Der alte Sagenstoff um Tristan und Isolde ist die Basis für Frank Martins "Le vin herbé". In dem Chorwerk klingt die karge Ästhetik mittelalterlicher Mysterienspiele an. Peter Dijkstra hat das Kammeroratorium mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks erarbeitet und am 23. Januar aufgeführt.
Bildquelle: Astrid Ackermann
BR-Klassik: Herr Dijkstra, "Le vin herbé" von Frank Martin zählt nicht zum Kernrepertoire der Chorliteratur. Wann haben Sie als Profi, als Chorkenner, es kennengelernt?
Peter Dijkstra: Frank Martin ist ja Schweizer, aber er hat fast die Hälfte seine Lebens in den Niederlanden gewohnt. Seine zweite Frau war Niederländerin; sie sind in den 30er Jahren nach Holland umgesiedelt. In Naarden haben sie lange gewohnt, in Bussum, in der Nähe von Amsterdam. Ich als Holländer sage auch mit einem gewissen Stolz, dass wir auch sagen können, Frank Martin ist auch ein bisschen Holländer. Er ist in Holland ziemlich beliebt und bekannt. Und so habe ich sein Werk „Le vin herbé“ (Der Zaubertrank) auch relativ früh in den Niederlanden während meines Studiums kennengelernt.
BR-KLASSIK: Der große Pate des Zaubertranks ist der Tristan-Stoff und –Mythos. Wie verhält es sich in dem Stück zum Beispiel mit der Dramaturgie und damit zusammenhängend mit Affekten und Emotionen? Was ist das für eine Klangsprache?
Peter Dijkstra: Es hat mit Wagners Tristan nichts zu tun. Bei Wagner ist es so, dass die innere Emotionswelt der jeweiligen Akteure viel mehr ausgearbeitet wird. Bei Martin ist die Handlung schneller. Es ist eher ein Theaterstück als dass vollständig das innere Leben der Protagonisten ausgearbeitet wird. Und auch die Funktion des Chores ist aktiver, statischer, und wird mehr eingebettet in die ganze Erzählung. Darüber hinaus hat man ein bisschen das Gefühl, es ist eine mittelalterliche Sage und wird auch auf diese Art und Weise dargestellt.
BR-KLASSIK: Wie arbeitet Frank Martin, wenn es darum geht, klassische menschliche Gefühle auszudrücken? Es wird im Text auch oft davon gesprochen. Sei es „nur“ über den Chor, der davon berichtet, von Weinen oder von Wut. Wie drückt er das aus? Hat er eine naturalistische, plakative Klangsprache?
Peter Dijkstra: Erst mal ist das Erzählerische sehr wichtig. Aus dem Französischen heraus ist das sehr nah an der Sprache. Es ist viel Text für den Chor. Er spielt mit der Dissonanz und setzt sie ein, um Gefühle wie Schmerz, Leid oder Verlangen auszudrücken. Er setzt die Dissonanz ein, um der Geschichte Ausdruck zu geben. Er sagt ja selber darüber, dass er eigentlich hier in diesem Stück zum ersten Mal seine eigene Klangsprache gefunden hat. Zwischen Tonalität, Bitonalität, sogar manchmal Atonalität und Zwölftontechnik. Nicht rigide, nur eingesetzt, um dem Text Ausdruck zu geben.
BR-KLASSIK: Zu Ihrer Probenarbeit: Sie kannten das Stück, viele von den Choristen kannten es vielleicht noch nicht. Wie beginnt man da? Ich denke, es ist ja schon ein anspruchsvoller Chorpart.
Peter Dijkstra: Das ist richtig. Der Chor ist sehr oft dran, er ist gefragt. Und es ist auf Französisch und viel Text. Es ist ein anspruchsvoller, aber unglaublich dankbarer Part, sehr abwechslungsreich für den Chor. Ich finde es persönlich wahnsinnig wichtig, derartige Programms auch in unserem Abo zu bringen. Das Werk ist so fantastisch. Welche Art von Ensemble macht das denn sonst oder kann das sonst machen? Es wird viel zu wenig gespielt. Vielleicht auch, weil es ein bisschen schwieriger ist. Es ist nicht so leicht, da hinein zu dringen. Und es braucht natürlich auch die Ensembles, die diese Qualität habe, wie unseren Chor. Das ist die Aufgabe dieser professionellen Ensembles.
Das Gespräch führte Johann Jahn für BR-KLASSIK.
BR-KLASSIK überträgt das Konzert live aus dem Münchner Prinzregententheater:
Am Samstag, 23. Januar 2016, ab 20.05
Frank Martin: Le vin herbé
Es musizieren der Chor des Bayerischen Rundfunks und Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Peter Dijkstra