Bachs "Kunst der Fuge" mag der Höhepunkt der Fugen-Komposition sein; die Anfänge des Spiels mit Augmentation, Krebsgang oder Spiegelung reichen viel weiter zurück.
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Sie zählt zu den vitalsten und langlebigsten, zu den unsterblichen, ewig modernen Formen der Musik in Geschichte und Gegenwart: die Fuge. Das Wort ist mehrdeutig: für einen Maurer und Fliesenleger bedeutet "Fuge" etwas Anderes als für einen Geophysiker. Für den Musiker und Musikliebhaber ist es untrennbar mit dem Namen Johann Sebastian Bach verbunden. Denn Bach war es, der die Form zu schwindelerregenden Stilhöhen führte, sie in eine stabilisierte Gestalt brachte und dabei Prototypen schuf, von denen man Lehrbuchregeln für die Fugenkomposition ableiten konnte.
Indes ist die Fuge als Form viel älter als Bach. Ihre Wurzeln reichen bis ins Mittelalter zurück. Ihre eigentliche Geschichte beginnt gegen Ende des 16.Jahrhunderts, als das Kompositionsprinzip der Fuga, bei dem eine Stimme die andere nachahmt, sich in eine selbständige, geschlossene Form verwandelte. Ein erstes, prominentes Beispiel für eine Fuge findet sich in Samuel Scheidt "Tabulatura Nova" von 1624. Das lateinische Wort fuga bedeutet "Flucht" oder "davonlaufen". Mit anderen Worten: ein Thema flieht von einer Stimme zu einer anderen, wird dabei auf anderen Tonstufen wiederholt.
"Sic fugit amicus amicum." - "So flieht der Freund vor dem Freunde", so schrieb Joseph Haydn über das Fugen-Finale, eines seiner frühen Streichquartette aus dem op.20. Gleichwohl gilt: die musikalische Realität einer Fuge hat weniger etwas von Flucht als mehr etwas von nachfolgen und imitieren. Insofern ist die Fuge eng verwandt mit dem altbekannten Kanon. Doch während ein Kanon sich eher spielerisch geriert, hat die Fuge etwas von einer konzentrierten, sachlich und konsequent geführten Diskussion.
Mit seiner Kunst der Fuge schrieb Johann Sebastian Bach so etwas wie die Bibel der Fugenkomposition. In diesem Bachschen Spätwerk wird das Potenzial eines musikalischen Themas systematisch ausgelotet. Es wandert durch alle Stimmen, wird auf mannigfache Weise umspielt, verarbeitet und in immer neuen Charakteren vorgestellt. Ein Thema wird in jeder Hinsicht aspektreich betrachtet. Das ist das Prinzip der Fuge.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 13.Juni 2010, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK