Arturo Toscanini war ein Gigant unter den Pultstars des frühen 20. Jahrhunderts. Meisterhaft auf der Bühne, aber unerbittlich in den Proben: Wenn der Maestro mit den Orchestermusikern unzufrieden war, flogen schon mal Partituren oder Taktstöcke. BR-KLASSIK sendet einige historische Aufnahmen mit ihm.
Bildquelle: Idis
Er war ein Gigant unter den Pultstars des frühen 20. Jahrhunderts: Arturo Toscanini hat ganze Dirigenten-Generationen nach ihm beeinflusst. Durch seinen neuartigen Interpretations-Stil, der einem gerade bei Beethoven ziemlich modern vorkommt – obwohl es die historische Aufführungspraxis damals noch gar nicht gab. Toscaninis Markenzeichen waren fanatische Werktreue, straffe Tempi, starke dynamische Kontraste. Er hat sich immer in den Dienst der Komponisten gestellt, sich kaum subjektive Freiheiten erlaubt. Das hat Dirigenten wie Georg Solti, Riccardo Muti, Carlos Kleiber oder Herbert von Karajan nachhaltig beeindruckt.
Auch im richtigen Leben hat Toscanini, Jahrgang 1867, kein Blatt vor den Mund genommen, couragiert Stellung bezogen. Radikal im Verfolgen seiner Ziele und Ideale, wurde er nach anfänglicher Sympathie für Mussolini zum radikalen Gegner des Diktators. So hat er sich geweigert, vor Konzerten die verordnete Faschisten-Hymne "Giovinezza" zu dirigieren. 1931 wurde Toscanini in Bologna sogar von einem Faschisten auf der Straße angegriffen. Er verlässt Italien, dirigiert in Bayreuth, nach Hitlers Machtergreifung 1933 auch dort nicht mehr, wird zum Star der Salzburger Festspiele – um 1937, kurz vor dem "Anschluss" Österreichs, nach New York zu emigrieren, wo er 1957 mit fast 90 Jahren stirbt. Im Gegensatz zu seinem Antipoden Wilhelm Furtwängler hat er in der NS-Zeit ganz konsequent Rückgrat gezeigt.
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Toscanini dir. R. Strauss' "Till Eulenspiegels lustige Streiche" (Part 5)
Toscanini war ein großer Operndirigent, als 20-jähriger Cellist im Orchester der Mailänder Scala hatte er Giuseppe Verdi bei der "Otello"-Uraufführung 1887 kennengelernt. Drei Puccini-Opern hat Toscanini sogar uraufgeführt, "La Bohème", "La fanciulla del West" und die unvollendete "Turandot". Ein historisches Konzertvideo zeigt ihn hier bei einer Aufführung von Verdis "La Forza del destino":
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Toscanini FORZA Overture
An der Mailänder Scala kommt es 1903 zum Zerwürfnis, Toscanini nimmt seinen Hut – um drei Jahre später reumütig an sein Stammhaus zurückzukehren. Kein Wunder bei seinem Arbeitsstil: Bei den Proben war Toscanini unerbittlich und wurde schon mal ausfällig. Michael Stegemann hat Toscaninis Charakter so beschrieben: "Sein cholerisches Temperament, seine notorischen Wutanfälle, die bis zu physischen Übergriffen reichen konnten, die Beschimpfungen, zerbrochenen Taktstöcke und ins Orchester geschleuderten Partituren – all das ist legendär und wird auch durch viele Probenmitschnitte bestätigt." Heute wäre so ein Führungsstil gottlob undenkbar.
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Horowitz-Toscanini: Tchaikovsky, Piano Concerto (Live 1943)
Aber Toscanini war eben ein gnadenloser Perfektionist, der alles auswendig dirigierte – die Ergebnisse sprechen für sich. Sein diskografisches Erbe ist riesig, die meisten Aufnahmen hat er mit seinem NBC Symphony Orchestra in New York gemacht, das extra für den Maestro gegründet worden war. Legendär ist Toscaninis Einspielung des ersten Klavierkonzerts von Peter Tschaikowsky mit seinem Schwiegersohn Vladimir Horowitz – da hatten sich zwei gefunden, Horowitz war ja ein beispielloser Tastenvirtuose und Schnellspieler.
Sein letztes Konzert gab Toscanini mit dem NBC Symphony 1954 in der Carnegie Hall – nicht ganz freiwillig: Während des Venusberg-Bacchanals aus Wagners "Tannhäuser" erlebt der 87-Jährige einen Blackout und kommt erst wenig später wieder zu sich, um das Konzert zu Ende zu bringen. Das Podium hat er danach nie wieder betreten.
Sendung: "Konzertabend", Arturo Toscanini dirigiert das NBC Symphony Orchestra, am 9. Dezember 2019 ab 20.05 Uhr auf BR-KLASSIK