Wann holt er endlich wieder Luft? Wenn man sich das in einem Konzert oder einer Opernaufführung fragt, kann es gut sein, dass da gerade die Kunst der "Messa di voce" vorgeführt wird, eine scheinbar atemberaubende Gesangstechnik.
Bildquelle: colourbox.com
Was der Countertenor Franco Fagioli zu Beginn der Arie "Cara ti lascio" von Gennaro Manna mit langem Atem zelebriert, ist ein formvollendetes Messa di voce. Diese Gesangsverzierung besteht aus einem langen Ton, der leise beginnt, zu vollem Volumen anschwillt, und dann abnimmt, bis er wieder die Ausgangslautstärke erreicht hat.
"Einem langen, angehaltenen Ton Leben einhauchen, und zwar durch Dynamik. Durch ein Anschwellen und ein Abschwellen, crescendo und decrescendo. Und die Kunst ist eben, vor allem auf einem langen Ton, das gleichmäßig zu verteilen. Wobei ich finde, man kann als Sänger auch noch den Höhepunkt festlegen: ich kann ihn vorverlegen, also schnell anschwellen und langsam und allmählich decrescendieren. Oder aber gleichmäßig, in die Mitte legen, oder auch spät den Ton aufmachen und relativ schnell wieder abschwingen. Das sind die Möglichkeiten.", Andreas Post, Sänger
Das ist die Erklärung von Tenor Andreas Post, der auch mitunter ein Messa die voce singt. Denn obwohl die Hochzeit dieser Technik an den Kastratengesang gekoppelt war – hier konnten die Männer mit den knabenhaften Stimmen ihr ganzes Lungenvolumen glanzvoll ausspielen – benutzen natürlich auch andere Stimmlagen diese dynamische Gesangsverzierung. Wie etwa die Mezzosopranistin Magdalena Kožená zu Beginn der Händel-Arie "Ah! mio cor" aus der Oper Alcina.
Um einen so beeindruckenden Ton singen zu können, muss man nicht unbedingt besonders tief einatmen oder ein extrem großes Lungenvolumen haben, viel wichtiger ist die Atemtechnik, begründet Andreas Post:
"Der ungelernte Sänger wird sehr viel Luft verlieren beim Singen, weil einfach sehr viel Luft durch die Stimmritze strömt, die unverbraucht mit verloren geht. Dann ist der Atem schnell weg. Mit demselben Atemvolumen kann ich aber, wenn ich es kontrolliert ablasse, sehr lange Töne singen. Wenn ich so eine Kadenz-Situation habe, wo auch keine Begleitung ist, dann kann ich den Leuten zeigen, wie lange ich so einen Ton halten kann. Und wenn jemand sehr lange Töne gestalten kann, dann raubt das dem Publikum sicherlich irgendwann den Atem, weil es denkt, der muss doch irgendwann mal wieder atmen! Das ist die eigentliche Kunst dahinter, und auch die Show - es ist auch immer ein bisschen Show dabei natürlich."
Geprägt hat den Begriff Messa di voce der römische Barockkomponist Domenico Mazzocchi. Ab 1638 verwendet er die Bezeichnung in seinen Notendrucken. Doch mit dem Ende der Barockoper gerät diese Verzierung allmählich in Vergessenheit. Zuletzt benutzt hat sie noch Vincenzo Bellini in seiner 1831 erschienenen Oper "Norma" in der Rolle der Adalgisa.
Messa di voce – das man nicht mit dem Begriff Mezza voce verwechseln darf, was so viel bedeutet wie mit halber Stimme oder halber Kraft singen – ist als Gesangstechnik erst wieder in den vergangenen Jahrzehnten aufgetaucht im Zuge der historisch-informierten Aufführungspraxis Alter Musik. Doch auch in der Instrumentalmusik findet sie sich mitunter, hauptsächlich bei Blas- und Streichinstrumenten. Eines der anspruchsvollsten Beispiele dafür mit gleich zwei sehr langen aufeinanderfolgenden Messa di Voce auf der Geige hat Francesco Maria Veracini in seiner Sonate op.2 Nr. 5 komponiert.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 17. November 2013, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK