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Rückenprobleme bei Musikern Das fehlende Gleichgewicht

Der Musikerberuf beansprucht den Rücken besonders, sagt Stephan Faßnacht-Lenz. Der Physiotherapeut hat sich auf Musikererkrankungen spezialisiert. Welche Übungen er seinen Patienten empfiehlt, und warum Dirigenten manchmal schwierig zu behandeln sind, verrät Stephan Faßnacht-Lenz im Interview mit BR-KLASSIK.

Eine Frau greift mit den Händen an ihren Rücken | Bildquelle: Andrea Warnecke,  picture alliance / dpa Themendienst

Bildquelle: Andrea Warnecke, picture alliance / dpa Themendienst

BR-KLASSIK: Kommen Rückenprobleme bei Musikern häufig vor?

Stephan Faßnacht-Lenz: Das kann ich nicht häufiger als bei "normalen" Patienten feststellen. Allerdings belasten Musiker ihren Rücken mehr. Zum Beispiel durch das lange Sitzen im Orchester und das Halten der Instrumente, beziehungsweise durch die Anspannung beim Spielen. Ich würde aber nicht sagen, dass Rückenschmerzen ein typisches Musikerphänomen sind.

BR-KLASSIK: Betreffen die Probleme eher Instrumentalisten oder auch Sänger?

Stephan Faßnacht-Lenz: Sänger haben weniger Probleme in der Lendenwirbelsäule, sondern eher im oberen Bereich. Durch das viele Singen, das Schauspielern und Bewegen haben sie eher Probleme im Thorax (Brustkorb) oder am Kehlkopf.

BR-KLASSIK: Wie kann man solchen Problemen vorbeugen?

Stephan Faßnacht-Lenz: Durch eine gesunde Prävention. Die Musiker müssen lernen, eine gewisse Elastizität zu erreichen. Ein Instrument wird über Jahre hinweg in der gleichen Position gespielt. Meine Hauptaufgabe ist es, den Menschen zu vermitteln, dass sie einen instrumentenspezifischen, elastischen Ausgleich dazu finden müssen.

Ein Instrument wird über Jahre hinweg in der gleichen Position gespielt.
Stephan Faßnacht-Lenz

BR-KLASSIK: Gibt es spezifische Übungen für verschiedene Musiker? Was können zum Beispiel konkret Klavierspieler tun?

Stephan Faßnacht-Lenz: Die großen Pianisten spielen alle unterschiedlich, in Sitzposition und Haltung. Ich finde keine Gemeinsamkeiten, also kann ich auch keine allgemeinen Übungstipps geben. Ich mache das immer individuell, wenn die Musiker zu mir kommen. Ich tue mich sehr schwer mit Übungsprogrammen, die speziell für Pianisten oder Geiger sein sollen.

BR-KLASSIK: Gibt es Instrumentengruppen, die immer gleiche Symptome oder gleiche Krankheitsbilder aufzeigen?

Stephan Faßnacht-Lenz: Definitiv nein.

BR-KLASSIK: Nun mal konkreter. Was für Übungen kann ein Musiker denn jetzt machen, der Rückenschmerzen hat vom Sitzen oder eben vom langen Spielen im Orchester?

Rückenschmerzen | Bildquelle: BR/Johanna Schlüter Bei Rückenschmerzen helfen Übungen, die die Elastizität verbessern und das Gleichgewicht trainieren. | Bildquelle: BR/Johanna Schlüter Stephan Faßnacht-Lenz: Innen an der Wirbelsäule haben wir das posturale Muskelsystem. Das sind kleine Muskeln, die wir selbst über unser Großhirn nicht steuern können. Die garantieren unsere Stabilität, unsere Haltung. Postural-Muskeln sind also "die-Haltung-betreffende" Muskeln. Die müssen und können wir speziell trainieren: mit Übungen, die die Elastizität und das Gleichgewicht betreffen. Wenn der Mensch seinen Körper und die innere Muskulatur in ein gutes Verhältnis bringt, dann ist der Mensch in seiner inneren Mitte und es herrscht körperliches Gleichgewicht. Das fehlt bei Musikern eigentlich immer. Mit einem sogenannten Posturomed können wir das testen. Und bei so ziemlich allen Musikern ist das posturale Muskelsystem abgeschwächt.

Wir brauchen Übungen, die man überall machen kann.  So haben die Musiker auch keine Ausreden.
 Stephan Faßnacht-Lenz

BR-KLASSIK: Braucht man für diese Übungen ein besonderes Gerät? Oder kann man die schnell und einfach zu Hause absolvieren?

Stephan Faßnacht-Lenz: Da Musiker viel unterwegs sind, zeigen wir den Patienten ausschließlich Übungen, die komplett ohne Hilfsmittel absolviert werden können. Nur mit eigenem Körpergewicht oder Sachen, die sie immer dabei haben. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass wir Übungen brauchen, die man überall machen kann. So haben die Musiker auch keine Ausreden. 

BR-KLASSIK: Wie sehen solche Übungen genau aus?

Stephan Faßnacht-Lenz: Die beste Übung für die Stärkung des posturalen Systems ist folgende: Sie stellen sich auf ein Bein, heben das andere so, dass Hüfte, Kniegelenk und Sprunggelenk jeweils ungefähr einen 90-Grad-Winkel ergeben und versuchen, in diesem Einbeinstand ungefähr 10-20 Sekunden zu stehen mit offenen Augen. Wenn das funktioniert, dann versuchen Sie es auf dem anderen Bein. Und wenn das auch funktioniert, dann nehmen Sie sich ein Buch, schlagen es auf und versuchen 10-20 Sekunden laut daraus vorzulesen, ohne umzufallen. Sollten sie das auch gut beherrschen, gibt es noch eine schwierigere Variante. Stellen sie sich nun auf eine labilere Unterstützungsfläche, zum Beispiel eine Decke und probieren das gleiche wieder. Die Übung funktioniert überall und ist sehr effektiv.

Spezielle Erfahrungen mit Dirigenten

BR-KLASSIK: Welche Übungen empfehlen Sie Ihren Patienten noch?

Stephan Faßnacht-Lenz: Generell geben wir den Patienten Bewegungsfolgen zur Übung mit. Diese fangen meistens am Boden an und gehen dann aber auch in den Stand über. Das ist ganz ähnlich wie in der Kampfkunst, da gibt es viele solche Kata-Übungen, also Übungsabfolgen. Meine Frau macht den Patienten dann meistens die Übungen vor, die nehmen das oft mit dem Smartphone auf, um es später besser nachmachen zu können. Wir zeigen den Musikern Übungsfolgen, die sie vor dem Konzert machen können, und welche für danach. Dann haben sie ein Repertoire an Übungen, aus denen sie wählen können. Es liegt dann aber bei ihnen selbst, ob sie die Übungen durchführen. Meine Erfahrung ist aber: Je solistischer der Musiker unterwegs ist, desto mehr macht er die Übungen auch zuverlässig.

Dirigenten sind es oft nicht gewohnt, dass ihnen jemand sagt, was sie zu tun haben.
Stephan Faßnacht-Lenz

BR-KLASSIK: Behandeln Sie in Ihrer Praxis auch Dirigenten?

Stephan Faßnacht-Lenz: Ja, das finde ich immer besonders spannend. Dirigenten sind vom Kopf her nämlich anders. Diese Berufsgruppe ist es oft nicht gewohnt, dass ihnen jemand sagt, was sie zu tun haben. Es ist manchmal ein bisschen schwierig, ihnen beizubringen, dass sie eben auch üben müssen. Aber meistens sind das natürlich am Ende ganz nette Leute. Frauen sind da zum Beispiel wesentlich offener als Männer.

Die Fragen stellte András Borbély für BR-KLASSIK.

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