Johann Sebastian Bach war 32 Jahre alt und anno 1717 endlich angekommen in einer Lebensstellung: Königlicher Kapellmeister am Hof eines musisch interessierten Fürsten. Leopold von Sachsen-Anhalt war Herrscher eines kleinen Fürstentums – dünn besiedelt, bitterarm. Doch jener Fürst Leopold hatte ganz Europa bereist und überall Musik gehört und sich eine Sammlung von Noten zusammengekauft. Da kam Johann Sebastian Bach gerade recht. BR-KLASSIK hat mit dem Dirigenten Reinhard Goebel über das erste der Brandenburgischen Konzerte gesprochen, das in dieser Zeit entstanden ist.
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Zwei Hörner zum Auftakt. Klingendes Symbol für eine aristokratische Lieblingsbeschäftigung. Aus Frankreich war die Parforce-Jagd in die deutschen Königtümer, Grafschaften und Zwergstaaten importiert worden. Eine Vertonung fürstlicher Herrschertugenden aus der Feder eines Johann Sebastian Bach? Doch keine Parforce-Jagd in der fürstlichen Kammer sollte da erklingen, sondern eine feierliche Repräsentationsmusik in dem Brandenburgischen Konzert mit der Nummer eins. "Die beiden Hörner sind da hineingeraten und zwar aufgrund der angenommenen Verwendung dieses Stückes und zwar als italienische Kantatensinfonie für die Kantate: 'Was mir beharrt, ist nur die muntre Jagd'." So erklärt Reinhard Goebel die Anwesenheit der Hörner in der Partitur.
Concertare. Musikalischer Wettstreit von zwei Hörnern, drei Oboen und einer Violine piccolo. Eine Musik, die wurde vermutlich uraufgeführt am Hofe Leopolds von Anhalt-Köthen, als zwei namenlose Hornisten Station machten auf der Durchreise im Jahr 1721. Vermutlich waren es berühmte Musiker, die ihren eindrucksvoll verschnörkelten Instrumenten nicht nur Naturtöne zu entlocken wussten. "Les Cors du chasse", wie der Adel auf Französisch zu sagen pflegte. Und auch ein Kapellmeister war ein Statussymbol – nebst untertänig untergebenen Musikern: "Dass fast ein jeder Grand-Seigneur en diminuitif, und jeder Dorf-Herrscher gleich ein Paar Violons, Hautbois, Corps du Chasse & c. zur Aufwartung um sich haben will, doch so dass sie zugleich eine voll-jährige Liverey tragen, Schuhputzen, Perücken pudern, hinter der Kutsche stehen, und Lakaien Besoldung so wohl, als Bewirtung genießen." So seufzte einmal der gelehrte Kapellmeister Johann Mattheson. Selbst ein Johann Sebastian Bach war höchstens ein untertänigster Diener. Nicht mehr und nicht weniger. Er stellte anno 1721 eine Sammlung zusammen, die er vermutlich schon früher, vor seiner Zeit am Hof in Köthen, komponiert hatte: "Concerts avec plusieurs Instruments". Der Titel – fast schon eine Untertreibung: "Sechs Konzerte mit mehreren Solo-Instrumenten. Seiner Königlichen Hoheit Herrn Christian Ludwig Markgraf von Brandenburg etc. etc. etc. gewidmet von Seinem untertänigsten und gehorsamsten Diener Johann Sebastian Bach, Kapellmeister Seiner Durchlauchtigsten Hoheit, des Fürsten von Anhalt-Köthen."
Ich halte die Brandenburgischen Konzerte für sehr starke Stücke – aber manche von Ihnen sind eigentlich zu stark.
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Reinhard Goebel | Bildquelle: Christina Bleier Unerhört! Eine Sammlung von sechs Konzerten! Eine Musik, gewidmet einem anderen. Nicht dem eigenem Herrn, dem Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen. Waren die Brandenburgischen Konzerte etwa ein Verstoß gegen das Protokoll? Nie wäre es einem Johann Sebastian Bach in den Sinn gekommen, diesen Titel zu wählen. Den erfand die Nachwelt. Denn die sechs Konzerte hatte Bach ja dem Markgrafen von Brandenburg gewidmet im Jahr 1721. Auch wenn dieser nicht einmal über eine Kapelle verfügte. Seine sechs Kammermusiker hätten diese Lehrstücke, was sich Bach unter dem Konzertieren mehrerer Solo-Instrumente vorstellte, ja gar nicht aufführen können. Vielleicht brauchte der königliche Kapellmeister mit Namen Bach ja musikalische Visitenkarten, um sich in Erinnerung zu bringen bei einem Anderen. "Les Concerts avec plusieurs Instruments". Diese holte Bach vermutlich aus der Schublade – so auch das mit der Nummer eins. Zukunftsmusik? "Ich halte die Brandenburgischen Konzerte für sehr starke Stücke – aber manche von Ihnen sind eigentlich zu stark", sagt Reinhard Goebel über diese Werke. "Und das ist nach meinem Dafürhalten ein Zeichen für relativ frühen Johann Sebastian Bach. Er hat sich etwas vorgenommen, was vielleicht nicht ganz hundertprozentig gemeistert wurde. Beim ersten Brandenburgischen Konzert ist es eigentlich so, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Es ist hyper! Es ist überfüllt. Und dann hat man in diesem Stück auch noch ganz groß und ganz klitzeklein miteinander kombiniert Denn die Piccolo-Geige, dieses Quietscheding, dieses Kinderinstrument, macht natürlich einen sehr merkwürdigen Eindruck gegenüber den schmetternden Hörner – man fragt sich dann immer: Was soll das eigentlich?"
Violine Piccolo. Eine Taschengeige, begleitet von Oboe, Geige und Horn im langsamen Satz. Schneidende Dissonanzen – ein ausdrucksvoller Klagegesang. Vielleicht sollte da ja mit leisen Tönen vorsichtig Kritik geübt werden. Hatte Bach etwa die Leiden des bei der Jagd erlegten Wildes vertonen wollen? Die Konzerte sollten ja vielleicht mehr die Kunstwelt beeindrucken als die Fürsten. Auch wenn der königliche Kapellmeister diese Stücke dem Markgrafen Christian von Brandenburg gewidmet hatte. Dieser lebte auf einem Gut in Malchow und zeitweise im Stadtschloss in Berlin, wo er immerhin noch sechs Kammermusiker beschäftigte. Im Übrigen hatte jener Markgraf politisch nicht viel zu sagen. Denn in Preußen herrschte der Soldatenkönig, der mit seinem Amtsantritt die königliche Kapelle in Berlin abgeschafft hatte. Diese arbeitslosen Musiker waren schließlich nach Köthen gezogen. Eine hintersinnige Anspielung? Markgraf Christian von Brandenburg überhörte vornehm diese Zwischentöne. Wie er auf die Widmung reagierte? Unbekannt. Die einstmals preußischen Musiker ließen unterdessen virtuose Töne vernehmen am Hof in Köthen – so auch im "Concert avec plusieurs instruments" Nummer eins.
Johann Sebastian Bach: Brandenburgisches Konzert Nr. 1 BWV 1046
Musica Antiqua Köln
Leitung: Reinhard Goebel
Archiv-Produktion
Sendung: "Das starke Stück" am 4. Mai 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK