Gabriel Prokofiev ist der Enkel von Sergei Prokofjew. Für das Theater Regensburg hat der englische Komponist nun seine erste Oper geschrieben. Und das Werk hat es in sich: Inspirieren ließ sich Prokofjew von der Geschichte um die historische Figur der Elisabeth Báthory. Um sich ihre Jugend zu bewahren, hat die "Blutgräfin" unzählige junge Frauen auf dem Gewissen. Dass Jugendwahn in Wahnsinn umschlagen kann, ist für Gabriel Prokofiev durchaus auch ein Phänomen unserer Zeit.
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BR–KLASSIK: "Elizabetta" ist Ihre erste Oper. Wieviel Klassisches oder Neoklassisches steckt darin?
Gabriel Prokofiev: Es ist definitiv eine klassische Oper. Ich würde sie nicht als neoklassisch bezeichnen, aber es fließen viele verschiedene Stilrichtungen mit ein. Das Werk orientiert sich stark an der Filmkunst und ist von einer Art überspitztem Realismus geprägt. Es gibt eine Menge unterschiedlicher Musikstile: An manchen Stellen kommt Musik aus Fernsehserien oder Techno-Klänge aus der Werbung. Außerdem gibt es einige afrikanische Elemente, da eine Figur aus dem Kongo stammt. Doch man findet sehr viel Klassik in dieser Oper, sowohl moderne Musik wie auch ältere Stile. Die Spannbreite ist also recht groß.
BR–KLASSIK: Das heißt, Sie konnten also alle musikalischen Erfahrungen, die Sie bislang gemacht haben, in diese Partitur einfließen lassen?
Gabriel Prokofiev: Genau diesen Prozess fand ich spannend. Ich konnte hier zu einer total packenden Geschichte Musik in verschiedenen Stilrichtungen komponieren, mit denen ich mich schon in der Vergangenheit beschäftigt habe. Alles fließt in dieses eine Projekt ein. Die Oper spricht trotzdem meine ganz eigene musikalische Sprache. Es ist keine Collage, denn alle Elemente stehen miteinander in Beziehung. Deshalb ist das Ganze insgesamt sehr homogen.
BR–KLASSIK: In London veranstalten Sie die Kammermusikreihe "Nonclassical Club". Da dauert kein Slot länger als 20 Minuten, so dass man sich während der Musik einen Drink holen kann. Das ist ja in der Oper ein bisschen anders. Hatte das einen Einfluss auf Ihr Komponieren?
Gabriel Prokofiev: Die Idee hinter "Nonclassical Club" ist, zeitgenössische klassische Musik in entspannter Clubatmosphäre zu präsentieren. In einem Club wollen sich die Leute unterhalten, etwas trinken und relaxen. Man kann einfach nicht erwarten, dass sie über lange Strecken zuhören. Vor allem wenn es um neue, schwierige Musik geht, reicht es, wenn man nur ein oder zwei Stücke hintereinander spielt. Dann macht man eine Pause – und die Leute können sich über das Gehörte unterhalten. So wird das Ganze irgendwie geselliger. Bei einer Oper hört man viel aufmerksamer zu, die Story hält ja einen bei der Stange. Da braucht man solche Pausen nicht. Es also insgesamt eine ganz andere Erfahrung.
BR–KLASSIK: Als DJ sind Sie mit Ihrem Laptop unterwegs. Haben Sie Ihre Oper mit dem Computer oder auf dem Papier komponiert?
Gabriel Prokofiev | Bildquelle: picture alliance/Russian Look Gabriel Prokofiev: Ich verwende alle technischen Möglichkeiten. Die Partitur und das Orchestermaterial werden mit einer Software erstellt. Die einzelnen Stimmen werden ganz schnell von der Masterpartitur aus gefertigt. Wenn man das alles auf normalem Papier niederschreibt, bedeutet das einfach so viel mehr Aufwand. Mit der Software kann ich kompositorisch vieles ganz schnell umsetzen: Transpositionen zum Beispiel oder Umkehrungen. Oder ich transferiere einzelne Passagen in andere Stimmen. Mit dem Computer arbeitet man einfach effizienter. Außerdem verwende ich Elektronik in einigen Szenen dieser Oper. Schon dafür musste ich mit dem Computer arbeiten. Ich spiele auf alten Synthesizern und lade diese Sequenzen in den Computer ein. Dann kann ich sie auch arrangieren. Solche Arbeit macht auf dem Papier keinen Sinn. Für Komponisten der älteren Generationen ist das natürlich anders. Man muss immer sehen, was am besten funktioniert.
Als ich die Legende der Gräfin Elizabeth Báthory entdeckte, dachte ich mir sofort, dass aus dieser Story eine Oper werden muss.
BR–KLASSIK: Sie sprechen zwar kein russisch, fühlen sich der russischen Musiktradition jedoch sehr verbunden. Die Story von "Elizabetta" ist ziemlich blutrünstig. Um die ewige Jugend zu erhalten, muss die schöne Schauspielerin Elizabetta im Blut eines Mädchens baden. Das erinnert ein bisschen an Mussorgsky, oder an "Iwan der Schreckliche" …
Gabriel Prokofiev: Als ich die Legende der Gräfin Elizabeth Báthory entdeckte, dachte ich mir sofort, dass aus dieser Story eine Oper werden muss. Ich habe ein bisschen recherchiert und herausgefunden, dass bisher noch keiner eine Oper über sie geschrieben hat. In der gesamten Operngeschichte tauchen immer wieder historische Figuren auf, die ziemlich schrecklich sind – wie Iwan der Schreckliche oder Lady Macbeth. Ich stehe sicherlich auch ein wenig in dieser Tradition. Meine Oper spielt allerdings eher in der heutigen Zeit. Die Legende der Báthory war zwar unser Ausgangspunkt, aber wir behandeln auch viele aktuelle Themen wie den Schönheits– oder den Gesundheitswahn oder den Unterschied zwischen Superreichen und Armen.
BR–KLASSIK: Ist das eigentlich ein reines Frauenthema: dass man sich Sorgen macht, älter und hässlicher zu werden, oder gibt es das bei Männern auch?
Gabriel Prokofiev am Laptop | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gabriel Prokofiev: Ich wollte mit dieser Geschichte untersuchen, welcher Druck auf Frauen lastet – vor allem in Bereich der darstellenden Künste. Elisabetta ist ein Filmstar, deren Karriere mit Anfang 40 langsam zu Ende geht. In dieser Branche sind Frauen regelrecht gezwungen, auf ihr Aussehen zu achten. Ich finde das schrecklich – wir sollten doch ganz natürlich älter werden können. In der Zwischenzeit achten auch Männer viel mehr auf ihr Äußeres und auf ihre Gesundheit. Seitdem ich 40 geworden bin, schaue ich auch mehr darauf. Ich fühle mich noch recht jung, und ich möchte, dass man das auch merkt. Ich treibe Sport und esse möglichst gesund. Dieser Trend beeinflusst uns ja alle. Aber es muss trotzdem fair ablaufen. Es darf nicht nur den Vermögenden vorbehalten bleiben. Manchmal bekommt man nämlich das Gefühl, als hätten nur die Superreichen Zugang zu all diesen Möglichkeiten und den Wunderdrogen. Man kann aber auch mit wenig Geld gesund leben. Es muss eine Balance herrschen. Solche Manien können auch ganz schön gefährlich werden.
BR–KLASSIK: Wenn die Oper bei den Proben anfängt zu "klingen" – ist das dann so, wie Sie sich das auch vorgestellt haben?
Gabriel Prokofiev: Ja. Es ist sogar besser, denn es spielen richtige Musiker, und es singen richtige Sänger. Es ist wirklich toll. Bisher hatten wir allerdings erst eine Bühnenorchesterprobe, und ich freue mich schon sehr auf die nächste. Das Orchester und die Sänger hier in Regensburg sind sehr gut. Als ich sie zum ersten Mal gehört habe, war das wirklich ein ganz magischer Moment für mich. Es war wirklich mehr, als ich erhofft habe.
Es ist ein so kluges und spannendes Werk – überhaupt kein bisschen schulmeisterlich.
BR–KLASSIK: Eine einzige Frage zu Ihrem Großvater Sergej. Sie haben selbst drei Kinder. Und es gibt wohl nur wenige Kinder auf der Welt, die "Peter und der Wolf" nicht kennen. Wie finden Ihre Kinder dieses Stück?
Gabriel Prokofiev: Auch meine Kinder mögen "Peter und der Wolf". Es ist ein so kluges und spannendes Werk – überhaupt kein bisschen schulmeisterlich. Ich habe das Stück bei einer Benefizveranstaltung vorgelesen. Damals haben sie es zuletzt gehört. Ich denke, dieses Stück wird noch viele Generationen von Kindern unterhalten.
"Elizabetta"
Oper von Gabriel Prokofiev
Libretto von David Pountney nach einer Idee von Gabriel Prokofiev
Auftragswerk für das Theater Regensburg
Premiere: 26. Januar 2019
Philharmonisches Orchester Regensburg
Leitung: Chin-Chao Lin
Inszenierung und Bühne: Marcus Lobbes
Infos zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Theaters.
Sendung: Leporello am 22. Januar 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK