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Zu Gustav Mahlers Fünfter Symphonie Musikalisches Welttheater

"Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie!" Dies notierte Mahler 1905 nach einer von ihm geleiteten Aufführung der Symphonie in Hamburg. Die Uraufführung in Köln am 18. Oktober 1904 lag gerade ein halbes Jahr zurück, und wir wissen nicht, warum Mahler glaubte, dass sein Werk so wenig verstanden werden würde.

Wir wissen noch nicht einmal, ob er dies bedauerte oder ob er nicht absichtlich mit verschleierten musikalischen Spuren und "raffinierten Codierungen" spielte, wie der Kontrabassist Frank Reinecke im Programmheft zu den Aufführungen dieser Woche vermutet und Möglichkeiten einer Entschlüsselung aufzeigt. "Verflucht" war die Symphonie jedenfalls nicht nur für Mahlers Zeitgenossen, sondern auch für ihn selbst. Bei keiner anderen seiner Symphonien hat er so um die endgültige Gestalt gerungen wie bei der Fünften. Drei Druckfassungen liegen vor, und für nahezu jede Aufführung instrumentierte Mahler sie neu. Noch im Winter 1910/1911, knapp ein Jahrzehnt nach der Entstehung, unterzog er die Partitur einer letzten Revision und resümierte anschließend: "Die 5. habe ich fertig – sie mußte faktisch völlig um-instrumentiert werden. Es ist unfaßbar, wie ich damals wieder so völlig anfängerhaft irren konnte. (Offenbar hatte mich die in den ersten 4 Symphonien erworbene Routine hier völlig im Stich gelassen – da ein ganz neuer Stil eine neue Technik verlangte.)" Dass Mahler mit seiner Fünften einen neuen Weg beschritt, darüber herrschte früh Einigkeit. Schon für Zeitzeugen wie den Dirigenten Bruno Walter oder den Musikkritiker Paul Bekker, Verfasser der ersten großen Mahler-Monographie, markierte die Symphonie eine Wende.

Leitstern Bach

Komponist Gustav Mahler mit seiner Frau Alma Mahler | Bildquelle: IMAGNO/Österr. Theatermuseum/Süddeutsche Zeitung Photo Alma und Gustav Mahler beim Spaziergang in den Bergen | Bildquelle: IMAGNO/Österr. Theatermuseum/Süddeutsche Zeitung Photo Im Frühjahr und Sommer 1901, kurz vor und während der ersten Arbeiten zur Fünften, beschäftigte sich Mahler intensiv mit der Musik Bachs. "Eine größere Polyphonie war nie da! Unsagbar ist, was ich von Bach immer mehr und mehr lerne", äußerte er gegenüber seiner Vertrauten Natalie Bauer-Lechner, und auch im Sommer des folgenden Jahres – in der Zwischenzeit war die blutjunge Alma Schindler stürmisch in sein Leben getreten – beobachtete die frisch gebackene Gemahlin, dass in Mahlers Komponierhäuschen im Feriendomizil in Maiernigg am Wörthersee "an Noten nur Bach" vorzufinden waren. Vielleicht war es jene Auseinandersetzung mit Bach, die den tiefgreifenden Stilwandel zwischen der Vierten und Fünften Symphonie auslöste, und weniger – wie Paul Bekker annahm – eine "von Grund auf erschütternde Krisis". Fest steht, dass in Mahlers Fünfter in einem bei ihm bis dahin nicht gekannten Maß polyphone Satztechniken zur Verwendung kommen, die zu einer deutlich komplexeren Textur, zu einer "Vorliebe für Klanghärten und lineare Reibungen" (Constantin Floros) führen. Diese neue Schreibweise lässt sich nicht nur an den ausgedehnten fugierten Abschnitten im Schlusssatz beobachten, sondern zieht sich – bis auf das traumverlorene Adagietto, das in jeder Hinsicht ein Ausnahmestück ist – durch die ganze Symphonie. Mahler selbst sprach von einer "Durchknetung" der Stimmen. Diese neue kontrapunktische Faktur, die Gleichzeitigkeit höchst unterschiedlicher motivischer Prozesse, war auch einer der Gründe, warum Mahler bei seiner Fünften so unerbittlich um die optimale Instrumentation rang. "Niemals verführt von seiner großartigen Klangphantasie, der Farbe wesentliche Bedeutung zu geben, benützte er seine Spezialbegabung für orchestrale Klangwirkungen vor allem in Dienste der Deutlichkeit." (Bruno Walter)

Metallharte Klänge

Ein weiteres Novum der Fünften ist, dass Mahler auf die Verarbeitung bereits bestehender Liedvorlagen verzichtet, auf den Bezug zu den Wunderhornliedern(Zweite, Dritte und Vierte Symphonie) bzw. den Liedern eines fahrenden Gesellen (Erste) ebenso wie auf die menschliche Stimme, die in der Zweiten bis Vierten Symphonie eine wichtige Rolle spielt. Stattdessen "tritt der Instrumentalcharakter der Sinfonie als Orchesterform schärfer hervor" (Bekker), wobei vor allem die Blechbläser eine neue Bedeutung erhalten. Mit deren "schweren, glänzenden, metallharten Klängen spielt Mahlers Fantasie jetzt" (Bekker), sie sind für den oft beißenden, quälend aggressiven Ton (vor allem in den ersten beiden Sätzen), ebenso aber im letzten Satz für die überwältigende Leuchtkraft des Schluss-Chorals verantwortlich.

Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.
Gustav Mahler

Auch nahm Mahler bei der Fünften davon Abstand, der Öffentlichkeit erläuternde Programme mitzuteilen. Die Sprache, sei es in Form vokaler Passagen, sei es in Form erklärender Texte, war für ihn entbehrlich geworden. "Es bedarf nicht des Wortes, alles ist rein musikalisch gesagt." Freilich ist Mahler viel zu sehr Bekenntnismusiker und musikalischer Weltenschöpfer, als dass es möglich wäre, ein Werk wie die Fünfte ohne semantische Assoziationen zu hören. "Aber Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen", lautete einer seiner zentralen Glaubenssätze. Das bedeutet nichts weniger, als dass Mahler mit jeder seiner Symphonien einen ganz eigenen Kosmos entwarf, der im Kleinen stets alles enthält, was an menschlichen Grunderfahrungen zwischen Leid und Trost, Verzweiflung und Verheißung, Angsttraum und Euphorie, eruptiver Kraftentfaltung und seliger Entrückung denkbar ist.

Von der Klage zur Apotheose

Komponist Gustav Mahler mit seiner Tochter Anna | Bildquelle: IMAGNO/Österr. Theatermuseum/Süddeutsche Zeitung Photo Gustav Mahler mit Tochter | Bildquelle: IMAGNO/Österr. Theatermuseum/Süddeutsche Zeitung Photo Wie alle Symphonien Mahlers ist auch die Fünfte eine "Finalsymphonie", das heißt der innere Gedankengang zielt in einer großen zwingenden Form auf den Schlusssatz. Er führt von der Klage des Anfangs (1. Satz, Trauermarsch), über den schmerzgepeinigten Aufschrei des zweiten Satzes (Stürmisch bewegt) in eine Welt des absoluten Friedens (4. Satz, Adagietto) und schließlich zur erlösenden Choral-Apotheose des Rondo-Finales. Dazwischen steht als dritter Satz und Mittelachse ein ausgedehntes Scherzo, das eine eigene Abteilung bildet und von der Moll-Sphäre (Satz 1 und 2, Erste Abteilung) in die Positivität der Dritten Abteilung (Satz 4 und 5) führt. Ob solche Lesarten aber tatsächlich so eindeutig sind, wie sie sich den Anschein geben? Die Fülle an motivischen Anspielungen, die ungeheure Komplexität der Vorgänge im Inneren der einzelnen Sätze ebenso wie die subtilen Verbindungen und Transformationen über die Satzgrenzen hinweg jedenfalls gemahnen zur Vorsicht vor einfachen Erklärungen. Die Konzeption der Symphonie ist zu vielschichtig, als dass eine kohärente Betrachtung überhaupt möglich wäre, und vielleicht liegt die Größe eines Werkes wie der Fünften gerade darin, dass man sie niemals gänzlich "capiert".

Liebeslied an Alma

Mit einem der fünf Sätze hingegen verband sich aber wohl doch eine eindeutige Botschaft. Das Adagietto schrieb Mahler wohl im November 1901 als wortlose Liebeserklärung an Alma. "Statt eines Briefes sandte er ihr dieses im Manuscript, weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden und schrieb ihm: Er solle kommen!!!", so ist es durch den niederländischen Dirigenten und engen Freund der Familie Willem Mengelberg glaubwürdig überliefert.

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