Vier Uraufführungen präsentierte der Chor des BR am 11. März im Münchner Prinzregententheater - von Wolfgang Rihm, Robert Moran, Martin Smolka und Vinko Globokar. Ein musikhistorisches Ereignis: immerhin handelt es sich um vier ebenso bedeutende wie grundverschiedene Tonschöpfer der zeitgenössischen Musik. Jeder von ihnen ist dem Chor des Bayerischen Rundfunks durch Ur- und Erstaufführungen verbunden, und jeder gilt als erfahrener Chorkomponist.
Da ist zunächst einmal Vinko Globokar, als Komponist, Interpret und Improvisator eine prägende Figur der Nachkriegsavantgarde, der – mit slowenischem Familienhintergrund in Frankreich geboren – schnell zum musikalischen Wanderer und Weltbürger wurde. Als innovationsfreudiger Posaunist, nimmermüder Klangforscher, Meister des instrumentalen Theaters und Urheber zahlloser Werke unkonventioneller Besetzungen und Machart hat er sich bis heute eine außergewöhnliche schöpferische Kraft und Phantasie bewahrt. Er unternimmt mit dem folkloristisch grundierten "Kolo ohne elektrifizierte Posaune" (der Neufassung eines bereits 1988 entstandenen Werks) eine gänzlich un-nostalgische, von Tanz und Bewegung geprägte Reise ins kollektive Gedächtnis, das bis heute tief geprägt ist von der spannungsvollen Realität europäischer Vielvölkerstaaten. Der Chor ist nicht nur singend gefragt!
Bildquelle: BR, Astrid Ackermann
Da ist außerdem der im Musikleben schier allgegenwärtige Wolfgang Rihm mit seinem Jahrzehnte anhaltenden Schaffensfuror und seiner enormen Diskursfreude, der vielleicht nichts weniger anstrebt, als die gesamte abendländische Musikgeschichte in seiner eigenen Klangsprache transformiert wieder auferstehen zu lassen. Der aber mit seiner "Missa brevis" in Zeiten existenzieller Bedrängnis altehrwürdige Traditionen geistlicher Musik auf sehr persönliche, anrührende Weise und voller Glaubenszweifel neu befragt. Dabei entfernt er sich weit von jener expressiven Wildheit, mit der er einst gegen die sich tot laufenden Routinen des (post-)seriellen Strukturalismus aufbegehrt hatte.
Und da ist nicht zuletzt der gebürtige Prager Martin Smolka, Sohn eines Komponisten, der hinter dem Eisernen Vorhang aufwuchs und dadurch als neugieriger Ohrenmensch von den musikalischen Entwicklungen zunächst weitgehend abgeschnitten war. Der dann aber nach der politischen Zeitenwende dem westlichen Musikleben mit seiner ästhetisch offenherzigen und eigenwilligen Klangsprache verblüffend neuartige Perspektiven musikalischer Einfachheit und Reinheit zu schenken vermochte. Wie ein komponiertes Hoffnungszeichen wirkt sein "Laudate, angeli" - vier Psalmvertonungen, mit denen er sich als spät getaufter Katholik vor allem den Wundern der Natur und dem Lob ihres Schöpfers zuwendet.
Bleiben die Stücke des Amerikaners Robert Moran: Als Rupert Huber, der Dirigent des Konzert, an ihn mit der Bitte herantrat, eigene Werke nach dem Vorbild von John Cages berühmten "Number Pieces" für den Chor des Bayerischen Rundfunks zu verfassen, zögerte dieser nicht lange. Moran und Cage waren schließlich über drei Jahrzehnte bis zu Cages Tod 1992 befreundet, und so kennt Moran die Kompositionen seines Landsmannes wie wohl kaum ein anderer. "Es ist erstaunlich, was mit der Musik passiert, wenn sie von so einer fantastischen Gruppe aufgeführt wird", lobte der Komponist den Chor des BR bei den Proben.