Das Internet als Bühne - so scheint ein Trend in der Klassikszene momentan zu lauten. Der projekterfahrene Daniel Barenboim hat erst vor wenigen Tagen einen eigenen YouTube-Kanal eröffnet. Genau so wie viele andere Musikgrößen, Orchester und Ensembles vor ihm. Manchmal wird YouTube sogar zum Karrieresprungbrett. So geschehen bei der Ukrainerin Valentina Lisitsa und ihren über 250.000 Followern. Wir zeigen Ihnen, wie und wo die Klassik neue Wege geht und klären gleich noch die Frage: Was passiert, wenn ein Geiger zu spät zur Probe mit Lang Lang kommt?
Bildquelle: imago/CTK und Orchester Chris Wahlberg und Montage BR
Klassik-Channels auf YouTube
Intimes aus dem Musikerleben auf Knopfdruck
Kreativ und humorvoll zeigt sich das Sydney Symphony Orchestra auf seinem YouTube-Kanal. In einigen Videos sehen wir das Orchester hinter der Bühne: Hier wird die Fliege noch zurecht gerückt, da das Oboenrohr aufgesteckt, wir gehen gemeinsam mit den Musikern die Treppe hinauf zum Podium. Ein Blick hinter die Kulissen ist einer der Trends auf den YouTube-Kanälen der großen Orchester. Beim Sydney Symphony Orchestra werden in einer Rubrik Mitglieder des Orchesters zu Hause besucht. Es sind interessante und fast private Einblicke, die das Orchester auf seinem YouTube-Kanal gewährt und auch kleine Dramen, etwa wenn ein Musiker zu spät zur Probe mit Lang Lang kommt.
Auch auf dem YouTube-Kanal der britischen allegrofilms gibt es seltene Momente mitzuerleben. Dort findet man Musik-Dokumentarfilme von Christopher Nupen - unter anderem Londoner Aufnahmen von 1969. Ein Ausschnitt zeigt damals noch relativ unbekannte Musiker 15 Minuten vor einem Konzert hinter der Bühne. Sie spielen das Mendelssohn-Violinkonzert - in einer ungewöhnlichen Besetzung: Itzhak Perlman nur mit der linken Hand auf dem Griffbrett seiner Violine, Zubin Mehta nimmt Perlmans Bogen und streicht für ihn und Daniel Barenboim wechselt vom Klavier zum Kontrabass. Das sieht dann so aus:
"Höre mit deinen Augen", das steht oben im Kanalbanner des YouTube-Channels von EuroArts. Neben Konzertmitschnitten gibt es auch hier Dokumentationen in Originallänge. "Die Stille hören" zeichnet beispielsweise ein Porträt von Claudio Abbado. Dort erzählt der Geiger Kolja Blacher, der jahrelang unter Abbado im Orchester gespielt hat: "Er lässt von vielen eigentlich am allerleisesten spielen. Der Moment von der Stille bis zum Klang, da ist bei ihm noch ein Raum, wo es bei vielen es einfach schon losgeht."
Künstlerpersönlichkeiten, die Musik erklären: Auch das gibt es neben Dokumentarfilmen und dem Blick hinter die Kulissen auf YouTube. Seit Neuestem mit von der Partie ist Daniel Barenboim. Und er befindet sich damit in einem elitären Kreis: Antonio Pappano macht es auf dem Kanal des Royal Opera House, Riccardo Muti auf dem des Chicago Symphony Orchestra oder Gustavo Dudamel auf dem der Los Angeles Philharmonics. Sie alle möchten Werke nicht nur aufführen, sondern auch durch Erläuterungen dem Publikum nahe bringen. In einem der Videos von Daniel Barenboim sitzt er im oberen Foyer des Berliner Schillertheaters an einem Flügel. Er möchte uns in rund fünf Minuten Brahms Klavierkonzert Nr. 1 erklären.
Wie bei YouTubern üblich ist Barenboim direkt, unaufgeregt, ohne musikalisches Fachvokabular, für jeden verständlich. Bahnbrechend Neues erfährt man nicht, aber darum geht es ja auch gar nicht. Und wie wir es von Barenboim kennen, geht er über die Grenzen der Musik hinaus und widmet sich politischen, kulturellen und sozialen Ereignissen. Ansätze gibt es genug, auf YouTube über Musik zu sprechen. Letztlich ist es nicht mehr als ein Versuch - weiß auch Daniel Barenboim.
In Zukunft soll es auf dem Kanal von Daniel Barenboim auch noch eine Gesprächsreihe geben, in der er auf Persönlichkeiten aus Politik, Kunst, Sport und Architektur trifft. Und während man versucht, sich einen Weg durch die Musikgeschichte auf dem Portal zu bahnen, merkt man schnell: Schubladen gibt es nicht, denn zwischen Ernst und Unterhaltung befindet sich meist nicht mehr als ein Klick.