Am Sonntag und Montag dirigiert Reinhard Goebel im Münchner Prinzregententheater ein Konzert mit den Münchner Symphonikern. Im Interview verrät er, warum es sich lohnt, auch einmal Musik von Eberl und Clement zu hören statt immer nur Bach und Beethoven.
Bildquelle: Christina Bleier
BR-KLASSIK: Reinhard Goebel, Sie haben in den 80er Jahren die Zeitgenossen von Bach und Bach selbst in den Focus genommen. Später dann Mozart und dessen Zeitgenossen. Jetzt machen Sie ein Konzert mit dem Titel "Beethovens Welt". Und da liest man Namen wie Eybler, Clement und Beethoven. Den letzteren Namen kennen wir gut, die anderen eher nicht. Geht es darum, herauszufinden, dass der einsam geniale Schöpfer Beethoven vielleicht gar nicht so einsam war?
Reinhard Goebel: Genau. Darum dreht es sich: Dinge, die übrig geblieben sind aus den vergangenen Jahrhunderten, in ihren Kontext zu stellen und zu kommentieren, so dass der erfahrene Hörer aus dem Konzert gehen und hinterher sagen kann: Merkwürdig, gar nicht so schlecht, die Musik! Warum haben wir das noch nie gehört?! Also, ich bin grundsätzlich gegen Vergötterung in jeder Hinsicht. Und bei Beethoven hängt das damit zusammen, dass deutsche Komponisten auch aus Nationalitätsgründen nach vorne geschoben worden sind.
BR-KLASSIK: Nach dem Motto: "unser Mann"!
Reinhard Goebel: Ganz genau! Die Engländer haben Händel gefeiert, also mussten wir irgendwas für Bach tun. Da fielen dann alle die anderen hinten 'runter. Die waren aber in ihrer Zeit genauso bedeutend, wie Beethoven oder Bach. Und dann kann man jetzt fragen: Komisch, warum haben sie dann nicht so geschrieben?! Man hat sich also sozusagen diese "Leuchttürme" herausgefischt, und die anderen dafür klein gemacht.
BR-KLASSIK: OK, damit der eine strahlen kann, müssen die anderen in den Hintergrund geschoben werden.
Reinhard Goebel: Genau, und daher kümmert man sich dann gar nicht um diese Komponisten.
BR-KLASSIK: Aber Sie, Herr Goebel, machen das durchaus …
Reinhard Goebel: Ja, mich hat das immer interessiert, das habe ich sozusagen mit der Muttermilch eingesogen. In meiner Schulklasse gab es beispielsweise sechs oder acht Leute, die Geige spielten. Die spielten dann halt die Brahms-Sonaten. Mich aber hat dann eher die Sonate von Richard Strauss interessiert, oder die von Felix Mendelssohn Bartholdy. Ich habe immer großen Wert auf Eigenständigkeit und eigenes Profil gelegt. Manchmal sage ich ironisch: Wissen Sie, ich spiele ja diese bekannten Stücke nicht, weil Sie dann doch merken, wie schlecht ich eigentlich bin.
BR-KLASSIK: Aha, Sie fürchten also die Konkurrenz?
Reinhard Goebel dirigiert | Bildquelle: Molina Visuals Reinhard Goebel: Ganz genau, so könnte man das sagen. (lacht) Nein, eigentlich ist es so, dass ich das Neue brauche, um mich herausgefordert zu sehen. Ich möchte nicht irgendetwas nachspielen, weil das bei mir immer in die Hose geht und die Leute dann sagen: "Ach, das haben wir schon mal anders in Leipzig oder sonst irgendwo gehört!" Und dann mache ich es eben so, dass ich etwas spiele, was man noch nicht kennt. Das ist natürlich mit ein bisschen Aufwand verbunden, aber es ist letztlich auch befriedigender. Ich habe immer wieder festgestellt, dass die Musiker nach dem Konzert kommen und sagen: "Toll! Wieder was ganz Neues kennengelernt!" Und bei dem Beethoven-Programm wird das wieder so sein: Im Laufe einer solchen Probenwoche kommen die Orchestergeiger und sagen: "Ich hätte da mal eine Frage: Dürfte ich von Ihnen die Solostimme des Clement-Konzerts bekommen?" Es interessiert nämlich dann plötzlich alle, ein unbekanntes Violinkonzert aus der Klassik kennenzulernen - so ein wunderbares Stück.
BR-KLASSIK: Ja, und das ist ja immerhin von Franz Clement - dem Geiger, der das Beethoven-Violinkonzert uraufgeführt hat und dem es gewidmet war. Ganz interessant, wie der komponiert hat.
Reinhard Goebel: Ja, und dann werden wir nämlich feststellen dass wir Beethovens Wurzeln eigentlich gar nicht ganz genau kennen. Also das Zerbrochene, oder das Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand, das Biestige und Böse - das hatten andere Komponisten auch schon.
BR-KLASSIK: Jetzt spielen Sie aber auch Beethovens Erste. Und merkt man da nicht doch, dass es eine Sonderklasse ist?
Reinhard Goebel: Wir kennen die anderen Stücke zu wenig. Ich meine, sind Symphonien von Eberl etwa geläufig?!
BR-KLASSIK: Eberl ist schon ein toller Komponist! Aber Beethoven finde ich besser.
Reinhard Goebel: Was das symphonische Repertoire angeht, ist Beethoven sicherlich die Sonderklasse! Das ist schon klar! Aber es dreht sich ja um die zeitgenössische Rezeption. Eberls Symphonie Es-Dur und Beethovens "Eroica" etwa wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts gleichzeitig in einem Konzert gespielt. Und da hieß es dann in der Wiener Presse: Die Symphonie von Eberl fand weitaus mehr Gefallen und Applaus. Dann kann man hinterher immer sagen: Die Leute wussten eben nicht, was wirklich gut ist; das haben erst wir erkannt. Aber bei aller Qualität, die der Beethoven hat, müssen wir auch diese anderen Sachen hören.
Die Fragen stellte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Sonntag, 27. November 2016, 15.30 Uhr
Montag, 28. November 2016, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
"Beethovens Welt"
Joseph von Eybler:
"La Follia di Spagna mit allen Instrumenten"
Franz Joseph Clement:
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur
Georg Joseph Vogler:
Schauspielmusik zu "Hamlet"
Ludwig van Beethoven:
Symphonie Nr. 1 C-Dur op. 21
Mirijam Contzen (Violine)
Leitung: Reinhard Goebel