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Musikgeschichte Caruso als Sittenstrolch

Es war ein ebenso spektakulärer wie mysteriöser Gerichtsprozess: Im November 1906 wurde der Star-Tenor Enrico Caruso in New York der Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt. Was war passiert?

Enrico Caruso, 1909 | Bildquelle: Scherl / Süddeutsche Zeitung Photo

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Caruso als Sittenstrolch

Dieser aufsehenerregende Prozess setzte die Gemüter in Wallung und trieb die Auflagen der Boulevard-Zeitungen in die Höhe. Der Fall enthielt alles, um zur lüsternen Sensation aufgebauscht zu werden: Sex & Crime und einen prominenten Beschuldigten - eine der berühmtesten Persönlichkeiten seiner Zeit: Niemand Geringerer als Enrico Caruso, der König des Bellcanto, der Tenor der Tenöre, der erste Millionär in der Geschichte der Schallplatte saß auf der hölzernen Anklagebank des Gerichtssaals von Yorkville.

"Haltet ihn!"

Das angebliche Verbrechen, dessen der Opern-Star bezichtigt wurde, hatte am 17. November 1906 stattgefunden. Tatort war das Affenhaus des Zoos im New Yorker Central Park, genauer gesagt, das Gitter vor dem Affenkäfig. Dort stieß am Nachmittag des betreffenden 17. November eine adrette Frau spitze Schreie aus: "Hilfe, Hilfe! Haltet ihn".

"Notorischer Lüstling"

Enrico Caruso | Bildquelle: © picture alliance / AP Images Bildquelle: © picture alliance / AP Images Ein bärbeißiger Streifenpolizist namens James J. Kane war sofort zur Stelle und nahm den Mann in Gewahrsam, der der Frau angeblich "an die Hüfte gefasst" hatte. "Erregung öffentlichen Ärgernisses" lautete also die Anklage gegen Enrico Caruso. "Dieser Caruso ist ein notorischer Lüstling", diktierte Officer Kane emsig herbei geeilten Reportern in den Notizblock. Der verzweifelte italienische Tenor beteuerte, er sei "innocente", völlig unschuldig -  und wurde gegen eine saftige Kaution von 500 Dollar bis zum Prozessbeginn auf freien Fuß gesetzt.

Tatort Streichelzoo

Was aber war wirklich im Tierpark geschehen? Fakt ist: Zum Zeitpunkt des Eklats residierte Caruso im noblen New Yorker Savoy Hotel. Ein Abstecher in den nahe gelegenen Zoo war eine seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen. Kein Zweifel: Caruso war da gewesen, aber hatte er wirklich den Ausdruck "Streichelzoo" allzu wörtlich genommen?

Falscher Name, falsche Adresse

Zum wahren Krimi wird der Fall jedoch erst während der Gerichtsverhandlung: Die Klägerin erscheint nicht zum angesetzten Termin. Die belästigte Dame ist wie vom Erdboden verschwunden. Nachforschungen ergeben: Der Name, den sie der Polizei genannt hatte, "Mrs Graham", ist so falsch, wie ihre angebliche Anschrift. Die Anklage scheint wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen. Da tauchen neue Vorwürfe auf: Eine junge, engelsblonde Frau erhebt sich im Gerichts-Publikum und behauptet tränenreich, während einer Parsifal-Aufführung von Caruso betatscht worden zu sein. Beweise dafür hat sie nicht. Eigentlich müsste der Tenor freigesprochen werden. Dennoch verurteilt ihn der Richter zu einer symbolischen Strafe von zehn Dollar. Warum? Wusste die Justiz etwa mehr, als das, was an die Öffentlichkeit drang? 

Eine Intrige?

Bis heute sind die Hintergründe der Affenhaus-Affäre mysteriös. Stolperte Caruso etwa über die Fallstricke einer Intrige? Immerhin hat in einmal sogar die Mafia erpresst. Am 28. November steht der Sänger zum ersten Mal nach der Gerichtsverhandlung wieder auf der Opernbühne. Caruso ist nervös, doch die Zuschauer empfangen ihn mit Ovationen. Das ist der wahre Urteilsspruch.

Sendung: "Piazza" am Samstag, den 17. November 2018 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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