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Improvisation Spontanes Erfinden und klangliches Realisieren von Musik

Da mögen die Noten eines Stücks vielleicht sehr einfach, geradezu schlicht wirken – wird es kunstvoll verziert, klingt es schließlich virtuos und überraschend. Und vielleicht sogar jedes Mal anders, je nach Können und Inspiration der Spielenden.

Bildquelle: colourbox.com

Improvisation, das ist kreatives Schaffen aus dem Augenblick heraus: z.B. von Gedichten – Schlagwort Poetry Slam, von Bildern, wie etwa beim Action Painting – und von Musik. Für den Jazz ist das Improvisieren sogar zentral. Eine sehr ursprüngliche Form des musikalischen Ausdrucks, die seit jeher in Volks- und Kunstmusik eine wichtige Rolle spielt. Eine Ausnahme bildet vor allem die klassische Musik seit ca.1800. Hier steht das geschlossene Werk, die Komposition, im Vordergrund. Jede Note hat ihren unbedingten, nur so, auf diese Weise gewollten Platz. Die Beliebigkeit, die vordergründig der Improvisaton innewohnt, ist hier unerwünscht und soll vermieden werden.

VERZIERUNGSPRAXIS

Improvisation kann nur stattfinden, wenn sie sich auf ein vom Interpreten verinnerlichtes System von musikalischen Parametern stützen kann. Im Jazz ist das die Formelwelt des Bebop. Die Improvisation im Barock dagegen ist vor allem eine Verzierungskunst. Sehen die Noten manchmal merkwürdig schlicht aus, so oblag es damals dem Spieler oder Sänger, die Melodien zu ornamentieren – wozu viel Geschmack und gleichermaßen Kenner- wie Könnerschaft vonnöten waren, was bereits Michael Praetorius in seinem Syntagma musicum beschreibt:

"Dass er wisse die Accentus fein artlich und cum Indicio zu führen
unnd die modulos oder Coloraturen … nicht an einem jeden Ort des Gesanges
sondern appositè, zu rechter Zeit und gewisser mass anzubringen." (
aus: M. Praetorius "Syntagma musicum")

Genauso wurde lediglich die Basslinie auskomponiert und mit Akkordanweisungen versehen, die Gestaltung der Begleitstimmen war Aufgabe der Musiker.

EINE ZWEITE STIMME ZU EINER MELODIE

Die frühesten Belege für das Improvisieren finden sich in mittelalterlichen Anweisungen, wie man zu Choralmelodien ad hoc eine zweite Stimme erfindet. Damit eng verknüft sind die ersten theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Kontrapunkt. Eine ganze Anzahl wichtiger Aspekte des lebendigen Musizierens wurde aber lange Zeit nur mündlich überliefert. Je weiter man zurückgeht, umso weniger ist davon bekannt, welche Instrumente wann und wie verwendet wurden, wie ganze Stücke gestaltet wurden, was im jeweiligen Zeitgeschmack erlaubt war und was nicht. Die Interpreten der Alten Musik müssen heutzutage aktiv, in einer Mischung aus Forschung und Praxis, diese verlorenen Klänge rekonstruieren – und haben damit letztlich die Möglichkeit eröffnet, auch heute wieder im Bereich der sogenannten Klassik: zu improvisieren.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 16. August 2015, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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