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Musikermedizinerin Claudia Spahn über die Atmosphäre in Orchestern "Wir brauchen keinen Druck, sondern Motivation"

Musiker müssen Höchstleistungen erbringen und stehen daher unter enormem Druck. Welche Folgen das für die Gesundheit hat und welche Rolle auch das Umfeld – von den Orchesterkollegen bis zum Dirigenten – dabei spielt, darüber äußert sich die Musikermedizinerin Claudia Spahn im Interview.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Frau Spahn, welche Symptome und Diagnosen stellen Sie häufig fest bei Orchestermusikerinnen und -musikern?

Claudia Spahn: Es gibt zwei große Bereiche: den psychischen Bereich und den körperlichen Bereich. Und die hängen - das sage ich als Psychosomatikerin - natürlich immer zusammen. Besonders häufig sind Überlastungsbeschwerden. Und in den psychischen Bereich fällt natürlich alles, was über ein übliches Lampenfieber hinausgeht. Wir nennen das dann Auftrittsangst - und die bringt natürlich auch die körperlichen Beschwerden noch stärker zur Geltung.

Soziale Grundhaltung setzt sich allmählich durch

BR-KLASSIK: Was macht dabei zum Beispiel die Beziehung zwischen einem Dirigenten und einem Orchester aus? Welche Rolle kann ein Dirigent durch sein Verhalten spielen, was solche Symptome betrifft?

Claudia Spahn: Ich denke, es ist erst einmal ganz wichtig, dass ein Dirigent die Haltung haben sollte: Mein Orchester ist so gut wie der einzelne Musiker gesund und motiviert ist und sich wohlfühlt. Das ist natürlich eine moderne Auffassung, die sich auch in modernen Betrieben durchgesetzt hat. Was nicht so gut ist: Wenn ein Dirigent denkt, er habe quasi ein Instrument aus Menschen vor sich und kann die Tasten oder die Saiten auswechseln.

Unter Orchestermusikern ist es sehr schwierig, auch mal Schwächen zuzugeben.
Claudia Spahn

Auch Dirigenten werden gequält

BR-KLASSIK: Im Fall Daniel Barenboim haben sich Musiker vor kurzem über das sogenannte Vorgeführt werden beschwert: In einer Probe sollte ein Musiker solistisch eine Passage spielen und die dann immer wieder wiederholen. Es werden zwar Anweisungen gegeben wie: "Hier noch ein bisschen höher". Aber diese dauernde Wiederholung wird als Vorführen und Bloßstellen empfunden.

Symbolbild: Junger Dirigent mit Dirigierstab und Noten von hinten | Bildquelle: ©picture alliance / RelaXimages Bildquelle: ©picture alliance / RelaXimages Claudia Spahn: Ich kenne das auch aus Schilderungen. Ich weiß, dass es unter den Orchestermusikern sehr schwierig ist, auch mal Schwächen zuzugeben. Wir haben immer wieder einzelne Fälle, wo es dann gelingt, wo die soziale Unterstützung da ist und die Musiker sich gegenseitig helfen und zusammenhalten. Das ist etwas enorm Wichtiges und beflügelt auch; man müsste das wirklich viel mehr zur Geltung bringen. Und natürlich ist das auch eine Chance, wenn man jemanden als Dirigenten hat, der vielleicht in der Art agiert, dass man in der Gruppe versucht, die Problematik aufzufangen. Umgekehrt weiß ich von vielen Dirigenten, die, wenn sie jung sind und am Anfang stehen, auch manchmal von den Orchestern gequält werden. Wenn man so aufwächst, dann stellt sich ja manchmal auch die Frage: Warum entwickeln sich Dirigenten dann vielleicht im Einzelfall so? Das kann ich jetzt nicht allgemein beantworten, aber ich denke, es ist ein sehr komplexes Zusammenspiel.

Die Atmosphäre des Respekts

BR-KLASSIK: Es gibt auch Musiker, die so eine Probeweise mit dem Argument verteidigen, dass durch den Druck die Qualität entsteht. Würden Sie dem zustimmen?

Claudia Spahn: Nein, wir brauchen keinen solchen Druck. Stattdessen brauchen wir Motivation und eine sehr intensive und anspruchsvolle Arbeitsauffassung. Aber es muss eben in einer Atmosphäre des Respekts passieren. Es soll auch den Schwierigkeiten Rechnung getragen werden: Was bedeutet es für einen Musiker, auf diesen Moment hin genau diesen Klang so zu produzieren und das immer wieder? Das ist eine unglaubliche Leistung, und die muss ein Dirigent grundsätzlich immer wieder von neuem respektieren – auch wenn er vielleicht jemand ist, der nur mit Spitzenorchestern zusammenarbeitet.

Man müsste bei Orchestern richtige Kommunikationstrainings anbieten.
Claudia Spahn

Viele Modelle der Kommunikation

BR-KLASSIK: Manche Dirigenten verhalten sich nicht mehr respektvoll, doch manche Musiker sind vielleicht auch einfach zu empfindlich. Wo verläuft da die Grenze?

Claudia Spahn: Das ist jetzt eine Frage, die wirklich in die Kommunikationswissenschaften fällt. Sie können sich bei einer Kommunikationsbotschaft ja immer mehrere Ebenen anschauen. Je nachdem, wie der "Sender" etwas sagt, entsteht eine völlig andere Atmosphäre. Und auf der anderen Seite des "Empfängers" kommt es darauf an, mit welchem Ohr man das hört. Das ist ein ganz komplexer Vorgang. Im Grunde genommen müsste man eigentlich – bei dieser ständigen Kommunikation, die im Orchester auf allen Ebenen ständig abläuft – richtige Kommunikationstrainings anbieten. Um das auch bewusst machen zu können. Wenn dann jemand immer noch sagt, ich will aber trotzdem so sein, dann kann man nicht mehr viel ändern. Dann ist das eben so.

Sendung: "Leporello" am 6. März 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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