Sie ist wütend auf die Macht der Datenkonzerne und zutiefst besorgt darüber, wie die digitale Welt das Miteinander der Menschen verändert. Auf ihrem aktuellen Album drückt die amerikanische Komponistin Maria Schneider ihre Haltung zu diesem Themenkomplex in fulminanter Musik aus.
Bildquelle: Briene Lermitte
Mit ihrem eigenen, 1992 gegründeten Maria Schneider Orchestra, für das sie seit jeher das gesamte Repertoire komponiert, stehen ihr alle Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks offen. Sie hat darin 18 grandiose Jazzsolisten versammelt, die sich voll und ganz auf ihre musikalische Vorstellungswelt und inhaltliche Ausrichtung einlassen und dabei die geballte Kraft ihrer spielerischen Persönlichkeit einbringen. Maria Schneider schreibt ihnen - wie es einst Duke Ellington in seinem Orchester vormachte - die Musik auf den Leib. So seien sie zu einem lebendigen, klingenden Organismus geworden, sagt sie im Gespräch.
Maria Schneider: Preisgekrönte Komponistin und Bandleaderin | Bildquelle: Briene Lermitte "Data Lords" ist das neunte Album des Maria Schneider Orchestras und nach fünf vorangegangenen Grammy-Auszeichnungen wurde sie dafür am 14. März 2021 mit zwei weiteren bedacht. Die Produktion wurde zum besten Album in der Kategorie "Großes Ensemble" gekürt und ein Stück darauf zur besten Instrumentalkomposition. Maria Schneider bringt auf den beiden CDs dieses Doppelalbums eine Dualität zum Ausdruck, zwischen der es sie manchmal schier zerreißt: Da ist ihre Sehnsucht nach der immer mehr verlorengehenden, natürlichen Welt, die sie in ihrer Kindheit auf einer Farm in Windom, Minnesota umgeben und geprägt hat. Und da sind ihre Gefühle und ihre höchst kritische und wütende Haltung den Auswüchsen der digitalen Welt gegenüber, die beherrscht wird von den großen Datenkonzernen, den "Data Lords", die das Leben der Menschen und ihr Miteinander tiefgreifend verändern.
It made me angry enough that I wrote the album 'Data Lords'.
Maria Schneider engagiert sich seit Jahren für den Schutz von geistigem Eigentum, hat an Anhörungen im Kongress und runden Tischen der U.S. amerikanischen Copyright Behörde teilgenommen. Über Streaming Modelle, die Künstler*innen zwingen, ihre Musik zu Dumpingpreisen zu vermarkten und die urheberrechte-freien Zonen in YouTube hat sie offene Briefe und Handlungsempfehlungen verfasst. Dass sie diese Themen mit dem Album "Data Lords" nun auch auf musikalischer Ebene verhandelt, sei zunächst ohne Vorsatz geschehen, erzählt sie im Gespräch. Sie habe sich einfach hingesetzt und dann sei diese irgendwie aggressive Musik aus ihr herausgesprudelt. Es fühlte sich an, wie von Daten überschwemmt zu werden. So begann ihre Arbeit an dem Album, und die Alchemie des Komponierens verwandelte ihre Wut in etwas, das dunkel und heftig, aber auch irgendwie schön und lustig wurde.
Maria Schneider dirigiert ihr Orchestra | Bildquelle: Takehiko Tokiwa Mit ihrem ausgeprägten Gespür für den Aufbau mitreißender Spannungsbögen stellt Maria Schneider in elf Stücken von insgesamt 96 Minuten Länge brodelnd bedrohliche, sich machtvoll aufbäumende, fast parodistisch pompöse und hoffnungslos klagende Szenarien hellen, lichtdurchfluteten, manchmal fast pastoralen Atmosphären gegenüber. Sie erschafft mit einer Bigband Orchestrierung Klangwelten, die in nahezu tondichterischer Weise verstörende Szenarien aus dem Big Data Universum und Reflexionen über ein Leben, das von Naturnähe und menschlicher Verbundenheit bestimmt ist, in Musik übersetzen. Soli von atemberaubender Intensität und Ausdruckskraft schlagen in ihren Bann. Spieler wie die Saxophonisten Scott Robinson, Donny McCaslin oder Rich Perry, die Posaunisten Marshall Gilkes und Ryan Keberle, der Gitarrist Ben Monder und der, am 30.Dezember 2020 verstorbene Frank Kimbrough werden dabei zu Erzählern der Geschichten, mit denen Maria Schneider im aufwändig und künstlerisch hochwertig gestalteten Booklet des Doppelalbums "Data Lords" jede Komposition hinterlegt hat.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
NEA Jazz Masters: Tribute to Maria Schneider
Als Maria Schneider 2019 mit dem hochdotierten "National Endowment for the Arts Jazz Master Award" ausgezeichnet wurde, gingen sie und ihr Orchestra an die Produktion des Albums. Erschienen ist es 2020 auf Artist Share, einer Plattform, auf der Musiker*innen ihre Projekte selbst vermarkten. Dazu gehört auch, sie von Fans vorab mitfinanzieren zu lassen und den Menschen dafür einen exklusiven Einblick in den kreativen Schaffensprozess zu gewähren. Nach diesem Prinzip können langfristige Beziehungen zum Publikum aufgebaut werden. 2003 war Maria Schneider die erste Artist Share Künstlerin, und veröffentlicht seither ausschließlich dort ihre Musik, weil sie so die kompletten Rechte daran behält und die Vermarktung selbst steuert. Und das ist zum Beispiel ein Gegenentwurf zur Übermacht der Datenkonzerne. Sich der entgegenzustemmen hält sie für eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart.
In der Jazztime am 31. März 2021 spricht Maria Schneider über ihre Einschätzungen der digitalen Welt, über die Alchemie des Komponierens, über ihr Orchestra, ihre Kindheit und warum es für sie beim Musikmachen keine Rolle spielt, welchem Geschlecht man angehört.
Sendung: "Jazztime" am 31. März 2021 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK