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Film-Tipp "Django – Ein Leben für die Musik" Swing-Star im besetzten Paris

Der französische Gitarrist Django Reinhardt war eine Galionsfigur des Gypsy-Swing. Der Film „Django – Ein Leben für die Musik“ – war dieses Jahr Eröffnungsfilm der Berlinale und ist jetzt in den Kinos zu sehen. Ein wunderschönes Porträt eines Musikstils und eine Verbeugung vor denen, die ihn hervorgebracht haben: den Sinti.

Djano - Ein Leben für die Musik - Filmszene | Bildquelle: Weltkino

Bildquelle: Weltkino

Schon direkt nach der Premiere den Berliner Filmfestspielen war viel zu lesen über diesen Film - aber meist eher Verhaltenes. Die Kritikerbewertungen in Frankreich rangieren von fünf Sternen bis hin zu nur einem einzigen. Vor allem eines wird dem Film immer wieder vorgeworfen: Dass er sich auf einen einzigen Abschnitt im Leben des großen Jazzmusikers beschränkt. Auf die Zeit im von den Nazis besetzten Frankreich, in der er ein Star ist, den sogar die Machthaber hofierten, der sich aber dann doch entschließt, mit seiner Familie über Thonon-les-Bains am Genfer See einen Fluchtversuch in die Schweiz zu unternehmen.

Aber gerade das kann man auch als großen Vorzug dieses Films sehen, der dadurch auch besonders plastisch eine Frage in den Mittelpunkt rückt: die der Rolle von Musik in schwierigen Zeiten. Der Film beantwortet sie nicht aufdringlich eindeutig - aber er stellt sie auf elegant-eindringliche Art. Und er setzt die Musik bemerkenswert gut in Szene. Nicht zuletzt durch die mimische Leistung des Django-Darstellers Reda Kateb und die vom Trio des Solo-Gitarristen Stochelo Rosenberg hinreißend eingespielten Klassiker Django Reinhardts.

Mord in den Ardennen

Der Anfang: beklemmend. Irgendwo im Wald, in den Ardennen. Ein bärtiger Sänger mit blinden Augen, die Pupillen weiß und scheinbar in eine weit innen liegende Ferne blickend, singt ein Lied zur Gitarre. Um ihn herum Angehörige und Freunde. Eine Gruppe Sinti, die sich auf der Flucht vor den deutschen Besatzern und französischen Kollaborateuren versteckt. Plötzlich taucht eine Pistole hinter einem Baumstamm auf, man hört einen Schuss. Alles strömt auseinander. Auf der Stirn des bärtigen Sängers erscheint ein allmählich wachsender roter Fleck. Die Kamera deutet an: Für wohl keinen in dieser Gruppe, auch Frauen und Kinder, gibt es ein Entkommen.

Django angelt in Paris

Der Kontrast: Ein Konzertsaal in Paris. Das Publikum wartet. Hinter der Bühne Aufregung. Der wichtigste Musiker ist nicht da. Der muss erst geholt werden von einem seiner Kollegen. Gemütlich steht er an der Seine und angelt. Ein Star, der seine Berühmtheit genießt und seine Zuhörer schon mal etwas hinhalten kann. Django Reinhardt eben. Im Publikum sitzen auch Nazis. Und später, in der Garderobe, wollen zwei von ihnen den Musiker zu einer Tournee durch Deutschland überreden. Inklusive eines Auftritts vor Propagandaminister Goebbels. Erst eine Freundin und Geliebte - eine für den Film erfundene Figur namens Louise (gespielt als schillernde Blondine von Cécile de France) -, die in der Résistance aktiv ist, kann ihn überzeugen, dass er sich dieser Tour entziehen muss, aufgrund der Verfolgung der Sinti durch die Nazis. Sinti und Roma wurden in Deutschland massenhaft in Konzentrationslager deportiert. Anfangs sagt Django Reinhardt noch: "Das ist nicht mein Krieg." Er sei Musiker, weil er das am besten könne. Für wen er spiele, kümmere ihn nicht.

Django wagt die Flucht

Das ändert sich im Laufe des Films. Django Reinhardt wird mit seiner Frau Naguine und seiner Mutter Negros einen Fluchtversuch unternehmen, wochenlang am Genfer See auf den passenden Augenblick warten. Er will sich zunächst weigern, als er in einer Villa in Amphion-les-Bains ein Konzert vor Nazi-Offizieren geben soll. Tut es aber, weil er damit der Résistance Rückendeckung für eine Fluchthilfe-Aktion verschaffen kann. Seine eigene Flucht, später, ist ein Drama. Im Schnee über die Berge soll sie verlaufen. Aber für Djangos schwangere Frau und seine Mutter ist der Weg zu beschwerlich; sie kehren um, wollen bei Verwandten untertauchen. Django, mit seiner in eine Decke eingewickelte Gitarre, wird mit Hunden gejagt. Er buddelt sich schließlich in den Schnee ein und liegt da wie in einem Grab, bis die Hunde sich entfernen. Die Gitarre ist bei der Aktion zu Bruch gegangen.

In der Hauptrolle: die verstümmelte Hand

Einige eindringliche Bilder hat dieser Film. Und das mit dem dahingestreckten Musiker im Schnee ist eines der stärksten. Aber noch mehr in die Erinnerung graben sich die Musikszenen. Django-Darsteller Reda Kateb spielt den Musiker mit schrägem Lächeln, oft entrücktem Blick und bemerkenswerter musikalischer Einfühlung. Wenn er die Gitarre spielt, schlüpft er besonders überzeugend in die Haut des Musikers, der einst bei einem Wohnwagenbrand so schwere Verbrennungen an der linken Hand davontrug, dass er den Ringfinger und den kleinen Finger nicht mehr bewegen konnte. Django Reinhardt spielte stets nur noch mit Zeige- und Mittelfinger, die anderen beiden blieben unbeweglich zum Handteller hin gebeugt.

Reda Kateb wird immer wieder beim Spielen eines Solos gezeigt. Und nirgends sieht das aus wie ein Schauspieler, der einen Gitarristen mimt. Bei Nahaufnahmen ohne Gesicht - wobei offen bleibt, ob da wirklich die Hände Katebs aufgenommen wurden -, ist gut zu sehen, dass die Finger wirklich die Bünde an den Positionen greifen, an denen die gehörten Töne liegen. In einem Interview hat Kateb erzählt, er habe ein Jahr lang mit einem Gitarrencoach geübt für die Rolle; für die linke Hand gab es von der Maske eine Art Prothese, um die Haltung der verstümmelten Finger einzuhalten: Modelliermasse, mit der die Hand präpariert wurde.

Nur "fünf Prozent Synkopen"

Bei dem Konzert in der Villa, aber auch vorher bereits auf der erwähnten Bühne in Paris, steigern sich Django-Klassiker wie "Nuages", "Minor Swing", "Mélodie au Crépuscule" oder "Manoir de mes rêves" nach und nach so in ihre swingende Lebendigkeit hinein, dass es völlig überzeugend wirkt, wenn plötzlich die deutschen Offiziere ausgelassen dazu tanzen. Bis schließlich einer entsetzt das Ende dieses lustvollen Treibens fordert. Diese Szenen sind auch ein wunderbarer Kontrast zu den vorherigen, völlig absurden Anweisungen eines Nazi-Offiziers gegenüber den Musikern dazu, wie diese Musik sein solle: nicht mehr als "fünf Prozent Synkopen", Soli nicht länger als "fünf Sekunden", Tempi wie Allegro und Presto und vor allem auch Blues-Stücke seien zu meiden. Das ignorieren die Musiker selbstverständlich, ohne mit der Wimper zu zucken. Einem der Deutschen, der Django Reinhardt fragt, ob er sich denn überhaupt mit Musik auskenne, sagt der Musiker: "Nein; aber sie kennt mich".

Charles Delauney und Dr. Jazz

Wer die Musik Django Reinhardts und ihr Umfeld gut kennt, wird in diesem Film manchen spannenden Anhaltspunkt finden. Dieses Kino-Epos nach dem Roman "Folles de Django" von Alexis Salatko, gestattet sich zwar fiktive Figuren, baut aber auch einige reale Gestalten und Begebenheiten mit ein. Das Konzert in Amphion etwa ist verbürgt - später schrieb Reinhardt das Stück "Folie à Amphion", das sich auf den Abend bezieht. Im Film taucht auch der Jazz-Spezialist und Begründer des "Hot Club de France", Charles Delauney, auf. Ebenfalls real ist die Figur des deutschen Offiziers Dietrich Schulz-Köhn (1912 – 1999). Schulz-Köhn, im Film auch "Dr. Jazz" genannt (diesen Namen gab sich der reale Schulz-Köhn von 1948 an in Radiosendungen für den Nordwestdeutschen Rundfunk und später den WDR), war schon als Schüler Jazzfan, promovierte 1939 über "Die Schallplatte auf dem Weltmarkt". Er war 1933 der SA beigetreten und 1938 der NSDAP, aber zugleich war er auch von 1935 an Mitglied des "Hot Club de France" und ein Freund Charles Delauneys. Die Verbindung zwischen beiden blieb auch in Kriegszeiten bestehen, obwohl Delauney im französischen Widerstand aktiv war. Später wurde Schulz-Köhn in der Bundesrepublik Deutschland ein sehr bekannter Jazz-Publizist. Eine Gestalt voller Widersprüche, das deutet sich in diesem Film auch an.

Requiem für die Sinti

Was dem Film ebenfalls eine besondere Note verleiht, ist die Darstellung einiger Menschen aus Django Reinhardts Umfeld. Seine Mutter Negros, die sich in einer Szene als listige Gagen-Verhandlerin erweist, wird hinreißend temperamentvoll gespielt von Bimbam Merstein. Und die ungarische Folksängerin Bea Palya spielt Djangos Frau Naguine. In den Szenen in Thonon-les-Bains mit vielleicht etwas zu romantisierend arrangierten Wohnwagen im dortigen Film-Sinti-Camp spielt Django Reinhardt mit Musikern zusammen, von denen einer durch den bekannten Gypsy-Swing-Gitarristen Hono Winterstein dargestellt wird. Mit viel Respekt verbeugt sich der Film vor den Sinti - er endet mit Momenten einer Aufführung eines Requiems, das Reinhardt für Orgel und Streicher schrieb und das 1945 in Paris ein einziges Mal aufgeführt wurde ("Requiem pour mes frère tsiganes") und zeigt dann im Schlussbild authentische Fotos französischer Sinti und Roma, die Opfer des Nationalsozialismus und des Vichy-Regimes wurden. Der Geiger Warren Ellis (bekannt unter anderem durch "Nick Cave & The Bad Seeds") hat zusammen mit Reinhardts Enkel David Reinhardt die verschollene Komposition rekonstruiert.

Musik als Vehikel für die Freiheit

Ein Film, an dessen Bildersprache die einen zu viel Hollywood (die Szenen in Amphion) und wieder andere zu viel Western-Zitat bemäkelten (die Anfangsszene in den Ardennen) - der aber viel Stoff zum Weiterdenken gibt. Und der seine Hauptfigur so zeigt, wie es wohl am realistischsten ist: Als großes Kind, das ganz in der Musik lebt, das oft rätselhaft ungreifbar bleibt und das im Laufe der Handlung einen Reifeprozess durchmacht. Die Musik ist dem Django Reinhardt des Films zunächst eine Welt, in die er ganz für sich eintaucht - und nach und nach wird sie zum Vehikel der Freiheit. Der zumindest inneren, die dann aber auch subtil nach außen dringt. Fünf Prozent Synkopen? Kein Blues? Keine schnellen Tempi? Da schnallt sich der Gitarrist eine Schelle ums Bein und swingt dann um so mehr - mit besonders vielen Synkopen, einem Tempo, das sich immer mehr steigert und ganz viel Blues in elegant französischem Tarngewand: Töne des Trotzdem und des Jetzt-erst-Recht.

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