Als Johannes Brahms sein "Deutsches Requiem" komponierte, dachte er wenig an das Seelenheil des Verstorbenen. Mit seiner Musik wollte Brahms in erster Linie eines: den Hinterbliebenen Trost spenden. Von kirchlichen Konventionen wandte er sich vollständig ab. So gesehen schuf er ein sehr untypisches Requiem.
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Am 18. Februar 1869 wird unter Carl Reinecke im Leipziger Gewandhaus die vollständige siebensätzige Fassung des "Deutschen Requiems" von Johannes Brahms uraufgeführt. Nein, nicht DES Requiems. Brahms hat für den Titel seines Werks "Ein Deutsches Requiem" gewählt. Er erlaubt sich damit eine subjektive Religionsperspektive, mit der er jeder dogmatischen Wahrheit den Rücken kehrt.
Kirchlicher Ritus, Einbindung in die Liturgie, Musik in dienender Funktion für das Christentum? Derlei bedeutet Brahms nichts. So sagt er selbst über seine Textwahl, er würde auch gerne noch das Deutsche weglassen und dafür "einfach den Menschen setzte." Menschen, ehrwürdige Dichter, stehen für Brahms auch hinter den von ihm selbst ausgewählten Bibeltexten. Texte von Menschen für Menschen. "Ich habe meine Trauermusik vollendet als Seeligpreisung der Leidtragenden", so Brahms.
Nicht die Toten und ihr Seelenfrieden, nicht der Erlösungstod Christi, der namentlich gar nicht erwähnt wird - nein, die Zurückgebliebenen bilden den Mittelpunkt dieses humanistischen Werks. Ihnen gilt es Trost zu spenden. Anlass für diese Interpretation mag der Tod des Freundes Robert Schumann 1856 gewesen sein. Doch ehe das Werk in der siebensätzigen, symmetrisch geschlossenen Anlage vorlag, vergingen Jahre - und zwei Uraufführungen. 1867 mit drei, 1868 mit sechs Sätzen. Schon da begeisterte das Werk in Bremen 2.000 Menschen.
Ein triumphaler Erfolg für Brahms. Warum? Weil er meisterhaft romantische Stilelemente mir vorbarocker Musiksprache, moderne Ausdrucksmittel mit kontrapunktischen Techniken verknüpfte. Vielleicht mehr noch, weil er jedem einzelnen einen unmittelbaren Zugang ermöglicht hatte. "Unserem Herzen steht Brahms' Requiem noch näher", schreibt der berühmte Musikkritiker Eduard Hanslick. "Weil es jedes konfessionelle Kleid, jede kirchliche Konvenienz abstreift, statt des lateinischen Ritualtextes deutsche Bibelworte wählt, und zwar so wählt, dass die eigenste Natur der Musik und damit zugleich das Gemüt des Hörers in intimere Mitwirkung gezogen wird."