2018 ist Alexander Liebreichs erstes Jahr als Künstlerischer Leiter des Richard Strauss-Festivals Garmisch-Partenkirchen. Im Interview erzählt er, was er dort anders machen wird und dass er die Person Richard Strauss durchaus kritisch sieht. Außerdem verrät der bekennende Fußballfan, wie er dieses Interesse mit seinem Beruf als Dirigent zusammenbringt.
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"Ich tue mich schwer mit Persönlichkeitsverehrung"
BR-KLASSIK: Herr Liebreich, mögen Sie eigentlich Veränderung?
Alexander Liebreich: Ja. Die Crux, die es da allerdings für jeden gibt, ist: Jeder möchte das Neue und kämpft mit der Veränderung. Und das tut man selbst auch, weil man einfach loslassen muss. Das Leben an sich und das, was dann kommt, ist natürlich auch unser Grundproblem der Veränderung. Wir versuchen, das Leben als gewissen "Festhalte-Mechanismus" anzusehen, der womöglich über den Tod hinausgeht. Deshalb "ewiges Leben". Und das gilt im kleinen bürgerlichen Haushaltsrahmen ganz genauso, weil man vermutlich irgendwie versucht, sich festzuhalten bei dem, was da auf einen losstürmt.
BR-KLASSIK: 2018 ist Ihr erstes Jahr als Künstlerischer Leiter des Richard-Strauss-Festivals in Garmisch. Dabei sind Sie aber mit sehr viel Veränderung an den Start gegangen: Sie haben es verlängert, Sie verlassen die traditionellen Spielorte, Sie gehen nach draußen. Was hat Sie dazu motiviert - warum diese Veränderung?
Alexander Liebreich: Meine Liebe zu dieser Gegend und zur Musik - die hatte ich eigentlich immer schon, da hat sich für mich persönlich nicht so viel verändert. Weil ich das Werdenfelser Land um Garmisch-Partenkirchen herum immer geliebt habe; das ist für mich Ausflugsziel, Sport und berauschendes Naturereignis gleichermaßen. Insofern hatte ich das aus meinem Blickwinkel gesehen und ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch ein Blickwinkel eines musisch inspirierten Menschen sein könnte, der nach Garmisch-Partenkirchen zieht, um sich inspirieren zu lassen. Die Natur ist dabei ganz wesentlich. Was vorher war, wollte ich dann jetzt gar nicht so konkret ins Kalkül ziehen. Ich hatte mich mehr gefragt: Was ist meine Perspektive? Das hatte ich auch im Vorfeld so besprochen. Und insofern hat sich meine Perspektive für dieses Festival gar nicht so viel verändert.
Worum geht es in Strauss' Musik? Das ist die Frage, der wir nachspüren müssen.
BR-KLASSIK: Dass Sie das Werdenfelser Land lieben, sieht man direkt, wenn man die Homepage des Festivals anklickt. Da sind keine Partiturbilder und kein Konterfei von Strauss zu sehen. Aber man sieht die Natur, den Nebel, den Wald und die Berge. Was hat das mit Strauss zu tun?
Richard Strauss - Gemälde von Max Liebermann | Bildquelle: picture-alliance/dpa Alexander Liebreich: Naja, ich tue mich grundsätzlich schwer mit Persönlichkeitsverehrung und Devotionalienanbetung. Worum geht es in seiner Musik? Worum geht es bei einem Komponisten? Das sind die zentralen Fragen, denen wir nachspüren müssen - und nicht einem musealen Begriff von Richard Strauss. Der kann zwar interessant sein und auch eine Rolle spielen, aber für mich als Musiker und für uns als Kunstliebhaber ist mir schon die Auseinandersetzung wichtig. Was inspiriert einen Menschen dazu, so etwas zu schreiben? Da sind natürlich zum einen die Eindrücke der Umgebung - auch der Umwelt, der Gesellschaft, der Politik und der Zeitgeschichte. Aber natürlich spielt auch die Gegend eine entscheidende Rolle: Dort steht der höchste Berg Deutschlands, das ist ja auch fast ein Joch, mit dem man irgendwie umgehen muss und dem man sich nicht entziehen kann. Strauss hat im Gegensatz zu Richard Wagner nicht versucht, sich einen "Gral-Anbetungsort" zu schaffen. Für ihn war das ja keine Zielsetzung, dort ein Festspielhaus zu errichten, sondern er wollte sich zurückzuziehen, um dort einen Platz zu finden, an dem er wirken und Inspiration empfangen konnte.
BR-KLASSIK: Wir haben über Veränderungen gesprochen. "Metamorphosen" ist ein Motto des diesjährigen Festivals, ein anderes Motto heißt "1938". Das geht zurück auf ein geschichtsträchtiges Jahr: Das Münchner Abkommen ist damals geschlossen worden, die Tschechoslowakei hat das Sudetenland an Hitler abgetreten. Sie sind derzeit Chefdirigent im polnischen Katowice und wechseln im Herbst auf den Chefposten beim Rundfunk-Sinfonieorchester in Prag, haben also enge Verbindungen in diese Region. Was ist Ihnen wichtig an dieser Verbindung - und warum das Motto "1938"?
Alexander Liebreich: Durch meine Arbeit beim nationalen Rundfunk in Polen, aber auch als neuer Chef des Symphonieorchesters beim Prager Rundfunk ist die Geschichte immer eine zentrale Frage, die uns begleitet - gerade in der Achse München-Prag oder München-Polen. Ich glaube, dass ein Ansatz ganz wichtig ist, nämlich der, dass man nicht sagt: Wir sind Straussianer, damit ist diese Person auf den Sockel gestellt und Schluss.
BR-KLASSIK: Zumal Strauss ja auch nicht ganz unbefleckt ist mit seiner Geschichte ...
Alexander Liebreich: Genau, wir müssen lernen, im Sinne der eigenen kulturellen Begegnung Dinge kritisch zu betrachten und nicht zu sagen, es war alles gut oder es war alles schlecht. Das ist das große Problem unserer heutigen Zeit, dass wir nach links und rechts wegsortieren, also Schwarzweißmalerei betreiben. Kein Wunder, dass der Populismus auf dem Vormarsch ist. Man muss die Person Strauss kritisch sehen, da gibt es gar keine Diskussion.
Ich glaube, dass Frankreich eine extrem gute Mannschaft hat.
BR-KLASSIK: Nun noch zu einer ganz anderen Sache: Sie haben mir verraten, dass Sie Fußballfan sind. Wie verbringen Sie die Zeit der Weltmeisterschaft?
Alexander Liebreich: Also die Vorausplanung ist immer wichtig im Kulturbetrieb - nämlich, dass die um die WM und die Champions League herum stattfindet. (lacht)
BR-KLASSIK: Das Strauss-Festival Garmisch läuft ja parallel zur Weltmeisterschaft. Wie haben Sie es denn dort geregelt, dass das Publikum und wahrscheinlich auch die Musiker Gelegenheit haben, Spiele mitzuverfolgen?
Alexander Liebreich: Wir haben versucht, das entsprechend zu planen. Konzerte werden natürlich nicht abgesagt, das geht nicht. Ich weiß aber, dass ich, wenn ich dirigiere, relativ sicher sein kann, dass das nicht während der eigenen Gruppenspiele stattfindet.
BR-KLASSIK: Was ist Ihr Tipp: Wer wird Weltmeister?
Alexander Liebreich: Das ist schwierig. (lacht) Ich glaube, dass Frankreich eine extrem gute Mannschaft hat. Und was die deutsche Mannschaft angeht, gerade in der Vorbereitung, ist man schon gespannt und auch zögerlich. Ich würde mich freuen, wenn die Jungs die Vorrunde überstehen - das wäre schon klasse.
Sendung: "Leporello" am 15. Juni 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK