engagement in einer weißen Band. Sang sie in einem Hotel, musste sie es durch die Hintertür betreten; im Gegensatz zu ihren weißen Kollegen durfte sie danach auch nicht dort übernachten, sondern musste ins Schwarzenviertel.

Mit "Stormy Weather" zum Ruhm

Doch von solch demütigenden Erfahrungen ließ sie sich nicht entmutigen. Wenige Jahre später führte sie gegen solche Praktiken Rechtsstreite. 1941 sang sie im Café Society, einem New Yorker Club, der, wiewohl in einer weißen Wohngegend, bei Publikum und Künstlern auf Gemischtrassigkeit setzte. 1942 unterschrieb Lena Horne einen Siebenjahresvertrag bei MGM. Dem Ansinnen des Studios, sie als Lateinamerikanerin zu vermarkten, widersetzte sie sich. Damit verbaute sie sich freilich größere Rollen. Die hatte sie nur, wenn die Besetzung nur aus schwarzen Künstlern bestand, wie etwa bei "Cabin in the Sky". Da mimte sie die vom Teufel ausgesandte Verführerin, während ihre große Kollegin Ethel Waters die brave Ehefrau gab. Hornes Stern ging auf, als sie 1943 im schwarzen Musical "Stormy Weather" den Titelsong unsterblich machte - und dieser sie.

Widerstand gegen Klischees

Mit ihrem Charme und ihrer Kultiviertheit wurde sie schon in den 1940er Jahren von Bürgerrechtlern als neues Rollenmodell für Schwarze in Hollywoodfilmen begrüßt, in denen sich eine Billie Holiday mit der Rolle eines Dienstmädchens zufriedengeben musste. Widerstand gegen Horne kam dann allerdings ausgerechnet von schwarzen Kollegen, von jener kleinen Schar gut verdienender Schauspieler, die davon lebten, in Hollywood-Filmen tollpatschige Kellner, ängstliche Schlafwagenschaffner und doofe Diener zu verkörpern; ihnen schwante, dass ihre Zeit unwiderruflich ablief. Für Horne war es 1951 ein großer Schlag, dass ihr trotz Fürsprache des Komponisten Jerome Kern nicht vergönnt war, in der Verfilmung von "Show Boat" die Rolle der wie für sie maßgeschneiderten Julie zu spielen, einer Künstlerin, die schwarzes und weißes Blut hat. Man besetzte ihre Freundin Ava Gardner, die dafür dunkel geschminkt werden musste und nicht selbst singen konnte.

Billy Strayhorn als Seelenverwandter

Um 1950 geriet Horne in Hollywood ins Abseits. Man nahm ihr die gemischtrassige Ehe übel, ihren Einsatz für die Gleichstellung schwarzer Soldaten, vor allem aber ihre Freundschaft mit dem linken Sänger Paul Robeson, der während der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära unter Beschuss geraten war. Sie fand sich wie Katherine Hepburn, Edward G. Robinson oder Danny Kaye auf schwarzen oder vielmehr roten Listen wie "Stalin's Stars" wieder. Das Aus für die Leinwand kompensierte die bestbezahlte schwarze Entertainerin der 50er Jahre durch zahlreiche Platteneinspielungen und Auftritte in noblen Clubs, wie dem "Sands Hotel" in Las Vegas, dem "Cocoanut Grove" in Los Angeles und dem "Waldorf Astoria" in New York, wo 1957 eines ihrer erfolgreichsten Live-Alben entstand. Mit einem Fuß blieb sie dabei zeitlebens im Jazz, auch wenn es nur fallweise eine so intensive Zusammenarbeit mit den Größen des Jazz kam wie in den 40er Jahren, als sie an der Seite von Artie Shaw, Teddy Wilson, Benny Carter, Lionel Hampton, Billy Eckstine und Duke Ellington sang. Die große Liebe ihres Lebens war Billy Strayhorn, Ellingtons Alter Ego, den sie geheiratet hätte, wäre er nicht homosexuell gewesen. Als eine Art Seelenbruder, den sie seit der ersten Begegnung als Teil von sich selbst empfand, und musikalischer Berater, selbst in gesangstechnischen Fragen, blieb er ihr ein Leben lang verbunden.

Befreit, gelöst, ausdrucksstark

Der Boykott Lena Hornes endete 1957 mit ihrem umjubelten Broadway-Auftritt in "Jamaica". Ihr Dasein in den 50er Jahren hat sie mit einem schwarzen Elfenbeinturm verglichen. 1963 nahm sie als eine Stütze der Bürgerrechtsbewegung an Martin Luther Kings Marsch nach Washington teil und 1965 veröffentlichte sie ihre Autobiographie. An der Wende zum neuen Jahrzehnt erschütterten sie drei Schicksalsschläge, als sie innerhalb kurzer Zeit Gatten, Vater und Sohn verlor. Das setzte einen umfassenden Wandlungsprozess ihrer Persönlichkeit in Gang, aus dem sie gestärkt hervorging. Als sie ab 1981 durch ihre One-Woman-Show "The Lady and Her Music" wieder im Rampenlicht war, war eine befreite, gelöste, ausdrucksstarke Lena Horne zu erleben, die niemandem mehr etwas beweisen musste. Hatte sie in den ersten Jahrzehnten ihren Beruf als belastenden Druck erlebt, so hatte sie erst im Alter die Freude am Gesang und der Kommunikation mit dem Publikum gefunden. Erst mit 83 zog sich Horne, die 2010 92-jährig verstarb, von der Bühne zurück.

1998 hatte sie gesagt: "Meine Identität ist mir jetzt sehr klar. Ich bin eine schwarze Frau, ich bin nicht allein, ich bin frei… Ich muss für niemand ein Symbol sein. Ich muss für niemanden die Nummer eins sein. Ich muss nicht, wie Hollywood es erhofft hatte, eine Imitation einer weißen Frau abgeben. Ich bin ich und wie keine andere."

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