Roter Teppich, Champagner und Blitzlicht sind hier unwichtig: Bei den Filmtagen in Hof vom 24. bis zum 29. Oktober geht's wie immer um die Kunst. Bei diesem "anderen Filmfest" werden Filme gezeigt, die wenig beifallheischend sind, und auch die dazugehörige Filmmusik meidet die große Show. Die BR-KLASSIK-Redaktion verschafft einen Überblick über die fünf Jahrzente Hofer Filmtage.
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Das Festivalbüro 1974 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Man wollte alles anders machen, als das Kino der Väter. Im ersten Film, der 1967 im Rahmen eines zweistündigen Kurzfilmnachmittages gezeigt wurde, "Autorennen" von Vlado Kristl fehlt die Musik sogar komplett. Als im Jahr 1968 dann das Filmprogramm begann - die zum offiziellen Festivalprogramm gehörende Brauereiführung war gerade beendet - flimmerte ein Kurzfilm namens "Letzte Worte" über die Leinwand. Hier spielte die Musik eine große Rolle: ein Mann erklärt wortreich, dass er sich weigere zu sprechen. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er als Musiker auf Kreta - und so ist das Musizieren mit Bouzouki und kretischer Lyra, der authentische Sound, ein essentieller Bestandteil seines Lebens und auch des Films. Der Name des jungen Filmemachers: Werner Herzog.
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Ο ΑΝΤΩΝΗΣ ΠΑΠΑΔΑΚΗΣ (ΚΑΡΕΚΛΑΣ) ΠΑΙΖΕΙ ΛΥΡΑ ΣΤΟ ΕΝΕΤΙΚΟ ΛΙΜΑΝΙ ΡΕΘΥΜΝΟΥ - 1968
Werner Herzog nach dem Fußballspiel 1977 | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Werner Herzog sollte noch häufig nach Hof zurückkehren (nicht nur weil er 1971 Torschützenkönig beim zu diesem Zeitpunkt bereits traditionellen Fußballspiel war). Mit ihm machten sich seine Kollegen vom Neuen Deutschen Film, u.a. Wim Wenders, Volker Schlöndorff und Rainer Werner Fassbinder in Oberfranken heimisch. Außerdem wurden ab den 70ern internationale Filmemacher eingeladen, wie etwa Brian de Palma.
Nachdem fünf Jahre lang jeder seine Filme in Hof zeigen durfte, wird eine Vorauswahl eingeführt und so wurden die Filmtage vom Anarcho-Festival zu einem, das Qualitätsmaßstäbe setzen sollte. Das Ziel: "gesellschaftlich relevante Filme zeigen, die den Sehgewohnheiten eines breiten Publikums entgegenkommen".
Das klappt zum Beispiel mit Reinhard Hauffs Drama "Messer im Kopf": ein Wissenschaftler gerät zufällig in eine Razzia, wird von der Polizei angeschossen und verliert sein Gedächtnis. Während er versucht, mit seinen Identitätsverlust zurecht zu kommen, stürzt sich die gespaltene Gesellschaft auf ihn: Polizei und Medien beschuldigen ihn, bevor er angeschossen wurde, einen Polizisten verletzt zu haben und Terrorist zu sein, die Linke macht ihm zum Märtyrer, zum Opfer von Staatswillkür. Bruno Ganz brilliert in der Hauptrolle und der Sound ist dieser Tage schicksalsschwanger. Die Musik kam von Irmin Schmidt, hier der Vorspann.
Hof ist etabliert: Mit "Nightmare on Elmstreet" von Wes Craven feiert ein amerikanischer Film seine Weltpremiere in Hof, Wim Wenders zu Beginn der 80er gleich mit zwei Filmen vertreten, das ursprüngliche Budget (von 1000 Mark) hat sich verhundertfacht (und ist immer noch ein außergewöhnlich geringes für ein Festival, das in der internationalen Filmwelt in aller Munde ist). Hof ist so etabliert, dass der Feuilleton und die Filmemachenden bereits Ende der 80er den Qualitätsverfall beklagen: Zu anbiedernd sagen die einen, unterhaltsam die anderen z.B. zu "Out of Rosenheim" von Pery Adlon. Der Titelsong "Calling you" von Bob Telson erhielt eine Oscarnomminierung und der Score wurde später sogar zu einem Musical.
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Out of Rosenheim (Bagdad Cafe)
Festivalvater Heinz Badewitz mit Dorris Dörrie 1986 | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Dass Niveau und Humor zusammenpassen bewies eine in den 80ern dennoch. Sie hatte 1975 als Regiestudentin in Hof als Gästerbetreuerin, Dolmetscherin und Ansagerin angeheuert. Zehn Jahre später begeistert sie in Hof - und nicht nur da - mit ihrer Starbesetzten Komödie "Männer". Heiner Lauterbach, faltenfrei, versucht Uwe Ochsenknecht mit Vokuhila, als Liebhaber seiner Frau zu vertreiben, in dem er ihn sich ähnlich macht. Die deutsche Beziehungskomödie ist geboren, Dorris Dörrie eine neuer Stern am Regiehimmel (und erhielt an gleicher Stelle 1986 den Filmpreis der Stadt Hof) und der Soundtrack ließ einen Song aus den 60ern wieder aufleben: "When I was young".
Bislang war Hof das Ende der Welt: zehn Kilometer zur Grenze der Tschechoslowakei, fünf Kilometer zur Mauer, die Deutschland teilte. Mit dem Mauerfall ist das vorbei - und mit dem Mauerfall findet Hof den unangenehmen, antiburgeoisen Ton der 60er Jahre wieder. Und der kommt ausgerechnet aus Oberhausen und zwar in Gestalt des 30jährigen Christoph Schlingensief. Er inszenierte den Mauerfall als "Deutsches Kettensägenmassaker" in dem eine westdeutsche Metzgerfamilie angereiste DDR-Bürger zu Genre-gerechten Sounds von Jacques Ar abschlachtet.
Während dieser Trash Zuspruch findet, klagt man in den 90ern über mangelnden Anspruch im deutschen Film. Doch Hoffnung naht: ein gewisser Detlev Buck, ein gewisser Sönke Wortmann und, ausgezeichnet mit dem Filmpreis der Stadt Hof, ein gewisser Tom Tykwer treten auf den Plan. Für den ersehnten Tiefgang steht eine Nachwuchsregisseurin namens Caroline Link. Ihr Drama "Jenseits der Stille" sorgt gleichermaßen für Gänsehaut und Anspruch (und eine Oscarnomminierung): In kaum einem Film kann der Soundtrack wichtiger sein, als in diesem: Lara, die Tochter gehörloser Eltern entdeckt ihre Liebe zur Musik und will Berufsmusikerin werden. Der Score zu dem großartigen Film kam von Links Haus- und Hofkomponist Nikki Reiser.
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Niki Reiser-Beyond Silence (Jenseits der Stille) (main theme)
Stetig hat das Festival weiter expandiert, sechs Tage und sechs Spielstätten umfasst es jetzt; im Jahr 2000 kommt die erste digitale "Filmkopie" zum Einsatz und nach der Osterweiterung 2004 ist Hof in der Mitte Europas. Passend zu diesem historischen Ereignis setzen die Filme sich unter anderem mit der deutschen Geschichte und der deutschen bzw. bairischen Identität auseinander. 2006 hieß der Eröffnungsfilm "Schwere Jungs" und kam von Marcus H. Rosenmüller. Der hatte wenige Monate davor mit der furiosen Komödie über Leben und Tod "Wer früher stirbt, ist länger tot" die bairische Identität neu definiert und setzte den von ihm begründeten Trend "Mundartkino" mit seiner Komödie über die gewichtige Olympia-Bobmannschaft von 1952 fort. Im Bereich der Geschichtsaufarbeiteung hatte zwei jahre zuvor Dennis Gansel "Napola - Elite für den Führer" inszeniert, die Geschichte einer Freundschaft in einem unmenschlichen nationalsozialisitischen Erziehungslager, und etabliert damit Tom Schilling als das deutsche Kinogesicht des neuen Jahrtausends. Die einfühlsame Musik schrieben Angelo Badalamenti und Normand Corbeil.
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Napola Extended Soundtrack
Hof kehrt zu seinen Wurzeln zurück: politische Statements, Filme, die mitunter weh tun. 2013 dokumentiert die Filmemacherin Anna Brass in "Leaving Greece" die Situation geflüchteter Menschen im finanziellen geschundenen Griechenland. 2014 lässt Burhan Qurbani in "Wir sind jung. Wir sind stark" die Brandanschläge auf die Asylbewerberunterkunft in Rostock von 1992 Revue passieren, Dauergast Rosa von Praunheim zeigt im selben Jahr seine Kurzdoku "Flüchtlinge, zuviel?!" und Dominik Graf bearbeitete 2011 mit "Das unsichtbare Mädchen" die Geschichte der verschwundenen Peggy aus Lichtenberg bei Hof. Großartig besetzt mit Elmar Wepper und Ulrich Noethen erzählt der Film viel über die Ungewissheit und Rätselhaftigkeit des Falls. Sven Rossenbach und Florian van Volxem erarbeiteten einen Score und ein Sounddesign, dass das Publikum in gebannte Spannung und Unruhe versetzte.
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Das unsichtbare Mädchen