Es gehört zu seinen größten Werken – und blieb doch Fragment: Mozarts Requiem, das tragischerweise zu seiner eigenen Totenmesse werden sollte. Viele Mythen ranken sich um das unvollendete Meisterwerk. Doch was daran ist Dichtung und was ist Wahrheit?
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Wer jemals im Kino Milos Formans "Amadeus" gesehen hat, der weiß, Mozarts Requiem ist ein Stück, das es ganz schön in sich hat. Da gibt es Mordgedanken, Intrigen, Eifersucht, einen unheimlichen Besucher, einen fiesen Schurken und ein Genie, das verzweifelt gegen den Tod ankomponiert. Schon allein die Szene, in der der schwerkranke Mozart dem hinterlistigen Salieri das Confutatis in die Feder diktiert, ist von bemerkenswerter Eindringlichkeit.
Natürlich ist "Amadeus" Fiktion, aber wie bei jedem soliden "Biopic" ist diese Fiktion nicht völlig aus der Luft gegriffen. Mozarts Requiem ist "Mystery pur", kein anderes Werk der klassischen Musik ist dermaßen von düsteren Legenden umwoben wie Wolfgangs Schwanengesang. Aber was ist Dichtung und was Wahrheit?
Wer ist der mysteriöse Mann im Hintergrund?
Im Sommer 1791 wird ein "grauer Bote" bei Mozart vorstellig und bestellt eine Totenmesse. Sein Auftraggeber: "Ein Mann, der nicht gekannt sein will".
Wollte jemand Mozart wirklich ermorden, und was wäre sein Motiv?
Im Herbst des Jahres äußert der kränkelnde Mozart während einer Kutschenfahrt den Verdacht, er würde vergiftet werden.
Was war Mozarts Todesursache? Und unter welchen Bedingungen wurde das Werk posthum fertig gestellt?
Mozart stirbt am 5. Dezember 1791 im Alter von nur 35 Jahren. Sein letzter klarer Gedanke gilt dem unvollendeten Requiem.
Wo viele Fragen offen bleiben, entstehen Gerüchte, und wenn die Gerüchteküche brodelt, sind Verschwörungstheorien nicht mehr fern. Aus Sicht der Nachwelt bilden Mozarts Sterbeumstände und seine fragmentarische Totenmesse eine gruselige Allianz. Bereits kurz nach Mozarts Beerdigung wird die Vermutung laut, beim frühen Ende des Meisters sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. "Weil sein Körper nach dem Tode schwoll, glaubte man sogar, er sei vergiftet worden", munkelt das "Musikalische Wochenblatt". Der Komponist habe aus Versehen eine tödliche Dosis Quecksilber geschluckt, damals ein Mittel gegen eine Syphilis-Infektion, ist eine weitere steile These.
Das Requiem ist jedoch nicht nur "Sex & Crime", sondern auch das, was man im Englischen "Gothic" — also "Schauer" — nennt. Dies in der gespenstischen Figur des grauen Emissärs. Ist er etwa der Abgesandte finsterer Mächte? Ein "übernatürliches Wesen" habe das Requiem bei Mozart bestellt, schreibt beispielsweise das englische "Monthly Magazin".
Mozarts Gegenspieler: Antonio Salieri | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Mythos Mozart-Requiem speiste sich jedoch nicht nur aus Zeitungsartikeln und raunendem Hörensagen, immer wieder haben fantasiebegabte Schriftsteller an der Legende mitgestrickt. Im romantischen 19. Jahrhundert wird der todgeweihte Mozart sogar zum Bühnen-Star. "Des Totenamtes dumpfer Klang/ Sei Amadeo's Schwanengesang". Unter den diversen zu Recht vergessenen Theaterstücken ragt ein kleines Werk heraus, das inhaltlich im "Amadeus"-Film nachhallt: "Mozart und Salieri" von Alexander Puschkin. In der zweiten Szene schüttet Salieri in einem Wirtshaus Gift in Mozarts Glas. Der Sterbende setzt sich an ein Klavier und spielt sein Requiem. Salieri lauscht, hin- und hergerissen zwischen Euphorie und Entsetzen.
Freund Mozart, diese Thränen. Fahr fort, beeile dich, die Seele mir mit Tönen auszufüllen.
Was geschieht, wenn wir den Requiem-Mythos von allen spekulativen Hirngespinsten entrümpeln? Dann schrumpft das schicksalsdräuende Drama zu einer skurrilen Geschichte: Heute kennen wir die Identität des anonymen Auftragsgebers. Es ist der niederösterreichische Graf Franz von Walsegg. Der adlige Hallodri pflegte eine schräge Marotte. Er orderte bei renommierten Komponisten Werke, die er anschließend als seine eigenen ausgab. 1791 wird Walseggs Frau aus der Blüte ihres jungen Lebens gerissen. Der trauernde Witwer verspürt das Verlangen, der Verschiedenen ein Requiem zu widmen. Und so klopft der von ihm geschickte Bote an Mozarts Wohnungstüre.
Constanze Mozart | Bildquelle: picture alliance/Heritage Images Es mag überraschen, welche Person nach Mozarts Tod eine tragende Rolle im Requiem-Verwirrspiel einnehmen wird: Seine Witwe Constanze. Madame Mozart vertuscht mehr, als dass sie aufklärt und trägt mit ihrer Geheimniskrämerei zur Mystifizierung des Werks bei. Ein Beispiel: Mozart hatte für die Komposition der Seelen-Messe nur eine Anzahlung erhalten, Resthonorar nach Fertigstellung. Nach dem Ableben ihres Mannes steckt Constanze in Geldnöten. Also macht sie sich auf die Suche nach jemandem, der die Requiem-Partitur fertig stellt, auch um bei Graf Walsegg abkassieren zu können. Dabei ist es in ihrem Interesse, den Zustand des Originalmanuskripts und den Anteil des Bearbeiters zu verschleiern.
Womit wir bei Franz Xaver Süßmayr sind, der als Vollender des Requiems in die Musikgeschichte eingegangen ist. Süßmayr war Mozarts Schüler, er stand am Krankenbett seines Meisters und wurde vom Sterbenden instruiert, wie die Seelenmesse fortzuführen sei. Eigentlich hätte Süßmayr Constanzes erste Wahl sein müssen. Ist er aber nicht. Constanze hatte zunächst bei anderen Komponisten angefragt. Warum? Sie sei Süßmayr "böse gewesen" wird die Witwe später sagen. Böse Zungen behaupten, Constanze und Franz Xaver hätten sich zu Mozarts Lebzeiten nicht nur platonisch lieb gehabt. Wie? Schon wieder ein Gerücht? Wohl möglich, aber vielleicht ist da ja wirklich etwas Wahres dran ...