Das Bach-Archiv in Leipzig feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag. Zu diesem Jubiläum bekam es jetzt ein äußerst wertvolles Geschenk: Handschriften, Briefe und Erstdrucke der vier Bach-Söhne Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel, Johann Christoph Friedrich und Johann Christian Bach. Die 130 Dokumente im Wert von etwa 10 Millionen Dollar sind derzeit und noch bis zum 3. November 2025 in der Sonderausstellung "Bachs Söhne - Die Sammlung Kulukundis" ist im Bach-Museum zu sehen.
Bildquelle: Andreas Praefcke
Der New Yorker Reeder und Musikforscher Elias Kulukundis hat die Sammlung seit den 1950er Jahren Stück für Stück zusammengetragen. Den wertvollsten Teil überlässt er nun dem Leipziger Bach-Archiv. Peter Wollny, Leiter des Bach-Archivs, ist tief berührt:
Ich war doch sehr überrascht, als er eine ganz kurze Mail schrieb, nur drei Zeilen lang, er hätte sich überlegt, alle Autographe, alle Briefe, also alles, was wertvoll ist, uns zu schenken, wenn ich es denn haben wollte für das Archiv.
Kennengelernt hat Wollny Kulukundis Anfang der 1990er Jahre. Da studiert er gerade an der amerikanischen Harvard University, wo er an der Dissertation zu Wilhelm Friedemann Bach arbeitet. Über einen gemeinsamen Bekannten erfährt er von Kulukundis und dessen Sammlung von Briefen und Manuskripten der Bach-Söhne. Wollny schreibt ihm einen Brief: der Beginn eines wissenschaftlichen Austauschs und einer über die Jahrzehnte gewachsenen Freundschaft. Was Peter Wollny bei Kulukundis zu sehen bekommt, ist mehr als beeindruckend: verloren geglaubte Erstdrucke und Handschriften, die Wollny unter anderem für seine Dissertation suchte und nun in der Schatzkammer des Leipziger Bach-Museums ausliegen.
"Das ist eine Originalhandschrift von Wilhelm Friedemann Bach, dem ältesten Sohn. Diese drei Blätter, die hier liegen, sind also insgesamt zwei Kompositionen, eine Kantate und eine Messe. Wenn ich dieses Blatt hier angucke, kriege ich jedesmal noch Gänsehaut, denn Wilhelm Friedemann hat dieses Stück im Alter von 32 Jahren ungefähr komponiert. Es ist wirklich ein schönes solides Stück. Und als alter Mann, spät im Leben, hat er seine Vornamens-Initialen ausradiert, ausgekratzt und den Namen seines Vaters da eingesetzt. Also er hat sein Stück Johann Sebastian Bach zugeschrieben."
Warum Wilhelm Friedemann Bach das gemacht hat, darüber gibt es bislang nur Mutmaßungen. Jedes einzelne Notenblatt, jeder Erstdruck und jeder Brief, so Peter Wollny, erzählt komplexe Geschichten. Sie fügen sich wie Puzzleteile in das Gesamtbild der vier Komponisten-Söhne Johann Sebastian Bachs. In einer der Vitrinen liegt eine Handschrift von Mozart, der in Wien das letzte große Oratorium von Carl Philipp Emanuel Bach aufführte.
"Und dieses Blättchen hier in der Vitrine ist Mozarts Bearbeitung der Trompeten-Partien in einem dieser Stücke aus dem Oratorium, die Trompeten waren nämlich für die Wiener Musiker zu schwer und er musste das vereinfachen und tiefer legen. Und das sieht man hier."
Viele Dokumente gelten nach dem Zweiten Weltkrieg als verschollen. Einige von ihnen tauchen in Amerika wieder auf. Wie zum Beispiel drei Noten-Blätter, die ursprünglich der Inhaber des Leipziger Peters-Verlags Henri Hinrichsen 1917 angekauft hatte. Er und viele seiner Familienmitglieder wurden in Auschwitz ermordet, und deshalb beschießt der jüngste Sohn Walter Hinrichsen, das Erbe der Familie mit nach New York zu nehmen. Er verkauft die drei Blätter an den deutsch-jüdischen Antiquar Walther Schatzki, der in den 1930er Jahren nach Amerika emigrierte. Von Antiquaren wie Schatzki kauft Kulukundis diese und andere Dokumente der vier Bach-Söhne und das zu einer Zeit, als sich noch niemand für sie interessierte.
Das Leben der vier Bach-Söhne, die ebenfalls berühmte Komponisten wurden, wird in der Schatzkammer sehr lebendig. Die Dokumente, Handschriften, Noten und Briefe, die Elias Kulukundis über viele Jahrzehnte gesammelt und nun dem Leipziger Bach-Archiv geschenkt hat, sind einzigartig: sie erzählen über den Alltag der Bachs, die Praktiken ihrer Arbeit und das Leben in ihrer Zeit.
Sendungsthema aus Tafel-Confect am 27.04.2025, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK