Das Besondere am neuen Konzertsaal sind die wechselnden Klang- und Sichterlebnisse, die der Raum Stararchitekt Frank Gehry und dem japanischen Akustiker Yasuhisa Toyota zu verdanken hat. Am Samstag wurde der Pierre Boulez-Saal von Hausherr Daniel Barenboim eröffnet. BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff war dabei.
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Er hat tanzende Häuser entworfen. Büros mit zerknautschten Fassaden, Museen wie gigantische Trümmer-Collagen und Konzerthäuser, spektakulär geformt wie Hefeteig auf dem Backbrett. Doch hier, wo Berlin am preußischsten ist, zwischen Lindenoper und Gendarmenmarkt, bleibt der amerikanische Stararchitekt Frank Gehry überraschend zurückhaltend.
Blick auf den Andrang im Foyer | Bildquelle: picture-alliance/dpa Hinter der nüchternen historischen Fassade mit den hohen Fenstern, die viel Tageslicht einlassen, verbirgt sich eine der ungewöhnlichsten Musik-Institutionen der Welt. Früher wurden hier die Kulissen der Lindenoper gelagert. Im einladenden Foyer, das den Blick zwischen Treppen und Emporen steil in die Höhe zieht, sieht man noch Reste des alten Theatermagazins.
Nun residiert hier ein jüdisch-arabisch-europäisches Jugendorchester, Daniel Barenboims West Eastern Divan Orchestra. Angeschlossen daran ist musische Ausbildung vom Kindergarten bis zur Spitzenförderung für junge Solisten. Ein Ort, wo man lernen und diskutieren wird, spielen, lesen und essen. Sein Herz ist ein außergewöhnlicher Kammermusiksaal, in den man sich spontan verlieben kann.
Die Grundidee ist ebenso einfach wie überzeugend: Das Runde muss ins Eckige. Nobel verkleidet in helles, fein gemasertes Holz schmiegt sich ein Oval in den hohen, kastenförmigen Raum. Alles ist flexibel und kann, den Bedürfnissen der Werke folgend, umgebaut werden. Die wild in Blau und Rot gemusterten Sitzreihen steigen rund um die Bühne an - ein Amphitheater im Kleinformat, intim und doch großzügig. Da die Musiker in der Mitte sitzen, hat man auch auf den hinteren Plätzen ein Gefühl unmittelbarer Nähe.
Darüber schwebt ein elegant geschwungener Rang. Hier oben gibt es keine gerade Linie, die beiden Sitzreihen gehen sanft bergauf und bergab wie die Krinoline auf dem Oktoberfest. Den Musikern schaut man auf Köpfe, und wenn der Flügel offen ist, sieht man die Hämmerchen tanzen. Da die Blickachse ziemlich steil nach unten geht, muss man gelegentlich den Kopf verrenken, um zwischen den Geländer-Stäben die Künstler im Blick zu behalten. Trotzdem: Hier oben zu sitzen, luftig und nah dran, macht Spaß. Architektonisch ist diese Quadratur des Ovals im doppelten Sinn rundum gelungen.
Zur Eröffnung kamen Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Bundespräsident Joachim Gauck. | Bildquelle: Peter Adamik Allerdings dauert es ganz schön lang, bis endlich alle sitzen. Nicht mal die Platzanweiser können einem schlüssig erklären, wie man über Treppe römisch X zu Block D, Reihe 1 findet. Viel Prominenz schiebt sich durch die engen Reihen, von Joschka Fischer über Gregor Gysi bis zu Simon Rattle. Dann rollt Finanzminister Schäuble quer durchs Rund. Als letzter kommt, alle erheben sich, Bundespräsident Gauck mit Gattin.
Nun tritt, sehr aufrecht, der Hausherr auf - und gibt den Einsatz zu einem dreistündigen Konzert ohne Reden, dafür mit zwei Pausen, eingerahmt von Werken des Namensgebers, Barenboims Freund und Mentor Pierre Boulez. Außerdem gibt es Mozart, Berg und Widmann, der auch Klarinette spielt und bejubelt wird. Die wunderbare Anna Prohaska singt Schubert. Barenboims Sohn Michael spielt Geige, bei Berg imponierend, bei Mozart enttäuschend.
Wenn Vater Barenboim dirigiert, sitzt am Flügel Karim Said, ein entfernter Verwandter seines ehemaligen Mitstreiters Edward Said. Barenboim, der Familienmensch, ist immer im Zentrum: Er dirigiert, sitzt am Flügel, choreographiert die Verbeugungen in allen vier Himmelsrichtungen: ein kleiner Reigen, damit alle wenigstens einmal den Künstlern ins Gesicht sehen können. Und am Schluss verteilt er persönlich die Blumen - auch an Architekt Frank Gehry und den Akustiker Yasuhisa Toyota, der ja kürzlich erst bei der Elbphilharmonie im Rampenlicht stand.
Im Boulez-Saal ist Toyota eine gute, wenn auch keine überragende Akustik gelungen. Der Klang ist ausgewogen und frei von störenden Echos. Aber wenig körperhaft - akustisch fühlt man sich viel weiter weg als räumlich, jedenfalls auf dem Rang. Mag sein, dass dieser ganz leicht diffuse Klangeindruck der sehr hohen Decke geschuldet ist. Aber das sind kleine Einwände auf höchstem Niveau. Dieser Saal und das Leben, das sich jetzt darin entfalten kann, sind ein Geschenk mit enormem Potential. Hier verbinden sich inspirierte Architektur, musikalische Leuchtkraft und politische Symbolik. Dass es ihn gibt, macht erstmal einfach glücklich – und auch ein wenig stolz auf ein demokratisches Gemeinwesen, das Musik als echtes Lebensbedürfnis begreift. Schaut auf diese Stadt!