Unter den gregorianischen Gesängen gilt das Offertorium als besonders virtuos. Aber nicht zu allen Zeiten der Musikgeschichte stand dieser liturgische Gesang zur Gabenbereitung hoch im Kurs
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Seit dem Mittelalter ist es in den verschiedenen Choraltraditionen üblich, den liturgischen Opferritus, also die Darbringung von Brot und Wein, durch einen Gesang zu begleiten, der als Offertorium bezeichnet wird. Die ursprünglich dabei gesungenen Texte nahmen allerdings keinen Bezug auf das unmittelbare liturgische Geschehen, sondern sie orientierten sich meist am jeweiligen Tagesevangelium. Das Offertorium ist nämlich Teil des sogenannten Propriums. So werden diejenigen Messgesänge genannt, deren Texte sich dem Anlass im Laufe des Kirchenjahres entsprechend von Gottesdienst zu Gottesdienst ändern. Das Gegenstück dazu, das sogenannte Ordinarium, bezeichnet dagegen diejenigen Messgesänge, die in jeder Messe den gleichen Text vortragen, wie z.B. das Kyrie oder das Gloria.
Wie auch andere Propriumsteile, der Gesang zum Einzug oder zur Kommunion beispielsweise, wurde das Offertorium ursprünglich antiphonal vorgetragen, das heißt von zwei Sängergruppen im Wechselgesang. Erst später setzte sich eine zunehmend responsoriale Tradition durch, bei der sich eine Sängergruppe mit einem Solisten abwechselt. Innerhalb des gregorianischen Repertoires zeichnen sich die Offertoriumsgesänge durch ihre besondere Virtuosität aus: die Melodien erstrecken sich oft über weite Tonräume und sind durch ausgedehnte Melismen dekoriert.
Als im Spätmittelalter die liturgischen Gesänge in der Regel mehrstimmig vertont wurden, konzentrierte sich diese Praxis in erster Linie auf das Ordinarium. Das Offertorium schien ein wenig aus dem Fokus der Komponisten zu geraten. Sogar in den großangelegten Proprienzyklen späterer Zeit sind die Offertoriumsgesänge nicht zwangsläufig berücksichtigt. Anfang des 16. Jahrhunderts beispielsweise erhielt Heinrich Isaac vom Konstanzer Bistum den Auftrag zu einer großangelegten Sammlung von Propriumsvertonungen. Dieser berühmte Choralis constantinus verzeichnet jede Menge Gesänge zum Einzug, zum Alleluja oder zur Kommunion, auch einige Sequenzen sind vertreten, aber kein einziges Offertorium.
Im Zuge der katholischen Reformbestrebungen erlebte das Offertorium schließlich eine Aufwertung: Es entstanden Neukompositionen, oftmals auf der Basis neugedichteter Texte. Ende des 16. Jahrhunderts veröffentlichten Komponisten wie Orlando di Lasso oder Palestrina ganze Offertoriensammlungen. Häufig wurde der Messgesang nun sogar als der musikalische Höhepunkt der Messe vertont. Eine Entwicklung die in den zunehmend sinfonischen Vertonungen des Spätbarock und der Klassik mündete.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 18. Februar 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK