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Das Stichwort vom 16. September Alexander Agricola

Bis heute polarisiert seine musikalische Handschrift: Unter den großen frankoflämischen Komponisten des ausgehenden 15. Jahrhunderts gilt Alexander Agricola (um 1450-1506) als derjenige mit der eigenwilligsten Klangsprache.

Belgische Stadt Gent | Bildquelle: © colourbox.com

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Das Stichwort vom 16. September 2018

Alexander Agricola

Gent im 15. Jahrhundert. Die Stadt bildete zusammen mit Brügge und Antwerpen die wirtschaftliche Achse Flanderns, damals eine der reichsten europäischen Boom-Regionen. Wie heute im Silicon Valley suchten Menschen aus ganz Europa dort ihr Glück.

Alleinerziehend

Darunter war auch Lijsbette Naps, eine selbstbewusste Geschäftsfrau, die unverheiratet blieb und sich in der Männerwelt der Genter Kaufmannschaft erfolgreich behauptete. Irgendwann in den 1440er oder 50er Jahren muss sie den zwielichtigen Vermögensverwalter Heinric Ackerman kennengelernt haben. Obwohl er verheiratet war, bekam sie von ihm zwei Söhne, vermutlich Zwillinge, die sie alleine großzog. Beide wurden Musiker: Johannes und Alexander Ackerman, der seinen Namen wie damals üblich zu Agricola latinisierte.

Hofsänger

Über die ersten Lebensjahrzehnte von Alexander Agricola gibt es keine gesicherten Dokumente. Erst 1475 taucht er in den Akten auf als Vikar und Sänger an der Kathedrale von Cambrai. Danach war Alexander Agricola unter anderem in den Hofkapellen der Könige von Frankreich und Neapel tätig. Schließlich wurde er im Jahr 1500 "chapelain et chantre" - Kaplan und Vorsänger am burgundischen Hof Philipps des Schönen. Als er diesen auf einer Reise nach Spanien begleitete, starb Agricola 1506 in Valladolid an einer dort grassierenden Fiebererkrankung.

Eigenwillige Handschrift

Von seinen Zeitgenossen wurde Alexander Agricola in einem Atemzug genannt mit Josquin Desprez, Heinrich Isaac oder Jacob Obrecht, der in Gent in derselben Straße zur Welt kam wie Agricola. Unter all diesen Namen war Agricola der Komponist mit der eigenwilligsten Handschrift. Sein Tonsatz klingt weniger geglättet als etwa bei Josquin, dem die Nachwelt eine Art Klassiker-Status zugesprochen hat. Agricola erzeugt Spannung durch bewussten Einsatz von Unregelmäßigkeiten: durch Tempokontraste etwa, Synkopenketten oder asymmetrische Figurenfolgen. Eine eigenwillige Klangsprache polarisiert. Was den einen in der Musik von Alexander Agricola unruhig und nervös erscheint, empfinden andere als erfindungsreich und in höchstem Maße elektrisierend.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 16. September 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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