Eine leichte Abweichung von exaktem Spiel bringt gleich mehr Charme in die Musik: das ist im Jazz nicht anders als in der Alten Musik. Wie das nun genau umgesetzt werden kann, das lässt sich in etlichen Traktaten nachlesen.
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Inégalité meint, gleich notierte Noten ungleich zu spielen. Diese Praxis findet sich in verschiedensten Arten der Musik: etwa in der Volksmusik, in Popularmusik, im Jazz – und in der Barockmusik. Und dort ganz besonders in der Musik, die im französischen Stil geschrieben ist. Die Komponisten und die ausführenden Musiker des 17. und 18. Jahrhunderts haben die Inégalité nicht nur praktiziert, sondern auch exzessiv Traktate darüber verfasst mit Regeln, wann und wie dieses Ungleich-Spielen angewandt werden sollte.
"Dieser Regel zu Folge müssen die geschwindesten Noten, in einem jeden Stücke von mäßigem Tempo oder auch im Adagio, ungeachtet sie dem Gesichte nach einerley Geltung haben, dennoch ein wenig ungleich gespielet werden; so dass man die anschlagenden Noten einer jeden Figur, nämlich die erste, dritte, fünfte, und siebente, etwas länger anhält, als die durchgehenden, nämlich die zweyte, vierte, sechste, und achte: doch muss dieses Anhalten nicht so viel ausmachen, als Puncte dabey stünden." Johann Joachim Quantz
In der Praxis meint diese Regel also, dass von zwei aufeinanderfolgenden Noten des gleichen Notenwerts – meist Achtel oder Sechzehntel – die erste länger sein soll als die zweite. Aber kürzer als wenn sie punktiert wäre. Es bleibt immer noch ein großer Spielraum, wann diese zweite Note nun platziert werden soll. In anderen Traktaten finden sich Angaben, dass man die beiden Achtel triolisch unterteilen kann, also 2 zu 1, oder auch 3 zu 2, 5 zu 3, 7 zu 5 oder sogar 9 zu 7. Was dann aber kaum noch wahrnehmbar ist.
Wie bei so vielen Regeln gibt es auch hier Ausnahmen. Quantz verlangt beispielsweise, dass Noten gleicher Tonhöhe égal gespielt werden sollen. Auch gibt es die Möglichkeit, dass die Angabe "croches égal" im Notentext steht, die Achtel müssen égal, also gleich, sein. Oder über den Noten finden sich Punkte, auch sie heben die Regel der Inégalité auf.
"Diese Inégalité gibt ihnen mehr Grazie… der Geschmack bestimmt, ob sie mehr oder weniger inégal sein sollen. Es gibt einige Stücke, in denen es gut ist, sie sehr inégal zu spielen und andere, wo sie dies weniger sein sollen. Der Geschmack entscheidet." Monsieur de Saint-Lambert
Dass zwei unterschiedliche Musiker oder Ensembles ganz unterschiedliche Geschmäcker haben können, zeigt ein Vergleich des Beginns des "Te Deum" von Marc-Antoine Charpentier:
"Les Musiciens du Louvre" unter Marc Minkowski spielen die beiden Achtel im 1.Takt mehr oder weniger égal, während "Les Arts Florissants" unter William Christie sich fürs andere Extrem entschieden haben und die beiden Achtel im ersten Takt fast punktieren.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 8. Juli 2012, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK