"Danzas – Vom Tabu zum Triumph" heißt die neue CD des Ensembles La Ninfea, ein Album voller Tänze wie Sarabande, Volta, Ciaccona, Walzer oder Tango, die es aus der musikalischen Schmuddelecke in die Sphären der Hochkultur schafften.
Bildquelle: Perfect Noise
Vibrierende Körper, eng umschlungen, aufgepeitscht von wilder Musik. Eine Horrorvorstellung für gewisse Kreise, die sich für die Überwachung der öffentlichen Moral zuständig fühlen. Seit Jahrhunderten wird der Tanz von ihnen misstrauisch beäugt. Trotzdem oder gerade deshalb lassen sich die Leute nicht vom Tanzen abschrecken und zahlreiche verpönte und geächtete Tänze der Renaissance traten einen Triumphzug bis in die königlichen Paläste an, wenn auch teilweise in stark entschärfter Form.
Das Schöne an dem Album ist, dass La Ninfea die wilden Urformen der Tänze und die gezähmten Varianten für Adel und Bürgertum direkt nebeneinanderstellt, wie etwa bei der Sarabande. So lässt sich nachvollziehen, wie sich aus der südamerikanischen Zarabanda der Renaissance, die in Spanien wegen ihrer lasziven Tanzbewegungen verboten war, allmählich ein seriöser, langsamer Schreittanz entwickelte. Der wiederum zur Basis einer der berühmtesten Händel-Arien wurde: "Lascia, ch'io pianga" – nun ein verzweifelter Gesang, in dem Almirena ihr grausames Schicksal beweint.
Der gleiche Tanz, zwei völlig verschiedene Klangwelten. Und ein weiterer Aha-Effekt: die Sarabande wirft ein Schlaglicht auf die verschlungenen Reisewege der Tänze – denn gerade in der Tanzmusik spiegelt sich wie in einem Brennglas die brutale, aber kulturell eben durchaus fruchtbare Kolonialgeschichte Europas.
Bei anderen Stücken arbeitet La Ninfea mit Collagen: Das Ensemble bringt Tänze aus verschiedenen Epochen zusammen, die historisch nichts miteinander zu tun haben. Aber die eben ihr ursprünglich schlechter Ruf verbindet. Die Chaconne, in ihrer südamerikanischen Urform als obszön verschrien, und den Tango, heute Weltkulturerbe mit Wurzeln im Rotlicht-Bezirk von Buenos Aires, schichten die Musikerinnen und Musiker zum Beispiel in einer aberwitzigen Collage übereinander, der "Chaconne à l'argentine".
Die alten Tänze klingen bei "La Ninfea" wie gestern komponiert; die Blockflöte wirbelt wie das Bandoneon im Tango-Orchester, das Cembalo wechselt vom Chaconne-Bass zur Piano-Bar und zurück. Ein Konzeptalbum zum Genießen, das Perspektiven ins Heute öffnet.
Werke von Praetorius, Händel, Soler, Mozart, Piazzolla u.a.
Ensemble La Ninfea
Label: Perfect Noise
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 22. September 2024, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK