Ein Katholik im Knast, der zum Zeitvertreib Noten aufschreibt – mit so einer Entstehungslegende können nicht viele Sammlungen aufwarten.
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1960 in Cambridge. Der englische Dirigent und Cembalist Christopher Hogwood stand am Beginn seiner Studienzeit. Gerade hatte er sich neue Noten besorgt und lief damit unter dem Arm seinem Professor über den Weg - und dieser war nicht sehr begeistert, wie Christopher Hogwood sich erinnert: "Als er mich auf der Straße sah, ein frisch erworbenes Exemplar der Standard-Edition des Fitzwilliam Virginal Book in den Händen, hielt er mich an, um mir zu erklären, dass ich mein Geld für ‚20 Fehler auf jeder Seite' ausgegeben hätte. Vielleicht hat er ein wenig übertrieben, aber die Kur, die er vorschlug, war sehr effektiv: ‚Mein Lieber', sagte er, ‚gehen Sie die Straße runter bis zum Museum und schauen Sie sich das Original an'."
Das Museum ist das Fitzwilliam Museum und das Fitzwilliam Virginal Book ist einer seiner größten Schätze. Die ersten hundert Jahre des Fitzwilliam Virginal Book liegen im Dunkeln, dann tauchte es 1740 in einer Bibliothek auf und gelangte schließlich in den Besitz des kunstsinnigen Adligen Richard Fitzwilliam. Der vermachte seine bedeutende Bücher-, Kunst- und Antiquitäten-Sammlung 1816 der Universität von Cambridge. Das Fitzwilliam Virginal Book ist wie auch das Museum nach ihm benannt. Es enthält nahezu 300 Kompositionen für Virginal, dieser besonders im England des 16. bis 18. Jahrhundert beliebten etwas kleineren Variante des Cembalo. Das Fitzwilliam Virginal Book ist die Hauptquelle für viele Werke von William Byrd, John Bull und Giles Farnaby.
Die im Fitzwilliam Virginal Book gesammelten Musikstücke bieten einen repräsentativen Überblick der englischen Musik für Tasteninstrumente von der späten Renaissance bis zum frühen Barock: Fantasien, Variationswerke und viele Tanzsätze sind darin enthalten. Doch wer ist nun eigentlich der Urheber dieser bedeutenden Handschrift? Der englische Komponist Francis Tregian der Jüngere war ein strenger Katholik und wurde wegen seiner Weigerung, am anglikanischen Gottesdienst teilzunehmen, verurteilt. Er bliebt bis zu seinem Tod in Gefangenschaft - und man geht davon aus, dass er während dieser Zeit das Fitzwilliam Virginal Book verfasste. So hat am Ende vielleicht schlichte Langeweile den Cembalisten in England zu einer ihrer wichtigsten Musikquellen verholfen.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 06. April 2014, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK