Ernst Haefliger war neben Fritz Wunderlich der herausragende lyrische Tenor seiner Generation: Mit einem charakteristischen Silbertimbre und bestechender Deklamationskunst begeisterte der Schweizer sein Publikum. Berühmt wurde Haefliger mit Bach und Mozart, doch sein breites Repertoire umfasste ebenso Mahler, Wagner und Strawinsky. Geboren wurde der Tenor am 6. Juli 1919 in Davos, wo er am 17. März 2007 auch verstarb. Über 60 Jahre währte seine internationale Karriere in den Sparten Lied, Oper und Oratorium. Ein Porträt.
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Das Geburtstagsporträt zum Anhören
Es war – wie so oft – eine starke Frau, die am Beginn dieser glanzvollen Karriere stand: "Jeden Abend, wenn ich im Bett war, kam die Mutter und dann haben wir zusammen gesungen", erinnert sich der Tenor Ernst Haefliger. "So fing es an. Nachher in der Schule war ich immer sehr laut im Singen und das war immer die beste Note." Mit 19 Jahren hörte Haefliger seine erste Oper, die "Meistersinger" in Zürich, die er mit seiner Mutter gemeinsam den ganzen nächsten Tag aus dem Gedächtnis nachschmetterte. Damit stand sein Wunsch fest: Sänger werden. Vielen späteren Generationen galt Ernst Haefliger dann als der ideale Bach-Evangelist, als betörender Tamino in Mozarts "Zauberflöte", als ergreifender Schubert-Interpret. Nach einem Liederabend mit Schuberts "Schwanengesang" im Münchner Herkulessaal 1931 schwärmte der SZ-Musikkritiker Karl Schumann: "Den elegischen und meditativen Tenorklang, diese lyrische Selbstverfremdung einer von Natur aus jugendlich-optimistischen Stimmlage, pflegt Ernst Haefliger auf vornehmste Art. Von ihm späten Schubert zu hören, bleibt ein Gewinn. Allein schon des Timbres wegen."
Die musikalische Begabung kommt vom Großvater mütterlicherseits, einem Dorflehrer, der Orgel spielt und Theaterstücke schreibt. Fast wäre Ernst Haefliger auch solch ein Geige spielender Schulmeister geworden, doch in der Prüfungskommission für Schulgesang saß 1942 der Dirigent der Züricher Tonhalle, Volkmar Andreae. Er engagierte den 23-Jährigen vom Fleck weg für eine Aufführung von Bachs "Johannes-Passion". Ausbildung und zehn Ensemblejahre am Opernhaus Zürich folgten. Haefliger wurde in München noch Schüler des großen Tenors Julius Patzak, dann holte ihn 1952 Ferenc Fricsay nach Berlin an die Deutsche Oper. Dort sangen derzeit auch Elisabeth Grümmer und Dietrich Fischer-Dieskau. "Meine Spezialität sind die Mozart-Rollen", erklärte er in Berlin. "Ich singe hier Tamino, singe hier Belmonte, den ich jetzt auch mit Ferenc Fricsay für die DG auf Platte aufgenommen habe." Haefligers unvergessene Paraderolle war der Tamino in der "Zauberflöte", eindringlich und philosophisch.
Bach ist für mich jedes Mal ein neues Erlebnis.
Seit den fünfziger Jahren glänzte der Schweizer international bis in die USA als Lied- und Opernsänger, mit Oratorien und vor allem mit den Passionen Bachs. "Echtes Gefühl", so Haefliger, brauche er für seine Interpretation des Evangelisten. Gemeinsam mit dem Münchener Bach-Chor und dem Münchener Bach-Orchester unter der Leitung von Karl Richter prägte Haefliger einen neuen Bach-Stil, verwandelte die Leidensgeschichte Christi in eine leidenschaftliche und doch klug-kontrollierte Erzählung, die das Publikum mitriss und bewegte. "Bach ist für mich jedes Mal ein neues Erlebnis. Bei Bach passiert so viel. Da ist zum Beispiel Dramatik – mehr als in mancher Oper", sagte 1968 zu Beginn des Münchner Bach-Festes.
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Bach : Matthäus-Passion Rez.& Arie "Geduld" Ernst Haefliger, Tenor Karl Richter, Leitung
Gesungen hat Ernst Haefliger in seiner langen Karriere alle Sparten: Oper, Oratorium, Lied. Heutzutage ist dies eher selten. "Es ist schade, denn ich finde, dass jeder Opernsänger auch ein Liedersänger sein müsste", sagte der Tenor dazu. "Und dass jeder Liedersänger auch Opern singen, einen Ausgleich finden sollte." Haefliger war es wichtig, sich nicht von Anfang an nur auf die Oper festzulegen, sondern auch Zeit zu haben für Oratorien und Liederabende. Entsprechend handelte er seine Verträge aus.
Ich war zuerst ein leichter lyrischer Tenor und bin dann bisserl schwerer geworden.
Ernst Haefliger war in seiner Gestaltungskunst stil- und geschmackssicher, klug disponierte er die Legato-Bögen, von "Tenor-Intelligenz" war die Rede. Für die Bühne aber sah er die natürlichen Grenzen seiner Stimme ganz realistisch. "Ich war zuerst ein leichter lyrischer Tenor und bin dann bisserl schwerer geworden. Ich hätte wahrscheinlich wirklich auch Florestan singen können, wenn ich das gewollt hätte, aber da habe ich mich davor gehütet auf der Bühne. Denn wenn man nicht von vornherein das große Material hat für diese Musik, dann ist es schwer auf der Bühne, wenn man den Ausdruck hat, dann will man immer zu viel geben."
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Ernst Haefliger - Ombra mai fu (Handel)
Es gab Zeiten in der Karriere, da war Ernst Haefliger sieben Monate im Jahr auf Tournee- und Konzertreisen. Seine Frau, die Innenarchitektin Anna Golin, lebte mit den gemeinsamen drei Kindern erst in Berlin, dann in München. Dort übernahm Haefliger 1971 eine Professur für Gesang, gab Meisterkurse sogar in Japan und weiterhin Liederabende. Sorgsam hat Ernst Haefliger, der zur Freude der Familie daheim auch mal jodelte, mit seiner Stimme Maß gehalten. Noch 76-jährig sang er den ihm gewidmeten "Ijob" von Wilfried Hiller, ebenso 1995 Schuberts "Winterreise" in New York. "Alterszärtlichkeit" bescheinigte man ihm. In seinen Kindern Andreas und Michael Haefliger, Pianist der eine, Festivalleiter in Luzern der andere, und in der Schauspielerin Christine Marecek lebt Ernst Haefligers künstlerische Ader weiter.
Zeitlebens blieb er offen und neugierig. Als einer der ersten Sänger interessierte er sich für historische Aufführungspraxis und Liedbegleitung auf dem Hammerflügel. Seine Kunst blieb immer hochexpressiv. "Man hört Ernst Haefliger nicht als Stimme, sondern als Musiker", befand der Stimmenguru Jürgen Kesting. Für ihn zählt Haefligers späte Aufnahme von Schuberts "Schwanengesang" zu den "schönsten Apotheosen der Schubert-Interpretation".
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Ernst Haefliger; "Schwanengesang"; Franz Schubert
"Zoom" in "Piazza" am 6. Juli 2019, 10:30 Uhr: Dem Tenor Ernst Haefliger zum 100. Geburtstag
"Cantabile" am 6. Juli 2019, ab 13:05 Uhr: Musik von Mozart, Beethoven, Schubert und Schumann
Die Bach-Kantate am 7. Juli 2019, ab 08:05 Uhr: "Ich hatte viel Bekümmernis“ BWV 21
Kammermusik am 8. Juli 2019, ab 21:25 Uhr: Janáček, "Tagebuch eines Verschollenen"
Kammermusik am 15. Juli 2019, ab 22:05 Uhr: Schubert, "Schwanengesang"