Am Freitag wurde wird im Rahmen der musica viva in München Nikolaus Brass' Komposition "Der goldene Steig" für Sopran und Orchester uraufgeführt. Im Interview mit BR-KLASSIK sprach der Komponist über sein Musikverständnis, den Wert der Erinnerung und über das Lernen von den Musikern.
Bildquelle: Astrid Ackermann
Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: Herr Brass, Sie haben viele Jahre als Arzt in einer Klinik gearbeitet und dann jahrzehntelang als Redakteur einer medizinischen Fachzeitung. Bis zum Jahr 2009 konnten Sie nur an den Wochenenden oder im Urlaub komponieren. Wie hat sich Ihre Art zu komponieren inzwischen, da Sie nicht mehr als Mediziner tätig sind, gewandelt?
Nikolaus Brass: Jetzt geht es mir gut, jetzt habe ich Zeit - sehr viel mehr als in meinem ganzen früheren Leben. Ich hatte mir eine Arbeitsweise angewöhnt, in der ich wirklich immer den Griffel aus der Hand legen können musste, und - so seltsam das klingt - das ist auch eine gute Übung. Immer gezwungen zu sein zu unterbrechen, kann manche Dinge zum Absturz bringen, die dann aber vielleicht auch nicht die nötige Power hatten. Und andere Dinge, die ich unbedingt schreiben musste, konnte ich auch in einer gestückelten Arbeitszeit bewältigen, d.h. unter Umständen von Wochenende zu Wochenende oder von Ferien zu Ferien. Das mussten die überleben. Und wenn sie es überlebt haben, dann sind auch wirklich Stücke daraus geworden.
BR-KLASSIK: Und die Medizin vermissen Sie nicht?
Nikolaus Brass: Nein, überhaupt nicht. Die Medizin war am Anfang meines Lebens sehr wichtig für mich. Ich wusste, dass ich Psychiater werden wollte. Die Musik war damals auch schon da, aber nicht so stark. Ich glaube daran, dass bestimmte Dinge zu einem sprechen und sagen: Hallo, hier bin ich, übersieh mich nicht. Und am Anfang hat die Musik noch nicht so stark gesprochen. Das hat sich irgendwann durch verschiedene biografische Gegebenheiten gewandelt. Die Medizin war dann die Grundlage für meinen Lebensunterhalt. lch konnte davon leben, dass ich einen anderen Beruf hatte und war frei, das zu komponieren, was ich komponieren wollte. Ich habe mir quasi selber Kompositionsaufträge gegeben.
BR-KLASSIK: Jetzt kommen die Aufträge von der musica viva, zum Beispiel. Sie haben für die aktuelle Saison eine Erzählung für Sopran und Orchester komponiert, "Der goldene Steig", auf einen Text von Peter Kurzeck. Worum geht es in diesem Text?
Nikolaus Brass | Bildquelle: Astrid Ackermann Nikolaus Brass: Es geht ganz allgemein gesprochen um eine Erinnerung an eine Erinnerung. Es ist ein Text, den ich aus einem Roman genommen habe. Plötzlich schießt dem Ich-Erzähler die Erzählung seines Vaters ins Hirn. Der Vater hat ihm mal erzählt, wie er als junger Mann durch Böhmen gewandert ist, auf der Suche nach Arbeit. Plötzlich türmen sich unterschiedliche Zeiträume und Zeitebenen über- und ineinander. In diese Räume wollte ich mich mit meiner Musik hineinbewegen. Und diese Bezüge zwischen einem Jetzt, in dem von etwas gesprochen wird, und einem Jetzt, das einmal war, berühren mich so sehr. Letztlich haben wir nichts anderes als unsere Erinnerungen, oder das, was wir mit unseren Erinnerungen machen. Und diese Erinnerungen sind die Voraussetzung dafür, dass wir am Schluss sagen können: Ja, ich war am Leben.
Ich kreise sehr gerne in einem akustischen Raum .
BR-KLASSIK: Peter Kurzeck hatte ja einen ganz eigenen Erzähl-Sound, eine ganz eigene Sprache. Was ist Ihr Komponier-Sound, Ihre musikalische Sprache?
Nikolaus Brass: Ein Wesensmerkmal, das in "Der goldene Steg" vielleicht weniger deutlich ist, ist schon, dass ich sehr gerne in einem akustischen Raum kreise, einen akustischen Raum schaffe, in dem Ereignisse dem Hörer vorgeführt werden, die verschwinden, die aber auch wiederkommen. Also etwas von einer zirkuläre Ordnung, nicht eine linearen, progressive Ordnung. Meine Musik geht selten von A nach B. Ich liebe Zustände, wo von A bis F alles gleichzeitig da ist, und man wandert in seinem Bewusstsein von da nach dort und wieder zurück und es gibt keine eindeutige Progression.
BR-KLASSIK: So wie ja vielleicht auch das Erinnern immer wieder in Zirkeln passiert.
Nikolaus Brass (mit Johannes Kalitzke) | Bildquelle: Astrid Ackermann Nikolaus Brass: Das ist so ein bisschen eine Annäherung daran, ja. Auch wenn jetzt in diesem Kurzeck-Text wirklich um ein Wandern von A nach B geht, so ist in meinem Stück vielleicht - das ist zumindest meine Erwartung - das Ende schon im Anfang mit drin. Diese Schilderung, die ist für mich sehr einfach, sehr anrührend: Der Vater geht auf Arbeitssuche, dabei treibt es ihn von A nach B, aber eigentlich treibt es ihn wohin, wo er noch nie war, und von wo es auch keinen Weg zurück gibt. Es wird angespielt auf ein Ziel, das sind die Berge weit im Osten, und da ist die Luft so klar wie fast nirgends. Das ist eine ganz eigenartige Beschreibung. Da treibt es ihn hin und das kann man natürlich auch lesen als Lebensende. Diese Gerichtetheit aufs Lebensende, die ist vielleicht immer schon da, also unser Anfang und Ende, um es groß und philosophisch auszudrücken, sind immer schon mit uns. Und damit beschäftige ich mich auch kompositorisch immer wieder.
BR-KLASSIK: Erinnern ist das große Thema bei Kurzeck und das große Thema auch in "Der goldene Steig". Woran erinnern Sie sich gerne, Herr Brass?
Nikolaus Brass: Gerne erinnert man sich an neues Leben, also an Kinder, Enkel. Das ist das stärkste glaube ich, dem man begegnen kann. Dann erinnere ich mich schon gerne an geglückte Aufführungen. Das sind wirkliche Glücksmomente. Zumal ich weiß, dass das etwas Seltenes ist.
BR-KLASSIK: Was macht denn eine geglückte Aufführung für Sie aus? Ein begeistertes Publikum? Dass das Stück am Ende so klingt, wie sie es sich vorgestellt haben? …
Nikolaus Brass: Es gibt für den Komponisten so eine Erfahrung: Hey, das Stück kommt sehr weit und deutlich hinterm Vorhang hervor. Auch wenn Sie das Stück selber geschrieben haben, bleibt das Stück immer hinter einem gewissen Vorhang, der zu der Erscheinung von diesem Stück gehört. Also es verhüllt sich auch immer. Und dass man das Publikum erreicht oder berührt, das ist etwas, was ich auch will. Ich will jemanden berühren, weil ich ja selber berührt worden bin und berührt werde. Ich habe zu komponieren angefangen als Hörer. Ich war durch Musik berührt und das hat mich dazu bewogen Musik zu schreiben. Und auch stark und wichtig die Reaktionen und das Beteiligtsein der Interpreten. Von denen ich vermutlich das meiste gelernt habe. Ich habe wahrscheinlich viel mehr von denen, die meine Musik spielen, gelernt, als von irgendjemand anderem.
Die Fragen stellte Kristin Amme für BR-KLASSIK.
Freitag, 16. Dezember 2016, 19.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz
Milica Djordjevic:
"Quicksilver" für Orchester
Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks | Uraufführung
Nikolaus Brass:
"Der goldene Steig"
Eine Erzählung für Sopran und Orchester auf einen Text von Peter Kurzeck
Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks | Uraufführung
György Ligeti :
Konzert für Violine und Orchester
Sarah Maria Sun (Sopran)
Ilya Gringolts (Violine)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Peter Rundel