Joachim Kaiser, der große alte Mann des deutschen Feuilletons ging am 11. Mai 2017 in München mit 88 Jahren in die ewigen Jagdgründe ein. "Ich bin der letzte Mohikaner", nannte er das einige Jahre zuvor mit seiner Tochter entstandene Interviewbuch. Einen Titanen der Kulturkritik wie ihn, so meinte er einmal, kann es nicht mehr geben, "weil die jungen Menschen keinen Mut zum Pathos haben". Und Pathos bedeutete ihm wirkliche Leidenschaft.
Bildquelle: Jürgen Bauer/Süddeutsche Zeitung Photo
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1928 in der ostpreußischen Provinzstadt Tilsit in einem wohlhabenden, literatur- und musikbegeisterten Arzthaushalt geboren, wurde Joachim Kaiser in der Nazizeit groß. Seine Kindheit war dennoch behütet, das Glück auf seiner Seite. Bei den Kammermusikabenden seines Vaters lernte er so auch die Pianisten Wilhelm Kempff und Edwin Fischer in privater Atmosphäre kennen. Doch letztlich dominierte der sprachliche Ausdrucksdrang den musikalischen. Kaisers Besprechung von Adornos "Philosophie der neuen Musik" machte ihn mit nur 23 Jahren zum Wunderkind des deutschen Kulturlebens. Adorno förderte ihn, und er wurde Mitglied der Gruppe 47. Danach avancierte Kaiser zum lebensnahen, pointierten, humorvollen Musik-, Literatur- und Theaterkritiker, Professor, Vortragsreisenden, Universalgelehrten, immer mit dem unverkennbaren ostpreußischen "R" auf der Zunge.
"Es gibt sicherlich große Werke des 20. Jahrhunderts, aber ich bin tatsächlich im Hinblick auf Literatur ausgesprochen interessiert an Neuem. Dagegen können Sie mich bei der Musik gern Traditionalist nennen, denn den Werken von Chopin, den Beethoven-Sonaten oder den großen Werken von Bach ist meiner Ansicht nach im 20. und 21. Jahrhundert nichts Gleichwertiges nachgekommen."
Joachim Kaiser (2008) | Bildquelle: Stephan Rumpf/Süddeutsche Zeitung Photo Ab 1959 schrieb der Genussmensch Joachim Kaiser für die Süddeutsche Zeitung, wurde Feuilleton-Chef und leitender Redakteur. In München sah man ihn oft auf dem Fahrrad, kräftig in die Pedale tretend auf dem Weg zu seinen Terminen, die Schweißperlen auf der Stirn und auf dem Gepäckträger in gefährlicher Schräglage die halboffene Aktentasche voll mit Manuskripten, Partituren und CDs. Er war als der wohl einflussreichste deutsche Musikkritiker präsent im Hörfunk, mit Sendungen wie "Kaisers Corner" auf BR-KLASSIK. Er favorisierte Mozart, Beethoven, Schubert sowie Wagner - und im Theater Shakespeare und Beckett. Nur wenige Journalisten haben es geschafft, die Kulturwelt eines Landes so zu prägen wie Joachim Kaiser.
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