Heute kennt man Louis Marchand vor allem als Widersacher von Johann Sebastian Bach. Bevor es zum sagenumwobenen Orgel-Wettstreit kam, kniff Marchand. Doch zu seiner Zeit war er ein hoch angesehener Organist und Cembalist.
Bildquelle: Nationalbibliothek Frankreich
Der arme Louis Marchand gehört zu den bemitleidenswerten Figuren, die ihren Platz in der Geschichte einer demütigenden Niederlage verdanken. Sie existieren in den Geschichtsbüchern nur aus einem Grund: Ihre Schmach beweist die Größe des Siegers. So erging es respektablen Persönlichkeiten wie dem Trojaner Hektor oder dem römischen Feldherrn Varus oder auch der schottischen Königin Maria Stuart.
In diese Riege tragischer Gestalten reiht sich der französische Organist und Cembalist Louis Marchand ein: als derjenige Feigling, der lieber abreiste, als sich in Dresden einem Orgel-Wettstreit mit Johann Sebastian Bach zu stellen. So will es die Legende, gestrickt von Bachs Jüngern Jahrzehnte nach dem Ereignis. War es tatsächlich Angst oder fühlte er sich überrumpelt, als er herausgefordert wurde? Die genauen Gründe kennen wir nicht, die Louis Marchand bewogen, Dresden Hals über Kopf zu verlassen, bevor es zum Messen mit Bach kam.
Wer aber war dieser Louis Marchand? Geboren vor 350 Jahren, am 2. Februar 1669, wuchs der Sohn eines Organisten in Lyon auf. Im Alter von 20 Jahren kam er nach Paris, wo er als Organist an verschiedenen Kirchen und Klöstern arbeitete. Seine Virtuosität auf den Tasteninstrumenten sprach sich bald herum, so dass er 1706 zu einem von vier Organisten an der Königlichen Kapelle in Versailles ernannt wurde. In den Jahren 1716 und 1717 reiste Louis Marchand in Deutschland herum und spielte vor Fürsten, Königen und sogar vor dem Kaiser. Er maß sich bei seinen Auftritten mit zahlreichen namhaften Musikern in der Variationskunst und im Improvisieren, nur eben nicht mit Johann Sebastian Bach.
Ohne den Schatten dieser Episode würde der Fokus der Musikwelt vielleicht stärker auf Marchands Schaffen liegen, denn zu seinen Lebzeiten war er in Frankreich ähnlich berühmt wie François Couperin. Nach seiner Rückkehr aus Deutschland amtierte Louis Marchand als Organist bei den Franziskanern in Paris und starb kurz nach seinem 63. Geburtstag als wohlhabender Mann. Als Komponist hinterließ er einige Arien, zwei Kantaten und fünf Bände mit Orgel- und Cembalostücken. Seine einzige Oper ist verschollen.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 3. Februar 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK