Sie ist ein Musterbeispiel für die unmittelbare Wirkung von Musik: Wolfgang Amadeus Mozarts Motette "Ave verum corpus", ein Musikstück, das mit wenigen Takten eine Aura des Friedens verströmt. Das "Ave verum" ist neben der "Zauberflöte" und dem Requiem eines von Mozarts letzten Werken, komponiert in seinem Todesjahr 1791. Uta Sailer stellt das Starke Stück zusammen mit Peter Dijkstra, dem Künstlerischen Leiter des Chores des Bayerischen Rundfunks, vor.
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Die Sendung zum Anhören
Klänge, so sachte dahin strömend wie Sonnenlicht durch ein Kirchenfenster. Musik gewordenes Gebet, direkt an die Herzen der Menschen gerichtet. Die schlichte Schönheit berührt. Peter Dijkstra, Künstlerischer Leiter des Chores des Bayerischen Rundfunks, hat Mozarts "Ave verum corpus" bereits als Kind kennen und lieben gelernt. "Ich war sieben oder acht Jahre jung", erinnert er sich. "Das war im Knabenchor, unter Leitung meines Vaters, und das Stück hat einen erschütternden Eindruck auf mich gemacht: diese klare und deutliche Aussage, diese Schönheit, die von innen heraus spricht!"
Die besondere Aura, die Unmittelbarkeit der Musik, rührt von der Einfachheit ihrer Struktur. Mozart verzichtet auf kompositorische Komplexität. Stattdessen: klare symmetrische Formen, homophoner Chorsatz, sparsamer Gebrauch von Dissonanzen, Spannungen. Peter Dijkstra weiß: "Das ist grundsätzlich bei Mozart die Qualität: scheinbare Einfachheit, fantastisch balanciert und fantastisch konzipiert von Form und Struktur her. Da steckt viel dahinter, und der Hörer wird nicht abgelenkt."
Man wird wirklich auf den Text gelenkt, weil alles homophon gesetzt ist – das ist auch eine Qualität dieses Stücks.
Nicht abgelenkt wird man zum Beispiel vom Text, einer lateinischen Sequenz aus dem 13. Jahrhundert, die den Erlösungstod Christi beschreibt. "Ich finde, dass auch der Rhythmus des Texts so schön vertont ist", sagt Dijkstra.: "Ave, ave verum – das ist genauso, wie man es sprechen würde. Man wird wirklich auf den Text gelenkt, weil alles homophon gesetzt ist – das ist auch eine Qualität dieses Stücks."
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Peter Dijkstra | Bildquelle: BR
Der Text schafft in vier Verspaaren unterschiedlichste Bedeutungsnuancen.
Der Beginn, eine Anrufung Christi:
"Sei gegrüßt, wahrer Leib, geboren von der Jungfrau Maria."
Dann die Kreuzigung:
"Du hast wahrhaft gelitten und wurdest für die Menschheit am Kreuz geopfert."
Anschließend Worte über das Leid Jesu am Kreuz:
"Wasser und Blut floss aus deiner Seite, als man sie durchstach."
Und schließlich die Bitte um Trost und Erlösung:
"Sei uns Trost in der Prüfungsstunde des Todes."
Entsprechend der unterschiedlichen Bedeutungsgehalte schafft Mozart eine sich langsam verändernde Musik. Der Beginn, zart und wiegend, beim Thema Kreuzigung erste Eintrübungen, Vorhalte, leise Dissonanzen, fast unmerklich, aber umso eindringlicher. Gesteigerte Expression dann bei den Worten "Wasser und Blut floss aus deiner Seite, als man sie durchstach" – ein Moment musikalischer Verunsicherung, wie Peter Dijkstra hervorhebt: "Da ist der Schlüssel, da fühlt man, dass da der Boden unter den Füßen weggeht. Das ist wirklich sehr gut gemacht!"
Das "Ave verum corpus" erklingt heute in den schönsten Kirchen der Welt. Zu Lebzeiten Mozarts war dies nicht der Fall. Zum ersten Mal wurde es von einem mittelmäßigen Kirchenchor in Baden bei Wien aufgeführt. Dort wirkte ein eifriger Verehrer Mozarts: Anton Stoll, Lehrer und Chordirigent, immer um Aufführungen Mozartscher Werke in der Provinz bemüht. Mozart quittierte dies auf gewohnt läppische Art:
"Liebster Stoll, bester Knoll! Grosster Schroll! Bist sternvoll! Gelt das Moll tut dir wohl!"
Oder noch deutlicher:
"Das ist der dümmste Brief, den ich geschrieben habe, aber für sie ist er just recht."
Die geringschätzig anmutenden Worte hat Mozart durch Geschenke an Anton Stoll wieder wettgemacht. Er überließ ihm mehrere seiner Handschriften, darunter auch das "Ave verum". Dennoch: Der Kontrast zwischen der tief empfundenen Aura der Musik und den frech-gewitzten Worten seiner Briefe mutet vielleicht seltsam an. Aber es wäre nicht Mozart, wäre da nicht Witz neben Ernst, verspielte Diesseitsfreude neben dem Wissen um das Jenseits. Und vielleicht liegt gerade hier, in Mozarts Auffassung vom Jenseits, der Schlüssel zu der fast mystischen Wirkung des "Ave verum corpus". In einem Brief an den kranken Vater heißt es: "Da der Tod der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes!"
Wolfgang Amadeus Mozart:
"Ave verum corpus", Motette KV 618
Chor des Bayerischen Rundfunks
Münchener Kammerorchester
Leitung: Peter Dijkstra
Sendung: "Das starke Stück" am 4. April 2023, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK