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Jazz-Sendungen zum Weltfrauentag 2020 Die starken weiblichen Stimmen des Jazz

Der Jazz - eine Männerdomäne? Das sagt man oft, doch es gab und gibt eine große Zahl bedeutender Musikerinnen in diesem Genre. In dieser Woche legen die Jazz-Sendungen auf BR-KLASSIK einen Schwerpunkt auf sie.

Lisa Wulff | Bildquelle: Hellwage Fotografie

Bildquelle: Hellwage Fotografie

Man kann es nicht leugnen: Der Jazz war lange Zeit wesentlich von Männern bestimmt. Wer große Figuren der Jazz-Geschichte aufzählt, nennt bis in die 1960er Jahre hinein meist die Namen von Männern - abgesehen von einer weiblich dominierten Domäne: dem Gesang. Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Nina Simone, Dee Dee Bridgewater, Dianne Reeves, Cassandra Wilson, Cécile McLorin-Salvant: Da ziehen sich große Namen herausragender Musikerinnen durch die Jahrzehnte. Immerhin gibt es auch diejenigen von Diana Krall - Sängerin und Pianistin -, von Norah Jones - ebenfalls Sängerin und Pianistin -, oder von herausragenden Instrumentalistinnen und Bandleaderinnen wie Mary Lou Williams, Carla Bley oder Maria Schneider. Und es fing schon früh damit an: Lilian Hardin Armstrong (1898 bis 1971) war eben nicht nur die Ehefrau von Trompeter und Jazz-Weltstar Louis Armstrong, sondern eine in ihrer Zeit herausragende Jazzpianistin, die wesentlichen Einfluss auf die Musik und die Karriere Louis Armstrongs hatte - und damit auch auf die Entwicklung des frühen Jazz. Ein Stück wie "Struttin‘ with some Barbecue" stammte im Wesentlichen von ihr, doch der Ruhm fiel dem Mann mit dem Blasinstrument zu. "Ich stand am Fuße der Leiter, hielt sie fest und sah ihn hochklettern", ist ein viel überlieferter Satz von ihr. Die Geschichte des Jazz ist also auch die Geschichte einer Benachteiligung von Frauen. Wie 2016 die Jazzstudie der Universität Hildesheim im Auftrag des Jazzinstituts Darmstadt, der IG Jazz Berlin und der Union Deutscher Jazzmusiker, feststellte, gab es damals in der Jazz-Szene in Deutschland 80 Prozent Männer und nur 20 Prozent Frauen - mit der Anmerkung: "In der jüngeren Generation steigt der Anteil der Frauen". Es bleibt also noch Einiges zu tun.

"FÜR EINE FRAU SWINGEN SIE GANZ GUT"

Anke Helfrich | Bildquelle: Wibke Helfrich Pianistin Anke Helfrich | Bildquelle: Wibke Helfrich Die Jazz-Sendungen auf BR-Klassik legen diese Woche den Schwerpunkt auf Frauen in dieser Musik. In einer Reihe von einstündigen Sendungen, die in der Jazztime am Sonntag gipfeln, dem 8. März, also dem Internationalen Frauentag, werden große weibliche Figuren des Jazz in gemischten Stunden und in Einzelporträts vorgestellt. Den Anfang macht in der Jazztime am Montag (2. März) die international erfolgreiche deutsche Pianistin Anke Helfrich, die sich mit Moderator Roland Spiegel über ihre Musik und auch über die Rolle von Frauen in der Jazzwelt unterhält. Auch über Vorurteile gegenüber Frauen im Jazz kann sie berichten: Als sie sich um einen Studienplatz an der "Amsterdamse Hogeschool voor de Kunsten" (Hochschule der Künste Amsterdam) im nahegelegenen Hilversum bewarb, gab es ein männliches Kommissions-Mitglied, das hervorhob, dass sie ja "für eine Frau" sehr gut swingen könne, wo doch Frauen eher "eine Begabung fürs Lyrische" hätten.

"HER SOUND" - FRAUEN IN LEITENDEN POSITIONEN

In der Sendung "Classic Sounds in Jazz" am Mittwoch (4. März, 19.05 Uhr) fächert Beate Sampson unter dem Motto "Her Sound" ein Spektrum von Jazz-Frauen "in leitenden Positionen" auf. Mit dabei werden sein: die japanische Pianistin Aki Takase, die afro-amerikanische Pianistin Hazel Scott und die große Pianistin und Sängerin Nina Simone, die in ihrem Song "Four Women" aus dem Album "Wild Is The Wind" von 1966 vier Archetypen von Frauen beschreibt, auf die herabgeschaut wird wegen ihrer afro-amerikanischen Herkunft. Weitere Leaderinnen in dieser Sendung: die Bassistin und Sängerin Esperanza Spalding, die Big-Band-Leiterin und großartige Arrangeurin und Komponistin Maria Schneider, die kanadische Trompeterin Ingrid Jensen und die deutsche Pianistin Julia Hülsmann.

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Maria Schneider Orchestra Jazz a Vienne 2008 Choro Dancado | Bildquelle: Mackenzie Leighton (via YouTube)

Maria Schneider Orchestra Jazz a Vienne 2008 Choro Dancado

"WOMEN’S CHOICE" AN UNTERSCHIEDLICHEN INSTRUMENTEN

Ebenfalls am Mittwoch (4. März, 23.05 Uhr) wird Beatrix Gillmann verschiedene Aufnahmen unter dem Titel "Women’s Choice" vorstellen. Mit dabei ist unter anderem die Schlagzeugerin Eva Klesse, die 2018 als erste deutsche Instrumentalprofessorin für Jazz an eine Hochschule berufen wurde - und zwar die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Neben ihr, die mit ihrem Quartett auch herausragende CDs veröffentlicht hat, werden etwa die Münchner Pianistin und Sängerin Andrea Hermenau und die Saxophonistin Nicole Johänntgen zu hören sein. Letztere hat in jüngster Zeit mit spannenden Solo-Konzerten in verschiedenen Kirchen in Europa von sich hören gemacht und leitet außerdem ein internationales Programm zur Unterstützung improvisierender Musikerinnen: "SOFIA" heißt es, ausgeschrieben: Support of Female Improvising Artists.

Bassistin Eva Kruse, Sängerin Patricia Petibon und Geigerin Regina Carter sind weitere Frauen, die in dieser Sendung zu hören sein werden.

EINE BASSISTIN MIT MÄNNLICHEN VORBILDERN

Die 1990 in Hamburg geborene Bassistin Lisa Wulff stellt sich und ihre Musik am Donnerstag (5. März, 23.05 Uhr) in der BR-Klassik-Jazztime im Gespräch mit Roland Spiegel vor. Lisa Wulff spielt Kontrabass und E-Bass und ist mit unterschiedlichen eigenen Bands aktiv. Außerdem ist sie in der jüngsten Band des deutschen Klarinettisten Rolf Kühn (sechzig Jahre älter als sie) mit von der Partie. Als "stilistisch äußerst offene Bassistin", die "sich in vielfältigen Bandkontexten (vom Duo bis zur Big Band) als ein verlässlicher, energetischer Ruhepol und zugleich inspirierender Motor" erwiesen habe, erhielt Lisa Wulff 2019 den Hamburger Jazzpreis; bereits in früheren Jahren erhielt sie Preise etwa beim Festival "JazzBaltica". Lisa Wulff, die auch klassisch Gitarre und Klavier gelernt hat - und zum Beispiel auf dem Klavier Bachs "Goldberg-Variationen" spielen kann - fühlt sich als Musikerin in der männerdominierten Jazz-Szene nicht benachteiligt, gibt auch freimütig zu, dass viele ihrer musikalischen Vorbilder Männer sind. Sie sagt: "Es hat mich nie beeinflusst, ob da nun ein Mann oder eine Frau Bass spielt". Und setzt hinzu: "Natürlich ist das, was man jetzt sieht, das Abbild der Szene, die Jahrzehnte zuvor entstand, als es wirklich nicht viele Frauen gab, die sich für diese Musik entschieden haben und für dieses Leben als professioneller Jazzmusiker. Deshalb finde ich es gar nicht verwunderlich, dass jetzt die Quote oder die Zahlen so sind an Hochschulen oder in Rundfunk-Big-Bands, weil da natürlich auch nicht ständig Stellen frei werden und auch nicht ein wirklich hoher Prozentsatz an Frauen vorspielt. Aber die Szene durchmischt sich jetzt immer mehr, das stelle ich freudig fest. Aber das andere sehe ich nicht negativ, weil ich persönlich auch keine schlechten Erfahrungen gemacht habe."

WAS JAZZMUSIKERINNEN UND KLASSISCHE KOMPONISTINNEN VERBINDET

In der gemischten Sendung "Jazz und mehr" am Samstag (7. März, 18.05 Uhr), in der klassische Musik und Songs aus dem Bereich Singer-Songwriter ebenso vorkommt wie Jazz, stellt Beatrix Gillmann ein Programm rund um das Motto "Women’s Talk" vor. Darin werden neben dem Quartett der Schlagzeugerin Eva Klesse, der Trompeterin Airelle Besson und der Band der amerikanischen Sängerin und Songschreiberin Becca Stevens auch zwei Komponistinnen klassischer Musik gewürdigt, die erst vor kurzem der geschlechtsbedingten Vergessenheit entrissen wurden: die Französin Pauline Viardot und die Deutsche Emilie Mayer. Letztere, die von 1812 bis 1883 lebte, war die erste hauptberufliche Komponistin ihrer Zeit, wie der Verleger ihrer Werke, Reinhard Wulfhorst sagt. Sie schrieb acht Sinfonien, zwölf Streichquartette, Klavierkammermusik, fünfzehn Konzertouvertüren, Violin- und Cellosonaten, Klavierwerke und unter anderem ein Singspiel nach einer Vorlage von Goethe. Sie galt zu Lebzeiten als "weiblicher Beethoven", wie ein Porträt des Norddeutschen Rundfunks herausarbeitete. Erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts wird ihrem Werk wieder stärkere Aufmerksamkeit zuteil. Ein Nachwelt-Schicksal, das demjenigen einer Lil Hardin Armstrong durchaus ähnelt - und bei weitem nicht nur in Sondersendungen über Musikerinnen ein spannendes Thema ist.

EINE PIANISTIN UND IHRE "LAST CHANCE TO MISBEHAVE"

Julia Hülsmann | Bildquelle: Volker Beushausen Pianistin Julia Hülsmann | Bildquelle: Volker Beushausen Am Sonntag schließlich, dem Internationalen Frauentag, porträtiert Beate Sampson in einer Spezial-Ausgabe der "Jazztime" (die es sonst nie sonntags gibt) die deutsche Pianistin, Komponistin und Bandleaderin Julia Hülsmann. Hülsmann, geboren 1968 in Bonn, spielte im Bundesjungendjazzorchester ("Bujazzo"), gründete in den 1990er Jahren ihr eigenes Trio, hat seit 2001 einen Lehrauftrag an der Universität der Künste in Berlin und war zudem 2012 und 2013 Vorsitzende der Union Deutscher Jazzmusiker. Besonders erfolgreich war im Jahr 2003 ein Album, in dem sie in Zusammenarbeit mit der norwegischen Sängerin Rebekka Bakken Gedichte des Amerikaners Edward Estlin Cummings vertonte. Etwas später folgten Texte der amerikanischen Dichterin des 19. Jahrhunderts, Emily Dickinson, in Aufnahmen mit ihrem Trio und dem Sänger Roger Cicero. Auf dem renommierten, in München ansässigen Label ECM veröffentlicht sie seit 2008 CDs mit ihrem eigenen Trio bzw. Quartett. Zuletzt erschien das sehr stark beachtete Album "Not Far From Here". Auch als Pianistin des internationalen "United Women’s Orchestra", das von 1992 bis 2009 existierte, hat Julia Hülsmann sich hervorgetan. Beim "JazzBaltica"-Festival leitete sie 2019 eine skandinavisch-deutsche Frauen-Big-Band, die, initiiert von Posaunist Nils Landgren, seit 2016 das Festival eröffnet. In dieser Band spielten letztes Jahr unter der Leitung Julia Hülsmanns unter anderem die Trompeterin Ann-Sofi Söderquist, die Saxophonistin Nicole Johänntgen, die Gitarristin Sandra Hempel, die Bassistin Eva Kruse und die Schlagzeugerin Eva Klesse. Ein aktuelles Trio Julia Hülsmanns heißt "Last Chance to Misbehave" und besteht neben ihr aus den beiden Sängerinnen Cansu Tanrikulu und Mia Knob Jacobsen: Auch von diesem Trio wird ein - bisher unveröffentlichtes und bei BR-Klassik erstmals zu hörendes - Musikstück in der Sendung vorgestellt.

Weltfrauentag in den Jazzsendungen auf BR-Klassik:

2. März 2020: Jazztime - Jazztoday (23.05 Uhr)
Zu Gast: die deutsche Pianistin Anke Helfrich, die in Namibia und Deutschland aufwuchs, in den Niederlanden studierte und seit zwei Jahrzehnten zu den vielbeachteten Instrumentalistinnen des Jazz in Europa gehört. Mit Musik von Geri Allen, Roy Hargrove, Les McCann und Anke Helfrich.
Moderation: Roland Spiegel

4. März 2020: Classic Sounds in Jazz (19.05 Uhr)
"
Her Sound" - Aufnahmen mit Julia Hülsmann, Ingrid Jensen, Geraldine Laurent, Maria Schneider, Hazel Scott, Nina Simone, Esperanza Spalding, Aki Takase und Dawn Upshaw.
Moderation und Auswahl: Beate Sampson

4. März 2020: Jazztime - Jazz aus Nürnberg, "Jazz & Beyond" (23.05 Uhr)
"
Women’s Choice" - mit Aufnahmen von Andrea Hermenau, Nicole Johänntgen, Eva Klesse und Anderen.
Moderation und Auswahl: Beatrix Gillmann

5. März 2020: Jazztime - All that Jazz (23.05 Uhr)
Meisterin der tiefen Saiten und des weiten Horizonts: Die 1990 geborene Bassistin Lisa Wulff, eine der herausragenden deutschen Jazz-Instrumentalistinnen der jüngsten Zeit, zu Gast im Studio. Mit Musik von Stan Getz, Eberhard Weber, Rolf Kühn und Lisa Wulff selbst.
Moderation: Roland Spiegel

7. März 2020: Jazz und mehr (18.05 Uhr)
"
Women's Talk" - mit Aufnahmen von Miriam Alexandra, Marian McPartland, Becca Stevens und anderen
Musikauswahl und Moderation: Beatrix Gillmann

8. März 2020: Jazztime Extra (22.05 Uhr)
Ein Porträt der Pianistin, Komponistin und Bandleaderin Julia Hülsmann.
Moderation und Auswahl: Beate Sampson

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