Paulo Cardoso war ein Virtuose und ein prägender Pädagoge des Kontrabasses. Der Brasilianer spielte mit den Großen des Jazz wie Trompeter Art Farmer oder Pianist Mal Waldron und brachte jungen Musikern die Kunst des Bassspiels bei. Am 21. Juli ist er nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben in seiner Wahlheimat München, wo er jahrzehntelang an der Musikhochschule gelehrt hatte.
Bildquelle: Mike Gangkofner
Paulo Cardoso war einer der charaktervollsten Jazzbassisten der europäischen Szene. Der kunstfertige Tieftöner entlockte seinem Instrument weit geschwungene Tonfolgen von tänzerischer Leichtigkeit und Elastizität, aber auch von der Festigkeit eines gesunden Baustammes. Die Linienführung, die er oft durch seinen Gesang unterstützte, war so persönlich, dass man ihm verdutzt zuhörte.
Jazzgrößen wie Altsaxophonist Charlie Mariano oder Pianist Mal Waldron musizierten gerne mit ihm. Paulo Cardoso beherrschte den klassischen Jazz perfekt, hielt aber nicht am Mainstream fest, sondern blickte immer über den ohnehin schon breiten Tellerrand des Jazz in die Ferne.
Paulo Cardoso | Bildquelle: Mike Gangkofner Cardoso – das machte ihn unverwechselbar unter den Jazzbassisten in Deutschland – war Brasilianer. Ihm stand die ganze Vielfalt des rhythmischen und folkloristischen Erbes seiner riesigen Heimat zu Gebote und so schöpfte der 1953 in São Paulo Geborene sie zum Beispiel in seiner Band “Acervo” mit Spielwitz für den Jazz aus. Dabei war das Brasilianische nur einer von vielen Farbtupfern seiner Palette. Eine andere seiner vielen Spezialitäten waren intime musikalische Dialoge in der Besetzung Gesang und Kontrabass, beispielsweise mit der aus Italien stammenden Sängerin Sabina Sciubba oder der albanischen Vokalistin Fjoralba Turku.
"Paulo Cardoso war einer der großartigsten Bassisten, die ich kenne. Wir haben uns Anfang der 90er Jahre bei einem Workshop in Klagenfurt getroffen - seitdem war ich sein Fan! Gerade in den letzten Jahren haben wir oft im Duo gespielt. Ich bewunderte dabei stets die unglaubliche Virtuosität, mit der Paulo mit mir vertrackte Jazzthemen unisono spielen konnte; ich kenne keinen anderen Bassisten, der das ähnlich mühelos und swingend kann. Paulos Improvisationskunst war ebenso unglaublich, da er aus dem ja eher behäbigen Kontrabass Jazzlinien herauszauberte, die man sonst nur von Top-Saxofonisten erwarten würde. Von uns ist ein ganz großer Jazzmusiker gegangen. Danke für alles, was ich von ihm lernen durfte."
Ursprünglich war er 1973 nach Deutschland gekommen, um Orchestermusiker zu werden. So war er im Bereich der Klassik ebenso daheim wie im modernen Jazz, was ihn etwa zwölf Jahre lang zum Bassisten des legendären Trompeters Art Farmer gemacht hatte.
1976 fand er seine Heimat in München. Sein enzyklopädisches Wissen und praktisches Knowhow gab er seit 1992 als Dozent des Richard-Strauss-Konservatoriums, dann der Hochschule für Musik und Theater, an Jüngere weiter und prägte das Kontrabass-Spiel in der Bayerischen Jazzszene maßgeblich.
"Seine leidenschaftliche und akribische Art zu lehren hat viele seiner Studierenden zu Höchstleistungen angespornt. Die Erfolge seiner Meisterstudierenden sind ein Beweis für seine hingebungsvolle Arbeit. Praktischer Unterricht und Mentoring verschiedener Ensembles des Jazz Instituts waren ihm stets ein großes Anliegen. Nicht zuletzt sein großes Engagement im Bereich der Auslandskontakte, im speziellen die Kooperation mit der Jazzabteilung des Konservatoriums in Ulan Bator (Mongolei) zeigten seine große Offenheit im Austausch der 'praktischen Jazzsprache' mit wirklich Interessierten und Nachwuchstalenten.
Der Einfluss seiner brasilianischen Wurzeln war stets erkennbar in seinem künstlerischen Schaffen und machte sein Spiel am Kontrabass einzigartig. Somit hat er mit seiner Persönlichkeit das Jazz Institut der Hochschule für Musik und Theater mit seinen Studierenden, Dozenten und Alumni sehr stark geprägt.
Die Studierenden und Lehrenden der Hochschule blicken mit Bestürzung und tiefem Schmerz auf die Tatsache, dass Paulo Cardoso nicht mehr unter uns ist. Wir werden ihn in lebendiger Erinnerung bewahren als einen herausragenden Künstler, Lehrer und Kollegen, der uns zudem ein reiches Erbe an musikalischem 'Jazzspirit' hinterlässt."
Als Paulo Cardoso am 21. Juli, im Alter von nur 64 Jahren, nach kurzer, schwerer Krankheit in München seinen Kontrabass für immer niederlegte, verlor der Jazz einen Virtuosen, der sich nicht nur wie ein Akrobat über die Saiten bewegte, sondern sie so in Schwingung brachte, dass ihr Sound tief berührte.
Jazztoday am 30. Juli 2018
Ein Nachruf auf Paulo Cardoso
Moderation und Auswahl: Marcus A. Woelfle
Paulo's Session - A Session for Paulo Cardoso
Am 5. August 2018 findet ab 21 Uhr im Münchner Jazzclub Unterfahrt eine Jamsession zu Ehren von Paulo Cardoso statt.