Seit 18 Jahren schreibt Fanny Hensel, geborene Mendelssohn, Tagebuch. Ihre Erlebnisse notiert sie sachlich, pragmatisch, knapp und nicht immer kontinuierlich. Aber sie hält Rückschau, wenn sie länger nicht geschrieben hat. Heute muss sie fast den ganzen Monat zusammenfassen.
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Es ist eine sehr bewegte Zeit vorüber gegangen… Vorige Woche hatten wir eine recht angenehme Gesellschaft hier, ich spielte mein Trio op. 11 mit Eckert... Ich habe jetzt eine verdrießliche Zeit, es will mir nichts Musikalisches gelingen.
Noch ahnt die begabte Komponistin und Pianistin nicht, dass es der letzte Eintrag ihres Lebens sein wird. Immerhin ist sie erst 41 Jahre alt und noch voller Tatendrang. Auch wenn sie die Anerkennung und Öffentlichkeit vermisst, die ihr Bruder Felix genießen darf. Die Rollenerwartungen der großbürgerlichen Gesellschaft! Wie hatte schon ihr Vater gesagt? Für eine Frau dürfe die Musik nur Zierde sein.
Dass man seine elende Weibsnatur jeden Tag, auf jedem Schritt seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgerückt bekömmt, ist ein Punkt, der einen in Wuth und somit um die Weiblichkeit bringen könnte.
Wenigstens organisiert sie die Sonntagsmusiken im Hause Mendelssohn, dirigiert und begleitet ihren Chor, führt mit anderen Musikern Oratorien und Kammermusik auf - und komponiert seitdem auch selbst nicht mehr nur Lieder und Klavierstücke. Fanny ist sowieso selbstbewusster geworden, seit sie in Italien war - ihre fruchtbarste und unbeschwerteste Zeit. Sieben Jahre ist das her:
Aber ich habe ein ewiges, unvergängliches Bild in der Seele, das vor keiner Zeit verblassen wird.
Wie viele Eindrücke, die ihre Kreativität anregte. Jetzt hat sie es immerhin geschafft, ein paar Kompositionen veröffentlichen zu lassen, nachdem Felix seinen Handwerkssegen erteilt hat. Allerdings ist ihr auch bewusst, dass es ihrem Bruder im Grunde überhaupt nicht recht ist. Es ist eben mühsam für eine Frau. Aber bei den Sonntagsmusiken lebt Fanny Hensel auf. Inzwischen sind diese Veranstaltungen in ganz Europa bekannt. Liszt, Heine, oder die Brüder Humboldt finden sich dazu ein.
Demnächst steht wieder ein Abend an. Fanny will die "Walpurgisnacht" ihres Bruders aufführen. Aber dazu wird es nicht mehr kommen. Am 14. Mai 1847, drei Wochen nach dieser Tagebucheintragung, während einer Probe, stirbt Fanny Hensel. Einen Tag zuvor wird sie noch sagen:
Ich bin so glücklich, wie ich's gar nicht verdiene.
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